In seiner Ausstellung „Hotel Dresden" präsentiert sich Hermann August Weizenegger als eine Art moderner Wiedergänger von Hermann Muthesius oder Richard Riemerschmid. Darf er das?
Hermann August Weizenegger vertrat, zusammen mit seinem Freund und Partner Oliver Vogt, lange Jahre einen funktionalistischen Designansatz. Ihre Konzepte radikalisierten lange Zeit den eher pragmatisch-soziologisch orientierten Ansatz der HfG Ulm und ihres Lehrers Nick Roericht. Sie ersannen unter anderem „Die Imaginäre Manufaktur", für die internationale Designer Entwürfe für die Berliner Blindenanstalt und Bürstenmanufaktur realisierten, sowie das Projekt „Plan A", eine High-Tech-Manufaktur für Möbel, die im Laser-Sinterverfahren hergestellt waren und auf die Fertigung von Produkten in einer Art Fabrik der Zukunft vorauswiesen. Und nun sowas!
Nach Aussagen Hermann August Weizeneggers soll „Hotel Dresden" ein Gesamtkunstwerk im Stil des späten 19. Jahrhunderts darstellen. Dieses seltsame Projekt präsentierte Weizenegger nun in Berlin. Ein großer Wurf, zweifelsfrei. Aber eben auch gleichermaßen eigentümlich.
Hinter einem fiktiven und gleichzeitig humorvoll geschriebenen Text von Christoph Bertsch, der Weizenegger als einen im Jahr 1863 (!) geborenen Architekten, Möbeltischler und Maler vorstellt, zeigte Weizenegger 25 „neue" Entwürfe. Nein, eben nicht neue Entwürfe, sondern Entwürfe in historischem Gewand. Zu sehen waren Sessel, Leuchter, Bleikristallgläser und Teppiche. Noch nicht einmal vor Schuhen, den eigenwilligen High Heels „Gotica", wollte die Schaffenskraft des Meisters zum Versiegen kommen.
Was treibt einen gestandenen Mann von 47 Jahren, international erfolgreichen Designer und Professor in Potsdam zu derlei Unsinn? „Hotellobbys sind heutzutage eine der wenigen Orte, in denen man das Konzept eines Gesamtkunstwerkes noch entwickeln kann", so Weizenegger. „Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, wenn man wie zu Zeiten vor der „Moderne" als Künstler-Architekt arbeitet. In einer Zeit, als es eben genau diese Trennung noch nicht gab." Ja, wie fühlt es sich an? Überaus bizarr!
Faszinierend, wie viel Energie Weizenegger aufgebracht hat, um sein Projekt „Hotel Dresden" umzusetzen. Jeder, der sich mit Design beschäftigt, weiß, wie viel Arbeit es bedeutet, nur ein Objekt zu entwerfen, herstellen zu lassen und zu dokumentieren. Hier sind es nun gleich 25! Noch dazu sind die Entwürfe allesamt von handwerklich hoher Qualität; die einheitlich durchgängige Linie zeugt vom formalen Können des Designers. Natürlich gibt es im Detail stärkere und schwächere Entwürfe, aber alles ist gestalterisch konsequent umgesetzt.
Akademische Stildebatten, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts öffentlich ausgetragen wurden, gibt es in der heutigen Zeit längst nicht mehr. Und die Suche nach der Geschlossenheit eines geltenden Stils ist längst „Schnee von gestern." Heute gilt: Erlaubt ist, was Erfolg hat. Das ist eine ur-amerikanische Ethik und eine erzkapitalistische obendrein. Eine, wie sie uns in unzähligen Western präsentiert wurde, nach dem Motto: Wer zuerst zieht, der hat Recht. Funktioniert der Designbetrieb heute womöglich auch so?
Der letzte Designer, der von sich in Anspruch nehmen darf, ein Gesamtkunstwerk geschaffen zu haben, war sicher Luigi Colani. Seit Ende der sechziger Jahre erschuf er konsequent seine eigene Welt: Die weiße Welt des Luigi Colani. Bei Weizzenegger bleibt das Konzept „Gesamtkunstwerk" vielleicht nur ein singuläres Experiment. So fragen sich viele Kollegen besorgt, „hat er vielleicht Pervertin geschluckt?" - und schütteln verzweifelt den Kopf: „Ist dem Mann noch zu helfen?" Ja, denn „Hotel Dresden" ist toll. Es ist einzigartig, es ist genial. Und gleichzeitig total gaga!
Design wird hier zum ersten Mal inszeniert als eine Art „Mottoparty für Designer." Heute spielen wir - zum Beispiel - das Jahr 1905. Morgen vielleicht Biedermeier oder Rokoko. Und ich hör‘ schon Pippi Langstrumpf im Hintergrund singen: „Wir schaffen uns die Welt wie sie, wie sie, wie sie uns gefällt."
In der Modewelt ist so etwas Gang und Gäbe. Heute werden Blumenmuster im Stil der Sixties propagiert, und morgen heißt es: Die Sixties sind „out", wir tragen jetzt alle wieder Schulterpolster, Leggins und Karottenhosen. So wie in der Wissenschaft das Experiment der Motor für Entwicklung und Fortschritt ist, so hat das Experiment auch im Design eine wichtige Funktion. Und auch hier weiß keiner im Voraus, wie das Ergebnis lauten wird. Das ist das Wesen des Experiments. Ist nun die Rückbesinnung auf das späte 19. Jahrhundert ein zukunftsweisender Weg für das Design? Also: Retro statt Zukunft? In jedem Fall macht das Experiment deutlich, dass zurzeit keine Zukunftsmodelle und keine Utopien existieren.
Wir wollen nun hoffen, dass der Lehrmeister Hermann August Weizeneggers, der bekannte deutsche Designer Hans „Nik" Roehricht, Funktionalist und Alt-Ulmer, bei der Betrachtung von „Hotel Dresden" keine Herzattacke erleidet. Ganz im Gegenteil: Stolz müsste er sein! Er hat mit Weizenegger eine Persönlichkeit geformt, die trotz seiner Hochschulprofessur in Potsdam unermüdlich arbeitet und sich ständig neu erfindet. Dem gebührt als Kollege mein ganzer Respekt.Denn eines ist sicher: Hermann August Weizzenegger ist kein rückwärtsgewandter Exzentriker. Das Konzeptionelle treibt den Berliner Designer weiter um. Sein neues Projekt „Valse Automatique", kürzlich in Berlin vorgestellt, verbindet moderne Musik mit Roboterhandwerk zu einer atemberaubenden Performance. „Mit Leidenschaft strahlen!" Das ist ein Motto hinter Weizeneggers Werk um „auch für die Studenten soziale Kompetenz und Energie darzustellen!" Das ist ihm gelungen. Chapeau - und Applaus für einen großen Künstler und einen großartigen Designer.
Postscriptum. Die High-Heels „Gotica", ein Meisterwerk der Damenschuhmode, habe ich nur deshalb nicht erworben, weil ich dummerweise Schuhgröße 46 habe. Gotica aber gab es nur in Größe 39.