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Die britische Antarktis-Station „Halley VI“ sieht nicht nur so aus, sie kann tatsächlich in ihre Module zerlegt und dann bewegt werden.

Winterharte Häuser 6
Walking City auf Eis

Hugh Broughton Architekten haben die erste Forschungsstation entworfen, die laufen kann. Sie steht seit 2013 auf einer Schelfeis-Platte vor dem antarktischen Festland und hat soeben ihren ersten „Spaziergang“ über 23 Kilometer erfolgreich beendet.
von Florian Heilmeyer | 06.02.2017

Kälter wird's nicht. Wer mag, der kann sich die Koordinaten der britischen Forschungsstation „Halley VI“ mal anzeigen lassen: sie steht derzeit auf 75°35’0" südlicher Breite und 26°39’36" westlicher Länge. Sie ist somit die südlichste Forschungsstation der britischen Antarktisforschung und liegt noch vor der eigentlichen Küste der Antarktis auf dem bis zu 150 Meter dicken Schelfeis im Weddell-Meer.

Diese Stelle wird bereits seit 1957 von Forschern bewohnt. Im kurzen antarktischen Sommer sind es bis zu 70 Mitarbeiter, im langen, harten Winter nur 16. Mehr als 100 Tage lang geht die Sonne gar nicht mehr auf und die Temperaturen fallen auf minus 56 Grad Celsius. Die komplette Versorgung der Station muss während der drei Sommermonate erledigt sein.

Die 80 bis 200 Tonnen schweren Module müssen dem harten Klima der Antarktis widerstehen können.

„Halley VI“ ist, wie der Name schon sagt, die sechste Station, die hier gebaut wurde. Denn der Baugrund ist ausgesprochen beweglich, das Schelfeis wandert stetig nach Norden und bricht dann Stück für Stück auseinander, um als Eisberg herumzutreiben. Die unbeweglichen Halley-Stationen wurden also immer wieder auseinander gebaut oder verschrottet, um wieder eine neue Station zu errichten. Halley V wurde gerade einmal 12 Jahre alt. Das soll mit „Halley VI“ jetzt endlich anders werden. Dafür wurde 2004 erstmalig ein internationaler Architekturwettbewerb ausgelobt, dessen wichtigste Anforderung lautete: die neue Station musste stabil und wetterfest, dabei aber vollständig mobil sein.

Den Wettbewerb konnte das britische Architekturbüro von Hugh Broughton gewinnen, acht Jahre lang wurden die Ideen dann gemeinsam mit dem Betreiber, dem British Antarctic Survey, weiter entwickelt bis die Station 2013 fertig gestellt wurde und 2014 ihren Betrieb aufnahm. Es ist wohl kein Zufall, dass die Station stark an die „Walking City“ von Archigram denken lässt, die Ron Herron 1964 erstmals zu Papier gebracht hat, denn auch bei der Walking City ging es ja um den Traum einer mobilen Stadtstruktur, die unabhängig von ihrem Standort wie ein Zugvogel immer dorthin wandern konnte, wo gerade eine Stadt gebraucht wird. Allerdings erinnert „Halley VI“ ebenso an die „Walker“ aus den ersten Star Wars-Filmen, insbesondere an jene riesigen AT-AT Walker („All Terrains Armored Transports“), die mit ihren schweren Metallfüßen über den Eisplaneten Hoth laufen können.

Hinter der großen Panoramascheibe des roten Moduls liegen die Gemeinschaftsräume.

Doch zurück zur echten Antarktis: Halley VI besteht grundsätzlich aus zwei verschiedenen Modultypen. Die blauen sind die „Standardmodule“, je 80 bis 95 Tonnen schwer, in denen auf 152 Quadratmetern Schlafräume, Labore, Büros und jeweils eine eigene Energiezentrale untergebracht sind. Eigentlich reichen die blauen Module aus, um allen für die Forschung notwendigen Aktivitäten Raum zu bieten. Dennoch wurde, gerade mit Blick auf die unendlichen, dunklen Wintermonate, ein zweites, rotes Modul entwickelt: 200 Tonnen schwer bietet es mit 467 Quadratmetern eine gewisse Großzügigkeit, die vor allem im zentralen, zweigeschossigen Gemeinschafts-Saal ihren Ausdruck findet. Hier findet sich auch ein beeindruckendes, überraschend großes Panorama-Fenster, wie es in Forschungsstationen in solchen Klimazonen eigentlich zu aufwändig und daher unüblich ist. Dieses soziale Gemeinschafts-Zentrum (mit großer Küche, Billard-Tisch und Sofa-Landschaft) steckt in der Mitte der Station und teilt diese gleichzeitig in zwei aus Sicherheitsgründen voneinander völlig unabhängige Teile. Sollte eines davon im Winter Schaden nehmen, muss das Überleben im anderen Teil möglich sein.

Die für eine Forschungsstation ausgesprochen großzügigen Gemeinschaftsräume sind wichtig, wenn 16 Wissenschaftler hier 100 Tage in antarktischer Dunkelheit verbringen müssen.

„Um das Schicksal früherer Forschungsstationen zu vermeiden“, schreiben die Architekten über die Beweglichkeit ihrer neuen Station, „stehen die Module auf hydraulischen Füßen und diese auf riesigen Skiern aus Stahl. Diese Füße machen es möglich, dass die Station sich mechanisch aus den Schneewehen befreien kann und nicht darin begraben wird. Wenn das Schelfeis auf den Ozean hinaustreibt, werden die Module abgesenkt und können von Bulldozern auf ihren Skiern zu einem neuen, sichereren Standort geschleppt werden.“ Wie wichtig diese Beweglichkeit ist, konnte Halley VI auf ihrer soeben erfolgreich beendeten Jungfernfahrt bereits eindrücklich nachweisen. In der Nähe der Station war ein Riss in der Eisdecke entdeckt worden, sodass sie deutlich früher als erwartet an einen neuen, sichereren Ort gezogen werden musste. „Die Antarktis kann eine extrem feindliche Umgebung sein“, sagt dazu der BAS-Direktor Tim Stockings. „Da Eis und Wetter ziemlich unvorhersehbar sind, müssen wir flexibel bleiben.“ Außerdem geht alles sehr langsam, sodass alle Vorhaben rechtzeitig begonnen werden müssen. Halley VI hat für die nun zurück gelegte Strecke von 23 Kilometern immerhin nur 13 Wochen gebraucht und wird im Winter 2017 wieder voll einsatzfähig sein.

Es ist das erste Mal, das eine Station dieser Größe in ihre Einzelteile zerlegt und an einen anderen Ort gefahren wurde. Und so ist diese Forschungsstation eben doch genau das, wonach sie aussieht: die erste Realisierung der „Walking City“ von Ron Herron, die nun,  langsam zwar, weitergezogen ist – wenn auch ihr neuer Standort doch wieder nur fast genau der alte ist. Aber wer auf einem so beweglichen Terrain auf dem gleichen Fleck stehen bleiben möchte, der muss eben vor allem: beweglich sein.

Im Februar 2017 ist Haley VI erfolgreich zu ihrem alten Standort zurückgekehrt.