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Was kommt da nur auf uns zu, im Zeichen der Neun?
von Thomas Wagner | 31.12.2008
Robert Indiana; All photos by flickr.com

Number nine, number nine, number nine, number nine... wiederholt monoton eine Stimme im Song „Revolution 9" von den Beatles - auf deren berühmtem „Weißen Album" von 1968, dessen Cover der Brit-Pop-Artist Richard Hamilton gestaltet hat. John Lennon, Yoko Ono und George Harrison haben die Klangcollage gemeinsam produziert, und mitten in all dem Kauderwelsch, das sie abspult, sind Satzfetzen zu hören wie „jeder weiß, dass die Zeit vergeht und sie etwas älter und langsamer werden, aber..." Plötzlich scheint die Welt der Töne umgewälzt. John Lennon mochte die Neun, und er war glücklich darüber, dass, nachdem er seinen Namen in John Ono Lennon geändert hatte, dieser zusammen mit dem Yokos neun Mal den Buchstaben „o" enthielt.

Was ist das nur für eine Zahl, die Neun? Was kommt da nur auf uns zu, wenn sie demnächst hinter der Zwei und den beiden Nullen steht? Ich habe meinen Freund Nick schon gefragt, aber er weiß auch nicht, wie es weitergeht. „Gib bloß nicht den Propheten!", warnt er mich. Zu Unrecht, wie ich glaube. Denn was kommt, das kommt. Also bleiben wir bei der Zahl, die ist neutral, da weiß man, was man hat: What you see is what you get!

Wir schreiben das Jahr 1965, als Robert Indiana sie malt, und sie ist einfach unglaublich, diese Neun. Als schlichte schwarze Ziffer auf eine lichtgraue quadratische Leinwand von gerade einmal 61 mal 61 Zentimeter gesetzt, wirkt sie noch schräger und verbeulter als innerhalb der Serie der „Numbers" von Eins bis Null, wo sie, eingefasst in eine schwarze Kreislinie, auf gelbem Grund und zusammen mit dem Wort „NINE" erscheint. Nicht nur auf Typografen muss sie unheimlich wirken, so abstrakt und doch individuell wie sie auftritt.

Ist das typisch amerikanische Pop Art, eingängig, jugendlich, positiv? Wo ist er geblieben, der „American Dream", dem Robert Clark, der sich 1959 in einer patriotischen Geste den Namen des Bundesstaates übergestreift hat und sich fortan „Indiana" nennt, eine ganze Serie von Gemälden gewidmet hat? Auch unter Indianas „American Dreams" gibt es ein neuntes Bild. Es ist ein auf die Spitze gestelltes Quadrat aus neun Neunen auf neun Leinwänden und verschränkt noch einmal Orte und Zahlen seines Lebens, Liebe, Essen und Tod miteinander. Doch nicht die Neun, diese in sich gekehrte, fast embryonale Neun, das Wort „LOVE", das ihm von frühester Kindheit an in der Christian Science Church vor Augen stand, hat Indiana berühmt gemacht. Es hat die Welt erobert, als Gemälde, Skulptur, Siebdruck, Plakat, Wandteppich, Fußmatte und als Briefmarke in einer Auflage von 300 Millionen Stück.

Was aber ist mit dieser geradezu magischen Neun? Laut und still, asketisch und voller Geheimnis tritt sie vor uns hin. Angefüllt mit enormer physischer Kraft. Blicken wir sie an, helfen keine Einordnungen mehr, kein Hinweis auf Pop Art, Colour-Field, Hard-Edge oder Werbegrafik. Sie ist einfach da, wie von einem Kalenderblatt der Zukunft abgerissen. Vor der Neun kommt die Acht. Nach der Neun die Zehn der Vollendung. In der Neun scheint etwas im Werden zu sein, ohne dass wir wissen, was sein wird.

Christus starb in der neunten Stunde, Troja wurde neun Jahre belagert, Odysseus war neun Jahre lang unterwegs. Neun Schwänze hat der Mondfuchs in China. Und wer wirft beim Kegeln nicht gern alle Neune? Neun Musen begleiten den Gott Apoll, neun Leben hat eine Katze, neun Arbeiten muss Herakles erledigen. Was aber die Neun ist, weiß nicht einmal der Neunmalkluge. Was kommt da nur auf uns zu?

Robert Indiana; All photos by flickr.com
Robert Indiana