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Filigran: Ein Wald aus 150 schlanken Stahlstützen trägt die beiden Dächer vor dem Bahnhof in La Chaux-de-Fonds.

Winterharte Häuser 9
Weißer Platz

Als bestünden sie aus Schnee schweben die neuen Metalldächer über dem Bahnhofsplatz in La-Chaux-de-Fonds. Sie schützen Passanten und Wartende vor der Witterung und ordnen die verschiedenen Verkehrsmittel.
von Florian Heilmeyer | 27.02.2017

Nicht nur Häuser, auch mancher Bahnhofsvorplatz will winterhart gestaltet sein. Zum Beispiel derjenige in La Chaux-de-Fonds im Schweizer Kanton Jura, nahe der französischen Grenze. Die Stadt liegt gut 1.000 Meter über Normalnull, die Jahrestemperatur beträgt knappe sechs Grad Celsius, im Mittel gibt es jedes Jahr etwa 150 Frost- und 30 Eistage. Genug Gründe also, sich generell warm anzuziehen und auf den Bahnhofsvorplatz bei seiner Neugestaltung ein großes Dach zu stellen, damit Passagiere, die hier auf Bus, Bahn oder Auto umsteigen, wenigstens ein bisschen vor dem Wetter geschützt bleiben.

Im Wettbewerb für die Neugestaltung des Platzes konnte sich 2011 das Büro Frundgallina von Jean-Claude Frund und Antonio Gallina durchsetzen. Statt einem bauten sie sogar zwei Dächer: extrem flache, rechteckige Metallscheiben, die auf sehr schlanken Stahlstützen hoch über dem Vorplatz schweben. Durch diese Bauten wird der Bahnhofsplatz in zwei Bereiche geteilt: Die Fläche im Osten ist Fußgängern und Radfahrern vorbehalten, während im Westen Busse und Taxen auf drei breiten Fahrspuren vorfahren können. Die rechteckige Form der beiden Dachplatten bezieht sich auf den schachbrettartigen Grundriss der der „Uhrenstadt“ La Chaux-de-Fonds, die seit 2009 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Die zentrale Sichtachse des Stadtgrundrisses  läuft genau auf das wuchtige Bahnhofsgebäude zu, durch die Zweiteilung des Daches bleibt sie offen.

Gut sortiert: Durch die Zweiteilung des Daches bleibt die Sicht auf den Bahnhof frei.

Trotz der zu berücksichtigenden Schnee- und Eislasten wirken beide Dachscheiben sehr leicht. Das liegt auch an den äußerst schlanken Stahlstützen, die in verschiedenen Rastern unter die beiden Dächer gestellt wurden um die Unterschiede der beiden Bereiche deutlich zu unterstreichen: das größere Dach, das die Bussteige überspannt, wird von 71 Stützen mit 127 Millimeter Durchmesser getragen. Sie wurden „ordentlich“ in vier Achsen entlang den Fahrspuren aufgestellt. Die 73 Stützen des kleineren Daches, die sogar nur 114 Millimeter Durchmesser haben, wurden hingegen frei verteilt. Fahrräder und Fußgänger flitzen unter ihnen kreuz und quer. Ihre Gestaltung lässt an aktuelle japanische Architektur denken wie etwa an das Kanagawa Institute of Technology von Junya Ishigami, dessen Innenraum ebenfalls von betont unregelmäßig verteilten, sehr weißen und sehr dünnen Stahlstützen geprägt wird.

Partnerschaft: Unter dem großen Dach halten Busse und Taxen, das kleinere schützt Fußgänger und Radfahrer.

Die beiden dünnen Dächer sind auch im Kontrast zu dem dicken Bahnhofsgebäude schon zu echten Hinguckern geworden. Noch deutlich unterstrichen wird diese Wirkung aber durch die Neuorganisation der Bewegung auf dem Vorplatz. Die Einteilung in eine Platzhälfte mit linearen Fahrbewegungen und einer anderen Hälfte mit dem Kreuz- und Querlaufen der Menschen ist eine Choreographie, der man stundenlang zuschauen könnte auf diesem neuen, im Sommer wie im Winter „Weißen Platz“ von La Chaux-de-Fonds.

Mischungsverhältnisse: Entlang der Fahrspuren stehen die Stützen ordentlich in vier Reihen, unter dem Fußgängerdach wurden sie wie zufällig verstreut.