Was ist ein Ding? Ein beliebiger Gegenstand, ein materialisierter Gedanke, ein junges Mädchen oder ein Ungeheuer aus einer Phantasiewelt? Je nach Gestalt und Kontext kann ein Ding eine Funktion erfüllen, die Sinne erfreuen oder Gefühle wecken, sexuelles Verlangen entfachen oder spirituellen Wahrheiten dienen. Mit der Idee des Verborgenen, Geheimnisvollen und Unspezifischen spielt „Das Rätsel von Isidore Ducasse" von Man Ray. Etwas ist vollständig in einen groben braunen Stoff eingepackt, der durch eine einfache Paketschnurr zusammen gehalten wird. Über den Inhalt kann man nur spekulieren. Lediglich die Maße des Objekts und das Jahr seiner Verpackung - 1920 - lassen sich eindeutig benennen.
Die Ausstellung „Surreale Dinge" in der Schirn Kunsthalle zeigt dreidimensionale Werke des Surrealimus. Die Bewegung wurde Anfang der zwanziger Jahre von André Breton ins Leben gerufen, der Schwerpunkt lag zunächst auf Literatur, Malerei, Fotografie und Film. Salvador Dali regte um 1930 an, eine neue Gattung einzubeziehen - das „symbolisch funktionierende Objekt". Alle Werke verbindet miteinander, dass sie Träumen und Phantasien zu entstammen scheinen. Häufig werden Alltagsobjekte so verfremdet, dass sie sich ihren ursprünglichen Funktion entwinden und gängigen Deutungsmustern entziehen. Was Größe, Material und Typologie angeht, scheint es keine weiteren Gemeinsamkeiten zu geben.
Die Aufmerksamkeit eines Designers fällt naturgemäß auf die Dinge, die mit Inneneinrichtung zu tun haben: Oscar Dominquez beispielsweise stattete um 1937 eine Holzschubkarre mit einer Polsterung aus rotem Samt aus. Seine Schubkarren-Sofas waren zeitweise in einigen Pariser Salons zu sehen und Man Ray fotografierte ein Model im Abendkleid in einem der rollbaren Lounge-Möbel. Kurt Seligmann baute 1938 einen Hocker aus vier Frauenbeinen, wie sie in Strumpfgeschäften zur Dekoration genutzt werden. Die Beine sind mit Seidenstrümpfen bekleidet und tragen Pumps, die Sitzfläche schmückt ein Satin-Röckchen. Leonor Fini entwarf 1939 einen Stuhl in Form einer Korsage, der im gleichen Jahr zusammen mit dem „Table with Bird`s Legs" von Meret Oppenheim in einer Ausstellung über fantastische Möbel in der Pariser Galerie René Drouin gezeigt wurde.
In der aktuellen Ausstellung der Schirn Kunsthalle fällt der Blick des Designers - kaum zu glauben - nicht nur auf die Ausstellungsstücke, sondern auch auf die Podeste darunter. Es sind keine weißen oder schwarzen Quader, wie sie sonst oft in Ausstellungen verwendet werden, sondern erinnern an Möbel. Bei der Eröffnung erklärte die Kuratorin Ingrid Pfeiffer, dass die Ausstellungsdesigner, um sich inspirieren zu lassen, Einrichtungszeitschriften aus den dreißiger Jahren gesichtet haben. Nicht, um Tische, Kommoden und Schränke eins-zu-eins nachzubauen, sondern lediglich, um sich an deren Grundformen und Volumina zu orientieren, die sie dann in dunkelbraunem Sperrholz anfertigten.
Alle anderen Objekte speisen sich, wie könnte es auch anders sein, aus Regionen jenseits des Realen. Womit wir wieder bei der Frage wären, die in dieser Ausstellung keine Ruhe gibt: Was ist ein Ding? Was kann es sein? Oder: Wann ist etwas ein Sockel, wann ist es ein Möbel - und wann etwas ganz anderes?
Surreale Dinge
Vom 11. Februar bis 29. Mai 2011
Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main
www.schirn.de