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Werner Sobek

NACHHALTIGKEIT
"Fröhlich pfeifend mit Vollgas in die Katastrophe"

ArchitektInnen und IngenieurInnen gehören zu jenen Menschen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Welt zu verbessern. Doch was macht einer, der zu der Erkenntnis gelangt, dass die Welt nicht mehr zu retten ist, wenn man so weiterbaut wie bisher? Der Architekt und Ingenieur Werner Sobek offenbart im Gespräch mit unserem Autor Falk Jaeger verstörende Wahrheiten.
von Falk Jaeger | 03.04.2023

Werner Sobek ist weltweit einer der gefragtesten Architekten und Ingenieure. Er hat alles gebaut, was groß und schwierig ist, WM-Stadien und Wolkenkratzer, Brücken und Plusenergiehäuser. Doch die Arbeit an innovativen Tragwerken, die Erforschung neuer Baumaterialien und smarter Konstruktionsweisen, für die er bekannt und renommiert ist, überlässt er inzwischen in weiten Teilen seinen NachfolgerInnen an seinem früheren Stuttgarter Lehrstuhl und in seinem Büro. Weil er Wichtigeres zu tun hat, denn es geht um das Wohlergehen zukünftiger Generationen, und zwar schon der allernächsten.

Was Sobek in seiner ruhigen, eindringlichen Art zu sagen hat, lässt für Optimismus wenig Spielraum. Das Weltklima ist nicht mehr zu retten. Eigentlich. Dabei ist Werner Sobek kein Wanderprediger der Apokalypse. Aber er hat im Rahmen der Entwicklung energiesparender Bauweisen und Nullenergiehäuser den Blick aufs Ganze gerichtet. Und er hat in mühsamer Recherchearbeit akribisch nachgewiesen, dass viele umweltbezogene Daten, mit denen Politik und Fachwelt arbeiten und argumentieren, nicht korrekt, manchmal sogar falsch sind. Oft fehlt es darüber hinaus an Verknüpfungen, an Bewertungen, ganz zu schweigen von Konsequenzen und Handlungsanweisungen für Politik und Gesellschaft.

Rendering Plusenergie-Quartier P18 in Stuttgart-Bad Cannstatt

Ein Beispiel für die Korrektur gängiger Werte?

Seit zwei Jahrzehnten wird eine Zahl so oft wiederholt, dass sie praktisch Gemeinwissen ist, nämlich dass das Bauwesen 40 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verursache. Doch es klingt weitaus dramatischer, wenn Sobek vorrechnet: "Wo sind in dieser Zahl die Emissionen, die bei der Herstellung und dem Transport der Baumaterialien, wo sind die, welche beim Abbruch der Gebäude entstehen? Und wo sind die Emissionen, die bei der Herstellung, dem Betrieb und dem Rückbau der Infrastrukturbauten entstehen? Sie fehlen. Wenn man aber alles addiert, dann kommt man auf eine Größenordnung von mehr als 50 Prozent. Das heißt, das Bauwesen in Gänze steht für das Gros der klimaschädlichen Emissionen."

Sobek sieht eine Vielzahl großer und kleiner Umweltsünden und -katastrophen. Aber er konzentriert sich auf das Wichtigste, die Erderwärmung – und hier auf deren bedeutendsten Verursacher, den Ausstoß klimaschädlicher Gase. Darüber, was das bedeutet, lässt er keinen Zweifel: "Das 1,5-Grad-Ziel ist mit Sicherheit nicht einzuhalten, auch wenn viele immer noch so reden, als sei dies möglich. Ich sehe das nicht mehr. Aber: Wenn die weltweite Jahresmitteltemperatur um zwei Grad oder mehr steigt, dann bedeutet das ja nicht nur, dass viele Küstengebiete überflutet werden. Es heißt vor allem, dass viele Regionen mit großen Trocken- und Übertemperaturphasen überzogen werden, die zu Ernteeinbrüchen, dramatischen Hungersnöten und weit verbreitetem Trinkwassermangel führen. Und zu daraus resultierenden Migrationen von vielen Millionen von Menschen, die man nur schwer lenken können wird." Selbst wenn der Anstieg der Weltbevölkerung und des weltweiten Lebensstandards stagnieren würden, wäre die Emission von Treibhausgasen nicht zu bremsen. Sieben Jahre weiter so, dann ist Schluss, dann ist der Temperaturanstieg unumkehrbar.

Wie hängt das mit dem CO2 zusammen?

"Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten wollen, dürfen wir ab heute nur noch ungefähr 290 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent freisetzen, also CO2 plus in CO2-Wirksamkeit umgerechnete andere klimaschädliche Gase wie Methan. Das hört sich nach sehr viel an. Aber wir müssen wissen, dass die Menschheit pro Sekunde circa 1.300 Tonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert. Das heißt, dass wir das aktuell noch verbleibende CO2-Kontingent in sieben Jahren aufgebraucht haben. Dann ist Schluss. Dann ist das Ziel gerissen". Die "Klimaziele" der Regierung sind ein verzweifelter Versuch, das Kontingent erstmal einzuhalten. Sie zielen auf den Status quo. Aber wie geht es weiter? Die meisten Berechnungen gehen von den heutigen globalen Lebensstandards aus und berücksichtigen nicht die Entwicklung in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Doch wer wollte den Menschen in Schwellenländern die Teilhabe an Fortschritt und Lebensqualität verwehren?

Experimentalhaus "R128" von Werner Sobek, Stuttgart

Was bedeutet das zum Beispiel im Bauwesen?

"Wenn wir fragen, wieviel Baustoffe ein Mensch besitzt, dann sind das im weltweiten Durchschnitt ca. 148 Tonnen, in der sog. Dritten Welt jedoch nur ca. 76 Tonnen. In den Industrieländern errechnen wir über 400 Tonnen pro Kopf. Wir können sagen, dass der unterste Rand des Standards der Industrieländer, quasi der Eintritt in das bauliche Niveau der Industrieländer, vielleicht bei ca. 335 Tonnen pro Kopf liegt. Die Industrieländer haben umfassenden Zugang zu Bildung, zu medizinischer Versorgung, zu Infrastruktur, Dinge, die in der sog. Dritten Welt oft fehlen. Wenn wir diesen Standard den 6,6 Milliarden Menschen der sogenannten Dritten Welt zukommen lassen wollen, dann müsste man ca. 1.800 Milliarden Tonnen Baustoffe bereitstellen. Eine entsprechende Betonwand, einmal um den Äquator reichend und 30 Zentimeter stark, wäre knapp 60 Kilometer hoch!".

Sobeks Erkenntnis: Die Menschheit hat kein Energieproblem, sie hat ein Problem mit den klimaschädlichen Emissionen. Das Bauwesen betreffend, könne man den gesamten Katalog an Energiesparmaßnahmen durch zwei Sätze zu ersetzen: "Das Emittieren von Treibhausgasen ist bei Herstellung, Betrieb und Abriss der gebauten Umwelt ab einem zu vereinbarenden Zeitpunkt verboten. Unvermeidbare prozessbedingte Emissionen sind durch Kompensationsmaßnahmen auszugleichen." Dem ist nichts hinzuzufügen. "Nur" noch das Datum. Das klingt alles ziemlich pessimistisch. Auch wenn Sobek an konkrete Maßnahmen geht: "Wenn wir das gesetzlich vorgeschriebene Einsparziel von 65 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber 1990 einhalten wollen, dann müssen wir aus unseren Gebäuden in den kommenden acht Jahren jährlich circa 644.000 Heizsysteme ausbauen und durch emissionsfreie Systeme ersetzen. Wenn alle InstallateurInnen Deutschlands zukünftig nichts anderes mehr machen als Heizungen gegen Wärmepumpen oder andere Systeme auszutauschen, dann schaffen sie trotzdem nur einen Teil dieser Menge. Zudem steht eine weitere Frage im Raum, nämlich die, ob wir diese 644.000 technische Systeme überhaupt zum Einbau bereitstellen können, einschließlich allem, was dazugehört. Wer stellt diese Produkte her?"

Werner Sobek behält den kühlen Blick des Wissenschaftlers. Wer zum Beispiel verkündet, mit Holzbau könne man die Treibhausgasemissionen des Bauwesens weitgehend einsparen, macht einen Denkfehler, denn mit Holz kann man weder Fundamente aller Art noch Brückenköpfe, Autobahnbrücken, Schleusen, ICE-Tunnel oder U-Bahnen bauen. Auch das Bauen mit Holz, rechnet Sobek vor, ist keineswegs der unproblematische Königsweg. Dessen Effekt an CO2-Einsparung sei weitaus geringer als von vielen behauptet. Bäume benötigen zehn bis fünfzehn Jahre, bis sie ihre maximale jährliche CO2-Aufnahmefähigkeit erreichen. Danach sollten sie noch mindestens zwei bis drei Jahrzehnte stehen bleiben, werden aber meist schon vorher gefällt. Und die Schösslinge fangen erstmal wieder bei null an. Ein großer Teil der Masse eines gefällten Baumes geht in die thermische Verwertung, der im Baum enthaltene Kohlenstoff wird also in Form von Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre abgegeben. Doch so oder so, ganz oben auf der To-do-Liste steht: "Wir müssen wie wahnsinnig Bäume pflanzen!".

Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling (UMAR), Dübendorf. Entwurf von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel
Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling (UMAR), Dübendorf. Entwurf von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel

Sollte man mehr mit Lehm oder mit Ziegeln bauen?

"Ja. Wir müssen aber generell beachten, dass wir zukünftig mehr mit regionalen Baustoffen arbeiten sollten, um die transportbedingten Emissionen zu reduzieren. Man darf den benötigten Lehm also nicht über große Distanzen antransportieren. Er muss lokal verfügbar sein. Und für höhere statische Belastungen muss er bei ca. 900 Grad zu Ziegeln gebrannt werden. Wetterfeste Klinker werden bei circa 1.400 Grad gebrannt. Das alles ist kein technisches Problem. Man muss aber zukünftig bei der Erzeugung der Wärme auf das Verbrennen fossiler Energieträger verzichten. Ich kann mir auch eine Revitalisierung des Bauens mit regional vorhandenem Naturstein vorstellen. In summa aber geht es darum, Masse einzusparen und weniger zu transportieren – denn das Hauptproblem sind die Emissionen."

Gibt es eine energetisch optimale Bauform?

"Das ist schwer zu sagen, zumal das Thema nicht hinreichend erforscht ist. Man kann aber sagen, was keine optimale Bauform ist. Das sind freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser. Im Vergleich zu anderen, kompakteren Bauweisen sind bei ihnen die Mehraufwendungen an Straßen- und Wegeflächen sowie Ver- und Entsorgungsleitungen besonders groß."

Einerseits betreibt Werner Sobek Datamining, trägt an Daten und Fakten zusammen, was verfügbar ist. Dann macht er die Daten handhabbar, vergleichbar, wenn etwa verschiedene AkteurInnen mit unterschiedlichen Maßeinheiten arbeiten, mit Steinkohleeinheiten, Exajoule, oder kWh zum Beispiel. Sodann erklärt, verdeutlicht, bewertet er globale und regionale Sachverhalte, Verkehrssysteme, Materialien, Bauweisen et cetera, alles in der Absicht, den Zustand der Welt unabweisbar und schonungslos darzulegen und Beschönigungen, Ausreden und Relativierungen zu entlarven und bloßzustellen. Um schließlich in einem letzten Schritt zu gesellschaftlichen und politischen Folgerungen und Forderungen zu gelangen. Die sehr radikal ausfallen, denn es gebe zahlreiche Initiativen, Programme und politische Agenden. Aber wir haben keine Zeit mehr, es gehe alles zu langsam, wir müssen schneller, effektiver und radikaler handeln.

Detail Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling (UMAR), Dübendorf. Entwurf von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel

Man gewinnt nicht den Eindruck, dass Werner Sobek mit Zuversicht in die Zukunft blickt: "Wir fahren fröhlich pfeifend mit Vollgas in die Katastrophe.", meint er. "Die große Tragödie der Menschheit ist, dass man CO2 weder sieht noch riecht." Die dramatische Dringlichkeit der Klimakatastrophe lässt sich einfach nicht vermitteln.

Über Werner Sobeks Arbeit, zunächst die Bestandsaufnahme, ist ein Buch erschienen, der erste Band einer Trilogie: "non nobis – über das Bauen in der Zukunft. Band eins: Ausgehen muss man von dem, was ist". Es ist verstörend. In Kürze erscheinen die Bände zwei und drei, in denen Sobek Konsequenzen und Handlungsoptionen aufzeigt.

Werner Sobek über sein Buch "non nobis" – Teil 1 der Podiumsdiskussion zu Klima und Ressourcen
Werner Sobek – Skizzen für die Zukunft
Podcast: #11 non nobis mit Werner Sobek