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Annabelle von Reutern, Head of Business Development bei Concular

An der Wurzel packen

Concular befördert das zirkuläre Bauen und unterstützt die Baubranche somit bei der Zielsetzung ressourceneffizient und CO2-neutral zu werden. Mit Hilfe ihrer digitalen Datenbank werden Materialien und Produkte sichtbar, die für ein neues Projekt wiederverwendet werden können. Das Konzept erklärt uns Annabelle von Reutern, Head of Business Development, im Interview.
27.03.2023

Anna Moldenhauer: Concular schließt Materialkreisläufe, indem Abrissbauten auf wiederverwend bares Material geprüft werden und der Bestand anschließend für den Weiterverkauf digitalisiert wird. Wie finden Sie die Gebäude, die geprüft werden können?

Annabelle von Reutern: Das Schöne ist, die kommen zu uns. Wir werden von BestandshalterInnen, ProjektentwicklerInnen kontaktiert. Das ist eine sehr privilegierte Situation. Parallel informieren wir uns über die einschlägigen Portale wo etwas abgerissen, umgebaut oder neu gebaut wird und kontaktieren die Projektverantwortlichen.

Wie können ArchitektInnen und PlannerInnen die Concular-App nutzen, um das Baumaterial zu erwerben?

Annabelle von Reutern: Die App wurde in erster Linie für die Bestandserfassung entwickelt und wird aktuell von uns intern verwendet. Nach der Prüfung der Aufträge, die wir von den BestandshalterInnen bekommen, begehen wir die Baustelle im Team und nehmen mit der App alle Bauteile auf, die schadstofffrei, zerstörungsfrei ausbaubar und marktgängig sind. Diese Auswahl wird dann als Inventar in unserem Shop zum Verkauf angeboten angezeigt. Aktuell nutzen wir für den Handel Shopify. Das mittelfristige Ziel ist natürlich, dass das alles auf der Plattform passiert. Unser Team setzt sich zu einem Drittel aus SoftwareingenieurInnen zusammen, die an dieser tüfteln. Über die Plattform können bereits heute Life-cycle Passports über BIM Modelle erzeugt werden. Das Matching aus Angebot und Nachfrage ist dann der nächste Schritt.

Wie legen Sie die Preise fest?

Annabelle von Reutern: Der Verkaufspreis für die Baumaterialien setzt sich aus dem Materialrestwert sowie den erhöhten Rückbaupreisen zusammen. Das heißt, wir müssen früh von den Rückbauunternehmen wissen, welche Preise sie aufrufen, um beispielsweise eine Tür nicht zu zerschreddern, sondern sie selektiv werterhaltend auszubauen, zu palettieren und zum Ausgang des Gebäudes zu transportieren. Das ist ein Preistreiber, da viele Rückbauunternehmen nicht dazu bereit sind, zusätzlichen Aufwand auf sich zu nehmen. Sie sehen keinen Vorteil darin. Wir können zwar auf Erfahrungswerte zurückgreifen, aber die Kosten für diesen Service sind im ständigen Wandel. Anschließend müssen wir schauen, welcher Preis für das Produkt marktgängig ist und uns noch eine Marge ermöglicht. Niemand wird das Doppelte des Marktpreises für ein gebrauchtes Produkt bezahlen. Wir leben nach wie vor in einer Wegwerfgesellschaft und die Umweltfolgekosten werden nicht mitgerechnet. Auch bei öffentlichen Ausschreibungen gewinnt das günstigste Produkt. Und da ist ein Unternehmen wie unseres teilweise nicht kompetitiv genug. Der Rückbau ist je nach Art des Produkts, Prüfungsaufwand und Aufbau meist teuer.

Prüfung und Dokumentation
Bestandserfassung mit der Concular-App

Wie erfolgt der Transport zu den KundInnen?

Annabelle von Reutern: Auch das kommt darauf an. Wir haben vor kurzem beispielsweise ein gesamtes Holztragwerk verkauft. Es waren zwei Käuferinnen, die sich selbst um die Logistik und die Weiterverarbeitung gekümmert haben. Es kann aber auch sein, dass uns diese Aufgabe zukommt. Unser Angebot ist noch neu, die Prozesse sind nicht etabliert und müssen in einem Try-and-Error-Prinzip gefunden werden. Dazu gehört die Frage, wie man die bestehende Infrastruktur von linear zu zirkulär konvertieren kann. Concular ist im Grunde ein Vermittler, ein Pionier und auch ein Multiplikator. Wir bauen die Wertschöpfungskette partnerschaftlich mit den Unternehmen auf, die bereits im Markt sind.

Die Methode "Try-and-Error" ist für Concular durchaus erfolgreich – zu Ihren absolvierten Projekten gehören unter anderem große Kaufhäuser, Büroräume und Sportstadien. Ebenso führen Sie Kooperationen mit Unternehmen wie Lindner, um speziell dessen Systemtrennwände auszubauen und wiederzuverwerten. Sprich Ihre Projekte sind sehr vielseitig. Wie kann ich mir die Aufgabenverteilung im Team vorstellen?

Annabelle von Reutern: Von einer ersten Bewertung bis zur Bestandserfassung ist eine Person für das Projekt verantwortlich und wird anschließend an das Sales Team übergeben. Wir haben aber auch Architektinnen, die sich rein auf die Beratung von zirkulärer Beschaffung und Bauweise konzentrieren. Wir haben mittlerweile ein knapp 40-köpfiges Team, die in mehreren deutschen Städten, wie Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg oder Berlin sitzen.

Bestandserfassung: Fotografische Dokumentation

Wie ist der Stand beim Circular House, dem Hauptsitz von Concular in Berlin?

Annabelle von Reutern: Den Innenausbau des Circular Houses hat das Architekturbüro LXSY entworfen, in Kooperation mit dem Impact-Hub und Transform als Bauherr. Wir hatten uns vorab verschiedene Bürooptionen angeschaut und das Circular House entspricht absolut unserer Philosophie. Zudem ist es hilfreich, dass unser eigenes Büro gleichzeitig ein Beispiel dafür ist, wie der Bau mit bestehenden Materialien aussehen kann. Siebzig Prozent des verbauten Materials im Circular House wurde zum zweiten Mal verwendet. Das hatte auch zeitliche Vorteile, denn dank der "Re-used"-Materialien konnte der Bau ablauf ohne Verzögerungen eingehalten werden. Neue Ressourcen waren teilweise nicht lieferbar und wenn dann nur mit hohen Mehrkosten. Ich denke oft ist die Ursache dafür, dass man in Deutschland Bestandsmaterialien nicht nutzt, einfach nur eine grundlose Angst. Angst vor Verantwortung, Angst vor vereinigten Hüttenwerken, Angst vor Gebrauchtem. Ich finde es erstaunlich, wie viel Angst in einer Nation stecken kann. Und wie wenig innovationsbereit wir sind. Ich bekomme oft den Eindruck, dass Bedenkenträgertum unser höchstes Gut ist. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber die meisten reden nur, statt zu starten. Und das macht mich ziemlich wütend.

"Bestandsgebäude sind Materiallager" ist ein Motto von Concular und in der Industrie herrscht zudem ein Mangel an Baustoffen. Dennoch nutzt die Branche nur etwa ein Prozent der Materialien ein zweites Mal. Gibt es neben dem deutschen Bedenkenträgertum noch weitere Gründe, warum das so ist?

Annabelle von Reutern: Wir sind allgemein eine privilegierte Nation. Lange Zeit ging es in der Bau- und Immobilienbranche nur nach oben. Die Branche musste sich keine Mühe geben, innovativ zu sein. Sie wurden den letzten Schrott zu sehr, sehr guten Preisen los. Wenn man auf diese Weise Millionenbeträge verdienen kann, warum sollten die Beteiligten etwas an dem System ändern? Dafür muss verstanden werden, , dass wir alle ein Teil des Ganzen sind. Stattdessen haben wir uns von der Umwelt entfremdet. Allein der Begriff "Umwelt" – was bedeutet das? Um was? Der Mensch ist nicht das Zentrum, um das sich alles dreht. Vor kurzem habe ich mit dem Bauingenieur und Architekt Werner Sobek, der die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) mitgegründet hat, einen Podcast aufgenommen, in dem wir unter anderem diese Entfremdung von dem Wissen, das unser Planet kostbar ist und Ressourcen endlich sind, diskutiert haben. Statt wertschätzend mit dem umzugehen, was wir haben, sind wir abgekapselt. Wir haben die Identität, Wertschätzung und Verbindung zur Natur verloren. Wir finden es normal, Materialien wegzuschmeißen, statt sie wiederzuverwenden. Wir finden es normal einen Coffee-to-go-Becher zehn Minuten zu verwenden und ihn dann auf den Müll zu werfen. Die Spezies Mensch ist die einzige Spezies, die Müll produziert. Wer hat diesen Begriff eigentlich erfunden, warum darf es das überhaupt geben? Hinzu kommt die Sorge vor dem Unbekannten und das ein zirkuläres Bauen womöglich noch mehr Arbeit produziert. Wir haben alle viel zu tun und die Wertschöpfungskette ist komplex, Bauen ist komplex, da alle Gewerke zusammenhängen. Neben all den DIN-Normen und Verordnungen, diesen Aspekt ebenso zu beachten, überfordert viele. Das bisherige System funktioniert zwar nicht mehr, ist aber zumindest vertraut. Die Situation, die wir gerade in der Branche haben, ist im Grunde ein großes Chaos. Wir stehen mit einem Fuß in der alten Welt, mit einem in der neuen.

Was können ArchitektInnen und BauherrInnen jetzt umsetzen, damit der Kreislauf schneller in Schwung kommt, anstatt den Begriff der "Zeitenwende" weiter zu dehnen?

Annabelle von Reutern: Politisches Engagement ist wichtig. Sei es in den Architektenkammern, im Büro oder bei Architects for Future. Wir müssen uns aus der Ohnmacht in die Selbstermächtigung bewegen. Hinterfragen, ob es keine anderen Möglichkeiten gibt, wenn in einem Projekt zum Beispiel Gipskarton verbaut oder Nadelfilz verklebt werden soll. Den Job zu wechseln, wenn sich das eigene Büro gegen die Nachhaltigkeit ausspricht, ist auch ein Statement. Wir müssen uns überlegen, wo wir unsere Arbeit und Ressourcen einsetzen wollen und was mit den eigenen Werten übereinstimmt. Ein weiterer Punkt ist die Weiterbildung. Zirkuläres Bauen war für die meisten ArchitektInnen und Innenarchitektinnen kein Teil Ihrer Ausbildung. Mittlerweile gibt es dahingehend viele tolle Angebote, von Webinaren über Fachbücher wie dem Recycling-Atlas, bis zu Formaten wie "Lunch and Learn". Das kann auch eine interne Fortbildung in Zusammenarbeit mit dem eigenen Unternehmen sein. Sicher kostet diese Weiterbildung Zeit, aber sie ist ein Investment, das sich auszahlt. Wichtig finde ich zudem, keine Angst vor Fehlern zu haben. Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der ein Scheitern sehr kritisch betrachtet wird. So kommen wir nicht weiter. Es muss zugelassen werden, dass nicht alles gleich perfekt ist.

Bestandserfassung: Fotografische Dokumentation
Bestandserfassung: Ausmessen

Wie können kleine Schritte zum Ziel des zirkulären Bauens aussehen?

Annabelle von Reutern: Ich empfehle meistens, mit den Leuchten anzufangen. Wir haben viele hochwertige Produkte in unserer Datenbank, wie von Zumtobel, Trilux oder Erco, die auf LED umgerüstet werden können. Damit zu starten ist schon so viel besser als nichts zu tun. Mit jedem Projekt lernt man dazu. In Architekturwettbewerben ist es zudem immer sinnvoll, statt eines Neubaus einen Umbau vorzuschlagen und Concular bei Bauherren mit in die Planung bringen. Egal in welcher Rolle wir uns befinden, wir müssen uns überlegen, wie wir einen Unterschied bieten können und diese Möglichkeiten nutzen.

Die Gründer von Concular haben zuvor mit Restado einen Onlinemarktplatz für wiederverwendbare Baustoffe aufgebaut, der sich in erster Linie an Privatpersonen/ Kleinunternehmen richtet. Mit Concular werden nun professionelle AkteurInnen an der Baubranche angesprochen, welche Erfahrungswerte konnten Sie hierfür nutzen?

Annabelle von Reutern: Die wichtigste Erkenntnis ist sicherlich, das ganzheitlich gedacht werden muss. Es reicht nicht, das Problem wieder auf die Privatwirtschaft abzuwälzen, da es ein systemisches Problem ist. Und das müssen wir gemeinsam an der Wurzel fassen, anstatt die Verantwortung auf andere zu übertragen.

#4 Zirkularität und Zukunft – welches Potenzial im Bauwesen steckt – mit Werner Sobek und Annabelle von Reutern (Deutsch)
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