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Rationale Schönheit

Das von den Architekten New How konzipierte Wochenendhaus Nové Hamry im tschechischen Erzgebirge ist die gebaute Antwort auf die natürliche Umgebung: Aerodynamisch, aber kantig im Design, treten klassische Elemente wie Dach und Wand zugunsten einer klaren Formensprache zurück, um für das Auge des Betrachters miteinander zu verschmelzen.
von Linda Pezzei | 22.07.2021

David Zámečník ist nicht nur Architekt und Partner des in Prag ansässigen Kreativ-Duos New How architects, sondern gemeinsam mit Petra Lehká gleichzeitig Bauherr und Auftraggeber des Wochenendhauses Nové Hamry in den westlichen Wäldern nahe Karlsbad. Die Ansprüche an Form und Design waren dementsprechend groß. Sich aus dem Bauplatz ergebende natürliche Aspekte wie die Landschaft, Blickbeziehungen, Schneefall, Wind und Sonneneinstrahlung waren dabei ebenso ausschlaggebend wie der Wunsch nach einem Aussichtsturm: "Die Form entstand als rein rationale Reaktion auf die spezifischen Kundenbedürfnisse", erklären New How architects und ergänzen: "das Haus ist so geformt, dass die räumliche wie energetische Effizienz maximiert wurde." Nur wenige Meter vom Waldrand entfernt, reckt sich das Ferienhaus den Wipfeln der Fichten markant entgegen. Im Vergleich zu ähnlichen Objekten in der Nähe – allesamt weiß verputzte Ausrufezeichen in der Landschaft – muss man hier schon zweimal hinsehen. Es scheint fast so, als wollte sich das Haus gleich einem scheuen Wildtier zwischen den Bäumen verstecken.

Das Design basiert auf der Naturgestalt, die zahlreiche Schattierungen bereithält: Hellgraue Felsen aus Granit und Basalt, dunkelgrüne Nadeln und aschbraune Stämme der für die lokalen Wälder typischen uralten Fichten – je nach Lichtstimmung lässt sich eine unglaubliche Tiefe an Farbtönen wahrnehmen. "Uns war von Anfang an klar, dass die Fassade und das Dach des Ferienhauses mit Aluminium in einer ähnlich dunklen Farbe verkleidet werden sollten", sagen New How. Die tragende Konstruktion wurde aus Brettschichtholz-Paneelen gefertigt – diese umweltfreundliche Technologie, die auf natürlichen Materialien und erneuerbaren Ressourcen basiert, spiegelt den Entwurfsgedanken der Architekten wie Bauherren optimal wider: "Uns gefällt die moderne und effektive Art der Holzverwendung, die zudem durch eine angenehme ästhetische Optik besticht." Etwaige nachteilige Eigenschaften, wie beispielsweise die sich im Laufe der Zeit oder bei wechselnden Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen ergebende Instabilität der Holzform, werden auf diese Weise ganz einfach eliminiert.

Die Struktur der Fassade zeichnet sich durch eine farblich intensive und haptisch raue Oberfläche aus, die vage an geöltes, schwarzes Holz und langsam wachsende Fichtenstämme erinnern soll. Doch Farbe und Oberfläche sind nicht die einzigen auffälligen Komponenten dieses Hauses: Klassische Elemente wie Dach und Wand weichen der klaren, kantigen Form und gehen optisch ineinander über. Das äußere Erscheinungsbild basiert dabei klar auf der szenischen Gestaltung des Innenraums und ist auch als Antwort auf die jahreszeitlich bedingten wechselnden lokalen, klimatischen Bedingungen zu verstehen: "Die winterliche Schneelast erforderte einen steilen Neigungswinkel des Daches." Die Idee, einen "Aussichtsturm" zu integrieren, schlägt sich zudem auf die innere Raumhöhe nieder: "Wir sehen das Bauwerk eher als Turm denn als Haus, als einen Rückzugsort."

Anstelle der üblichen zwei Etagen wurden in Folge drei Handlungsebenen geschaffen – jede mit ganz eigenem Charakter. Ganz oben befinden sich ein Atelier, die Bibliothek und das "Refugium": ein Ort, um die Gedanken schweifen zu lassen. Ein großzügiges quadratisches Fenster rahmt einem Gemälde gleich den Ausblick auf die Baumkronen, den Himmel und die Landschaft. Eine Ebene tiefer, neben dem Bad und der offenen Galerie, befinden sich die Schlafkojen. Der Boden besteht hier zum Teil aus einem transparenten, begehbaren Netz, das sowohl optisch als auch akustisch eine Verbindung zu der sich zuunterst befindenden Ebene herstellt und als Ruhebereich fungiert: "Es ist ein Ort, an dem wir unserer Fantasie freien Lauf lassen können – auf einem Netz zu sitzen und keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, hat etwas mit dem Traum vom Fliegen zu tun – ebenso wie der Blick in den Himmel." Unter dem Netz befindet sich der Gemeinschaftsbereich mit Küche, großem Holztisch und zentralem Kamin – ein Ort der Begegnung und des regen Austauschs. Der teilweise versenkte Keller beherbergt die Haustechnik.

Wie sich das Ferienhaus in die Landschaft fügt, manifestiert sich auch in seiner Interaktion mit der umgebenden Natur. Angepasst an die rauen Jahreszeitenwechsel finden die Bewohner sowohl an heißen Sommertagen, als auch im tiefsten Winter Schutz unter dem weit auskragenden Vordach. Der Wohnraum verschmilzt somit nicht nur optisch, sondern auch physisch mit der Umgebung, bietet aber gleichzeitig Schutz und einen Ort des privaten Rückzugs. Man kann sich beinahe bildlich vorstellen, wie sich in der Dämmerung Rehe und andere Waldbewohner von der Terrasse aus beobachten lassen. Ein Ort, mehr als nur ein Refugium für die Wochenenden?

In naher Zukunft soll das Wochenendhaus tatsächlich ganzjährig bewohnbar sein. Aus diesem Grund bietet es bereits jetzt Schlafplätze für mindestens zehn Personen. Darüber hinaus soll das Energiekonzept des Hauses in weiterer Folge noch adaptiert werden. Geheizt wird derzeit über den offenen Kamin und mit Strom. Anschlusspunkte für eine Photovoltaikanlage und für vertikale Windräder sind auf dem Dach bereits vorgesehen. So kann die Idee des energieautarken Lebens in Nové Hamry bald zur Wirklichkeit werden. Auf die Frage, was bei der Planung eines solchen Mikrohauses das Besondere war, gibt Zámečník lachend zur Antwort: "Man muss Prioritäten setzen und braucht einen verlässlichen Komplizen."