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Die heilende Wirkung des Waldes will die Initiative der Friluftssykehuset Foundation nutzen, um die medizinische Behandlung zu ergänzen.

GESUNDHEIT
Heilende Bäume

Der Wald heilt mit. Snøhettas Holzhäuser blicken als kompakte Rückzugsorte vom Klinikalltag direkt ins Unterholz.
von Jeanette Kunsmann | 15.02.2019

Verfolgte man in den Jahrzehnten nach der Moderne im Bereich der Gesundheitsbauten zumeist eine rationalisierte, allein auf den Zweck ausgerichtete Baukultur, ändert sich das zum Glück gerade wieder: Der Patient rückt zunehmend in den Mittelpunkt. Mit seinem “Outdoor Care Retreat“ stellt das Studio Snøhetta zum Jahresbeginn 2019 eine Art Baumhaus-Architektur für das Universitätsklinikum Oslo und dem Sørlandet Hospital Kristiansand vor. Die aufgeständerten Holzhütten wurden mit einem therapeutischen Ansatz entworfen und sollen den Heilungsprozess unterstützen. Darüber hinaus lassen sie sich auch als Treffpunkt für Patienten und Angehörige nutzen. Man übernachtet in den 35 Quadratmeter großen Hütten zwischen Birken und Eichen und bleibt dennoch in direkter Nähe der Ärzte – die Entfernung von dem “Outdoor Care Retreat“ zur Uniklinik Oslo beträgt keine 100 Meter.

Behutsam und rücksichtsvoll integrieren sich die Holzarchitekturen in den Wald, damit dieser so weit wie möglich unberührt bleiben kann – einen minimalinvasiven Eingriff würden Mediziner es nennen. Daraus ergeben sich die asymmetrischen, kompakten Formen der Cabins – wobei jede barrierefrei geplant ist, sodass sich ein Krankenhausbett durch die Eingangstür schieben lässt. Auch wenn die Einheiten je nach Fläche zwischen den Bäumen individuelle Grundrisse haben, besitzt dennoch jede einen zentralen Raum, ein kleineres Gesprächszimmer sowie ein Bad.

Zwischen den hohen Baumstämmen bricht sich das Licht, es knistert und duftet.
Der Wald kennt keinen Horizont. Hier kann man die Vertikale intensiver erleben als in den meisten Städten.

Während die Holzfassaden mit der Zeit verwittern und sich der Umgebung anpassen, sind die Oberflächen im Inneren mit hochwertiger Eiche verkleidet. Große Fensterfronten blicken in den Wald. Da diese sich komplett öffnen lassen, kann man je nach Wetter tatsächlich mitten zwischen dem Bäumen übernachten – und den erdigen Boden riechen. Laut der Kinderpsychologin Maren Østvold Lindheim, die zu den Initiatoren des Projekts zählt, soll die natürliche, ruhige Umgebung nach Operationen und anderen Behandlungen bei den Patienten für Entspannung sorgen. Waldspaziergänge bauen Stress ab. Und wer nach einer Wohlfühlwaldauszeit zurück in sein Zimmer kommt, bringt ein positives Gefühl mit, von dem wiederum auch die anderen Patienten, Pflegepersonal und Ärzte profitieren.

Die Baum-Häuser verstehen sich somit als eine kleine, aber wichtige Ergänzung des Therapieangebotes: Es sind einzelne Rückzugsorte, an den die Patienten vor dem sterilen Klinikalltag flüchten können. Die ersten beiden Retreats in Kristiansand und in Oslo lassen sich über ein Buchungssystem reservieren, weitere Unterkünfte sind in Planung. Das Projekt verspricht einen kleinen Anfang mit großer Wirkung: Zumindest in Norwegen verwandelt sich das “Krankenhaus“ langsam in einen Ort der Heilung.

Die Patienten der Uniklinik Oslo und des Sørlandet Hospitals Kristiansand sollen sich bei stationärem Aufenthalt wohlfühlen und die Möglichkeit einer Auszeit vom Klinikalltag haben.
Haus mit Baumblick
Aus den Kissen können die jüngeren Patienten der Kinderklinik auch eine eigene Welt zwischen den Bäumen bauen.