Wohnen am Wasser, auf dem Wasser, halb im Wasser: Was nach neuen Siedlungskonzepten klingt, war für Mike Bouchet zunächst eine verunglückte Kunstinstallation. Aus des Künstlers Not machte der Amerikaner aber flugs eine „Signatur", mit der seine Arbeit, wie er sagte, „durch den Zufall des Unfalls" versehen wurde. Da sein Werk im vergangenen Jahr bei der 53. Biennale in Venedig ganz real ins Wasser gefallen war, lag es nahe, die durchweichten Reste nicht nur zu zerlegen, sondern irgendwann auch sinnfällig wiederzuverwerten. Was von seinem „Watershed" damals übrig blieb, liegt nun in Stapeln in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt.
Damit ist aus dem Venedig-Projekt fast wieder das geworden, was es einmal war. Denn Bouchet hatte für die Biennale bei der Firma Forrest Homes in Selinsgrove in Pennsylvania einen Holzbausatz für ein Einfamilienhaus geordert, die Teile nach Anleitung zusammengebaut, das Ganze dann aber aufwendig „schwimmfähig" gemacht und im Hafenbecken der venezianischen Arsenale ausgesetzt. Die Installation aber ging innerhalb nur eines Tages schon zu zwei Dritteln im Wasser unter. Der Traum vom angeblichen Eigenheim, wie er in Amerika von Forrest Homes unter dem Namen „Sir Walter Scott" zig tausendfach verkauft wird und massenhaft in amerikanischen Vorstadt-Siedlungen zu finden ist, platzte schnell. Nicht mit baden ging allerdings die Idee eines neuen Wohnens, eine Besiedelung der Stadt - aufs Wasser erweitert.
Mit „neuem Wohnen", wie die Ausstellung nun in Frankfurt heißt, hat Bouchets fortgeführtes Projekt in der Schirn auf den ersten Blick allerdings wenig zu tun. Was hier präsentiert wird, erinnert viel mehr an Bilder von Katastrophen, wie sie nach Hurrikans oder Erdbeben über die Fernsehschirme flimmern - nur dass die Aufräumarbeiten bereits begonnen haben. Oder hat hier doch ein Bauunternehmen schon das erste Material für ein noch zu errichtendes Haus geliefert? Dann wären die Baustoffe allerdings ziemlich nachlässig und unordentlich verpackt worden. Die Blöcke aus Sperrholz und Dachpappe, zwischen denen Rohre und Leitungen, rostige Nägel, Schrauben und Eisenklemmen herausragen, wirken viel mehr wie frisch aus einer Autopresse.
In fünfzehn fast gleich große Packen hat Bouchet das einstige kompakte Fertighaus aufgeschichtet. Mit dem Massenprodukt im viktorianisch anmutenden Stil greift der Amerikaner, der seit sechs Jahren schon in Frankfurt lebt, eines seiner Grundthemen auf: den Konsum - und auch dessen Scheitern. Was hat er nicht alles schon - meist jedoch in Handarbeit - massenhaft produzieren lassen: 1000 Keramikköpfe von Tom Cruise zum Beispiel („Top Cruise", 2005), die womöglich auch daran erinnern sollten, dass der ja nicht übermäßig begabte Hollywoodstar in seinen Filmen leicht durch einen anderen Schauspieler mit hübschem Gesicht ersetzt werden könnte. In Kolumbien ließ Bouchet für „Carpe Denim" (2004) Jeans herstellen, die er danach genau in der Region, wo die Hosen zwar zugeschnitten und genäht wurden, sie sich aber kaum jemand leisten kann, aus einem Flugzeug abwerfen ließ. Den Jeansregen wiederholte er später - auf der Frankfurter Zeil, der deutschen Einkaufsstraße schlechthin, an der gewiss kein Mangel an dem amerikanischen Kulturgut herrscht.
Mike Bouchet, Jahrgang 1970, ist ein Meister des Absurden: Seine Arbeiten sind aber alles andere als der reine Ulk. Ob er den „Zufall des Unfalls" auf der Biennale in Venedig vorhergesehen hat? Gut möglich. Im Nachhinein vollendete sich damit erst sein Werk, anders als etwa bei der zwei Jahre zuvor durch einen Sturm umgestürzten Arbeit „Template" des Chinesen Ai Weiwei. Auf der „documenta 12" in Kassel hatte Ai eine Skulptur aus Türen und Fenstern zerstörter chinesischer Häuser aus der Ming- und Qing-Dynastie zusammengesetzt, die unter Zwang demontiert worden waren, um Platz für Neues in der boomenden Volksrepublik zu schaffen. Ai wollte damit auch Altes bewahren, als seine Konstruktion in sich zusammenfiel, war das historisch Wertvolle ein weiteres Mal zerstört worden.
Bouchet hingegen wollte kein Mahnmal errichten. Er spielte für „Watershed" mit der kommerziellen Illusion, mit dem Kauf eines solchen Fertighauses könne man zugleich Eigenständigkeit und Individualität erwerben. Was natürlich ein Witz ist, wenn doch schon der direkte Nachbar im baugleichen „Sir Walter Scott" lebt. Ausgerechnet nach dem schottischen Schriftsteller wurde das Fertighaus benannt, genauer: nach dessen Haus „Abbotsford", das mit seinen Erkern, Zinnen, Ecktürmen und Stufengiebeln zum Vorläufer des viktorianischen Baronalstils wurde. Auch dieses absurde Detail reizte Bouchet.
So war der Untergang seiner Arbeit, die architektonisch ein Fremdkörper in Venedig blieb, im Grunde folgerichtig. Bouchet hat die Trümmer danach über Wochen wie ein Bildhauer immer wieder bearbeitet, hat Material entfernt und hinzugefügt, das Ganze wieder und wieder umgeschichtet, bis er irgendwann sein Werk für beendet erklärte. Nun ruhen die fünfzehn Blöcke auf fünfzehn verschiedenen Teppichen. Das einstige Haus wird so auch zum Möbel, mit dem sich wohnen ließe. Aus dem Möbel könnte sogar ein neues Wohnen werden, ist es doch ein weiterer Bausatz für eine eher schlichte Baracke. Diese errichtet am Main - und man hätte ein „Watershed II".
Was er unter „neuem Wohnen" versteht, die Frage beantwortet Bouchet mit seiner Schau in der Schirn nicht wirklich. Allerdings hat er in der Kunsthalle auch ein Maklerbüro eingerichtet, um sich und seine Ideen zu vermarkten. Dazu gehören „Bouchet Pools", Schwimmbäder, deren hochkomplexe Formen die Natur vorgegeben hat, wie es heißt. Daraus sollen Gebäude entstehen, mit denen der Mann aus Kalifornien schon bald die Anziehungskraft überwinden möchte. Wer weiß: Vielleicht können die Häuser ja sogar aufs Wasser gebaut werden.
Mike Bouchet, „Neues Wohnen"
1. Juli bis 12. September 2010
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Der Katalog „Mike Bouchet. Neues Wohnen", herausgegeben von Matthias Ulrich und Max Hollein, erscheint Mitte Juli.