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Nicole Kerstin Berganski und Andreas Krawczyk von NKBAK

Von Tokio nach Frankfurt

Die Architektur von NKBAK folgt keiner bestimmten Formensprache, sondern entwickelt sich aus dem Vorgefundenen. Wir sprachen mit Nicole Kerstin Berganski und Andreas Krawczyk über Frankfurt am Main, den Respekt vor historischen Zeitschichten und den Einfluss japanischer Architektur.
16.02.2022

Alexander Russ: Wie ging es bei euch los?

Nicole Kerstin Berganski: Das fing in Japan an. Dort habe ich als Architektin bei SANAA in Tokio gearbeitet. Zuvor war ich bei Sauerbruch Hutton in Berlin und wollte ursprünglich nur für ein halbes Jahr nach Japan. Daraus wurden dann aber vier Jahre. In dieser Zeit habe ich als Projektleiterin an zwei Projekten gearbeitet: ein Bürogebäude für Novartis in Basel und die Zollverein School in Essen. Andreas war zu dieser Zeit in einem Architekturbüro in Essen angestellt, das die Umsetzung der Zollverein School vor Ort übernommen hat ­– und so haben wir uns kennengelernt. Er ist dann auch nach Japan gekommen, um für zwei Jahre bei SANAA zu arbeiten. Danach war uns klar, dass wir uns selbständig machen wollen.

Warum habt ihr euch in Frankfurt am Main selbständig gemacht?

Nicole Kerstin Berganski: Ich komme ursprünglich aus Berlin und dort ist die ArchitektInnendichte wahnsinnig hoch. Zudem waren unsere ersten Projekte eher im Süden Deutschlands angesiedelt, zum Beispiel die Produktionshalle von Vitra, die wir als Arbeitsgemeinschaft mit SANAA geplant haben. Und dann fanden wir, dass Frankfurt eine ganz gute Basis ist – zum einen aufgrund der Lage, zum anderen, weil es eine coole Stadt mit einem umfangreichen Kulturangebot und einer spannenden, heterogenen Architektur ist.

Entwurfsmodelle von NKBAK

Wie hat euch die Zeit bei SANAA beeinflusst?

Andreas Krawczyk: Nicole hat 2002 dort angefangen, ich selbst 2005. Und da war SANAA noch nicht so bekannt und international aufgestellt wie heute. Das hatte zur Folge, dass wir sehr eng mit den beiden Bürogründern Kazuyo Sejima und Ryūe Nishizawa zusammenarbeiten konnten und mit außergewöhnlichen Aufgaben betraut wurden. Hinzu kamen die japanische Kultur und der Alltag in Tokio. Aber wir machen als NKBAK keine japanische Architektur. Es ist eher der Ansatz von SANAA, formale Dinge und fertige Lösungen grundsätzlich zu hinterfragen, der uns hintergründig beeinflusst hat – und die Frage, wie man diese Herangehensweise in die eigene Kultur überführen kann.

Nicole Kerstin Berganski: Japanische Projekte können tatsächlich auch nur in Japan gebaut werden.

Woran liegt das?

Nicole Kerstin Berganski: Man lebt dort einfach anders. In Deutschland braucht es immer eine Art Komfortzone – sei es der perfekte Schallschutz oder das perfekte Energiekonzept. Japan ist da ganz anders aufgestellt und das ergibt mehr Spielraum bei der Planung. Es geht in Japan also mehr um den Raum und weniger um die Komfortzone.

Andreas Krawczyk:
Die Häuser dort müssen auch nicht die nächsten 50 bis 80 Jahre perfekt funktionieren. Der Umgang mit Architektur ist wesentlich dynamischer: Wenn etwas nicht funktioniert, wird es zurückgebaut.

Wie wird das Thema Nachhaltigkeit in Japan bewertet?

Nicole Kerstin Berganski: Die aktuelle Situation können wir nicht beurteilen. Aber wenn man mal die rein ökologische Nachhaltigkeit beiseitelässt, dann gibt es schon sehr große Unterschiede. Europa beruht auf einer steinernen und monumentalen Kultur, die uns als erhaltenswert gilt. Die japanische Architektur dagegen ist wesentlich filigraner, was vermutlich auch mit der Gefahr durch Erdbeben zusammenhängt. Zudem wird das architektonische Erbe in Japan nicht durch das konkrete Gebäude, sondern durch die ihm zugrundeliegende Bauweise erhalten.

Andreas Krawczyk:
Ein japanisches Haus hat einen wesentlich geringeren Materialaufwand. Das bringt in der Lebensdauer einen höheren Energieeinsatz mit sich, aber in der Herstellung und im Rückbau ist der Energieeinsatz dementsprechend geringer. Und wie Nicole schon sagte: Der Denkmalbegriff ist in Europa sehr objektbezogen, während es in Japan eher um die ihm zugrundeliegende gesellschaftliche Idee geht.

In Frankfurt am Main habt ihr unter anderem den Stylepark Neubau am Peterskirchhof verwirklicht, bei dem das Thema Denkmalschutz eine sehr große Rolle gespielt hat. Ist das ein Beispiel für ein Projekt, wo ihr die japanische Herangehensweise in die eigene Kultur überführen konntet?

Nicole Kerstin Berganski: Beim Entwurf für einen historischen Kontext gibt es ja zwei Herangehensweisen: Entweder man erhält den Bestand, wie er ist, und stellt ihm etwas Gegenwärtiges als Kontrast gegenüber, oder man arbeitet mit dem historischen Kontext in Form eines Weiterbauens. Beim Peterskirchhof haben wir uns zunächst mit beiden Ansätzen beschäftigt, um schlussendlich die vorhandene Friedhofsmauer weiterzubauen, aus der dann der Stylepark Neubau emporwächst. Es handelt sich also um eine Verflechtung von Alt und Neu.

Die Friedhofsmauer ist für sich genommen schon ein Amalgam aus unterschiedlichen Zeitschichten. Dort gibt es ja nicht nur historische Ziegel, sondern auch Betonsteine aus den 1950er-Jahren.

Nicole Kerstin Berganski: Das hat uns sehr interessiert – und wir wollten die einzelnen Zeitschichten auf jeden Fall behalten.

Andreas Krawczyk:
Es hat auch etwas mit Respekt zu tun, den man nicht nur dem 200 Jahre alten Bestand, sondern auch dem 50 Jahre alten Bestand zollt. Das spiegelt dann tatsächlich die japanische Haltung wider: dass es nicht primär um die Formensprache geht, sondern um die kulturelle Idee dahinter.

Ein weiteres Aufgabenfeld bei euch sind Schulen und Kindergärten in Holzmodulbauweise, von denen ihr bereits einige verwirklichen konntet. Wie seid ihr zu dem Thema gekommen?

Andreas Krawczyk: Ganz einfach: Wir wurden angefragt, eine temporäre Schule in möglichst kurzer Zeit zu bauen ­– die Europäische Schule in Frankfurt am Main. Der Bauherr hatte eine Containerlösung im Sinn, was ja mit Architektur nichts zu tun hat, da man keine ArchitektInnen braucht, um ein paar Container übereinanderzustapeln.

Nicole Kerstin Berganski:
Wir sind dann ziemlich schnell von den Containern abgerückt und haben stattdessen eine Holzmodulbauweise vorgeschlagen, was beim Bauherrn sehr gut ankam – und das gilt für alle gelungenen Projekte, egal ob es sich um den Stylepark Neubau am Peterskirchhof oder die Schulen und Kindergärten in Modulbauweise handelt: Man benötigt eine Bauherrin oder einen Bauherrn, die eine entsprechende Offenheit mitbringen.

Das Konzept habt ihr mittlerweile auch in anderen Schulen und Kindergärten umsetzen können. Wie kamen diese Projekte zustande?

Andreas Krawczyk: Die Europäische Schule ist mittlerweile so etwas wie ein Prototyp für Bildungsbauten in Holzmodulbauweise. Damit konnten wir aufzeigen, dass man in kurzer Zeit qualitätsvolle Architektur schaffen kann – und das hat natürlich Folgeaufträge generiert. Es hat auch etwas mit der Konsequenz zu tun, mit der wir die ganze Thematik durchdrungen haben. Im Übrigen waren viele BetrachterInnen nach der Fertigstellung der Europäische Schule der Meinung, dass es sich hier nicht um einen temporären Bau, sondern um etwas dauerhaftes handelt. Das war natürlich ein schönes Kompliment.

Sind weitere Projekte dieser Art geplant?

Andreas Krawczyk: Wir planen gerade Grundschulen und weiterführende Schulen, jeweils inklusive Sporthallen in Berlin. Dafür haben wir die Holzmodulbauweise noch mal weiterentwickelt, da die Schulen auf dem Prinzip der Lernlandschaft mit einem entsprechend offenen Raumkonzept basieren.

Es gibt bei euch auch andere Holzbauprojekte wie das "Haus am Wald" oder das "Haus am See". Habt ihr eine besondere Affinität zu dem Werkstoff?

Nicole Kerstin Berganski: Die Materialität ergibt sich oft aus den planerischen Vorgaben, wie etwa beim "Haus am See". Aber wir mögen den Werkstoff schon ganz gerne.

Andreas Krawczyk:
Aus konstruktiver Sicht ist das Bauen mit Holz mittlerweile unglaublich präzise, mit baulichen Toleranzen im Millimeterbereich. Das zeigt sich unter anderem daran, wie die HandwerkerInnen mit dem Werkstoff umgehen, was sich demensprechend positiv auf die Baustelle und letztendlich auf die Projekte auswirkt.

Man findet in eurem Portfolio auch expressive Ansätze wie bei eurem Wettbewerbsbeitrag für das Wohnhochhaus Grand Central in Frankfurt am Main. Interessiert euch das Skulpturale?

Nicole Kerstin Berganski: Wir entwerfen nie aus der Form heraus, sondern immer aus dem Inhalt. Ein Beispiel ist das Haus im Odenwald, ein Wochenendhaus, bei dem wir den Bestand umgeformt haben, um mehr Platz zu gewinnen. Dafür haben wir lediglich die Firstlinie um 45 Grad gedreht, um zusätzliche Räume im Dachbereich unterzubringen, was aufgrund der Geometrie eine gefaltete Dachlandschaft mit einer bestimmten räumlichen Plastizität erzeugt. Die hat sich aber wie bei anderen Projekten auch aus den planerischen und funktionalen Vorgaben ergeben.

Andreas Krawczyk:
Deshalb gibt es auch keine finale Formensprache, die unsere Architektur kennzeichnen würde. Wir gehen von den Bedürfnissen der NutzerInnen und den vorhandenen Parametern aus und versuchen dann etwas zu finden, was eine räumliche Qualität besitzt.