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Neuer Austausch

Ursprünglich sollte das X-D-E-P-O-T in der Neuen Sammlung in München im November 2020 seine Türen öffnen. Coronabedingt hat sich die Eröffnung nun in das Frühjahr verschoben. Wir sprachen vorab mit Direktorin Angelika Nollert über die kuratorische Idee dahinter.
von Alexander Russ | 11.02.2021

Alexander Russ: Frau Nollert, was ist das X-D-E-P-O-T?

Angelika Nollert: Das ist ein etwa 600 Quadratmeter großer Raum, der zur Neuen Sammlung, dem Designmuseum in der Pinakothek der Moderne, gehört. Er befindet sich im zweiten Untergeschoss und war von Anfang an für die Neue Sammlung gedacht. Dazu ist es dann aber aus verschiedenen Gründen, die vor allem wirtschaftlicher Natur waren, nicht gekommen. Als ich 2014 dann Direktorin der Neuen Sammlung wurde, haben wir uns mit diesem Raum, der bislang nur als Depot genutzt wurde, noch mal auseinandergesetzt, Anträge gestellt und Spenden gesammelt, um ihn in eine Art Schaudepot umzuwandeln. Allerdings hat sich das Konzept im Verlauf des Prozesses dann gewandelt. Der Begriff "Schaudepot" bedeutet ja eigentlich, dass ein Depot zur Schau gestellt wird, was bei uns nicht der Fall ist. Daraus hat sich dann der Begriff X-D-E-P-O-T entwickelt, dem ein kuratorisches Konzept zugrunde liegt. Das X steht für Begriffe wie Exchange, Experiment oder Examine, die deutlich machen, dass der Besucher nicht nur passiver Betrachter der Objekte ist, sondern in die Ausstellung eingebunden werden soll.

Wie soll das genau aussehen?

Angelika Nollert: Wir stellen Tische auf, sowie Dubletten von Stühlen aus unserer Sammlung, die von den Besuchern genutzt werden können – zum Beispiel zum Arbeiten oder Lesen. Zusätzlich wollen wir sogenannte "Hands-On-Objekte" auf den Tischen platzieren. Solche Objekte und deren Nutzung kann man dort ganz unmittelbar erleben. Viele Jugendliche wissen ja gar nicht mehr, was eine Schreibmaschine oder ein Plattenspieler ist. Bei einer Führung hat ein Schüler zum Beispiel mal auf den Schneewittchensarg von Dieter Rams gezeigt und mich gefragt, ob das eine Crêpe-Platte ist. Zusätzlich wollen wir Kooperationen mit Designern, Startups und schulischen Institutionen initiieren. Studierende können sich zum Beispiel von den Objekten des X-D-E-P-O-T inspirieren lassen und eigene Projekte daraus entwickeln.

Wie haben die Architekten Kuehn Malvezzi das kuratorische Konzept architektonisch umgesetzt?

Angelika Nollert: Zunächst galt es, den Raum erst mal im Hinblick auf Bauphysik, Brandschutz und Barrierefreiheit zu ertüchtigen. Beim räumlichen Konzept haben Kuehn Malvezzi dann mit dem Vorhandenen gearbeitet, zum Beispiel mit den existierenden Industrieregalen, in denen Objekte unserer Sammlung bislang aufbewahrt wurden. Der Raum ist in etwa sieben Meter hoch. Da es nötig war, einen Aufzug aufgrund der Barrierefreiheit einzubauen, haben Kuehn Malvezzi einen Steg auf dem Niveau des ersten Untergeschosses eingefügt. Von dort aus kommt man jetzt über den Aufzug oder über eine Treppe ins zweite Untergeschoss. Die neue Steganlage ist weiß gehalten, während die Regale schwarz sind. Dadurch ergibt sich eine sehr grafische Unterscheidung von Alt und Neu. Vom Steg aus hat man einen guten Blick in den Raum und auf die Ausstellung. Da ein Teil der Regale unmittelbar in den Steg integriert ist, kann man die Exponate zum Teil aus nächster Nähe erleben.

Nach welchem Prinzip werden die Regale bespielt?

Angelika Nollert: Die Regale funktionieren wie ein Koordinatensystem, denen eine Art Matrix zugrunde liegt. Die Sortierung ist eher assoziativ angelegt und erfolgt über thematische Bereiche. Deshalb sind die Objekte auch nicht chronologisch, geografisch oder hierarchisch sortiert. Stattdessen haben wir Themen entwickelt wie "Form", "Material", „Farbigkeit“ oder „Tätigkeitsfelder" und „aktuelle Inhalte“. Das erlaubt es, Objekte zu zeigen, die wir bislang noch gar nicht oder selten ausgestellt hatten. Beispiele wären Gaming, Nachhaltigkeit, Karbon, Sekundärarchitektur oder auch Grafikdesign – ein Sammlungsbereich, der neben Verpackungsdesign etwa 15.000 Plakate umfasst. Dadurch können wir auf die Vielfalt unserer Sammlungsgebiete aufmerksam machen.

Sie beschreiben das in Ihren Presseunterlagen als eine "Schaffung von Architekturen, die eine verschiedene Semantik in Bezug auf Raum, Zeit und Narration ermöglichen". Greifen Ihre räumlichen und organisatorischen Ansätze eine neue Entwicklung beim Kuratieren auf?

Angelika Nollert: Ja, das würde ich schon sagen. Damit hängt natürlich die Fragestellung zusammen, was eigentlich zum Kanon zählt. Die Klassiker, wie etwa unsere Originalmöbel aus dem Bauhaus, sind sicherlich ein wichtiger Teil der Sammlungspräsentation, die auch gezeigt werden sollten. Trotzdem muss man sich als Kurator immer wieder überlegen, wie man diese Objekte in einem passenden Kontext präsentieren kann. Zwei Fragen, die uns diesbezüglich immer wieder gestellt werden, sind zum einen, woher wir eigentlich wissen, was gutes Design ist, und zum anderen, wie wir die Welt in ihrer ganzen Vielfalt abbilden können. Aufgrund der kulturhistorischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte liegt unsere Chance heute darin, international zu denken, und dadurch Dinge anders zu bewerten. Das bedingt natürlich auch, wie man in Zukunft sammelt. Durch die Digitalisierung ist das einfacher geworden.

Wie hat die Digitalisierung Ihre kuratorische Arbeit verändert?

Angelika Nollert: Digitale Konzepte sind keine Konkurrenz zum analogen Erleben, sondern eine Ergänzung. Beide haben ihre Berechtigung. Es geht also nicht nur darum, die analoge Welt zu digitalisieren, sondern auch Konzepte zu entwickeln, die in einem digitalen Rahmen einen Sinn ergeben. Wir haben zum Beispiel schon vor Corona eine App entwickelt, die auf spielerische Weise die Geräusche von unseren Objekten abbildet. Dazu gehört unter anderem der Klingelton eines Telefons zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder das Piepen eines Internetmodems zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es geht bei uns in der Neuen Sammlung also nicht nur um die Form, sondern auch um den Klang eines Designobjekts. Welche Geräuschkulisse erzeugten Bürogeräte in den 1960er Jahren und wie verhält es sich heute dazu? Wenn man Objekte als Spiegel eines bestimmten Kulturverständnisses betrachtet, dann liefert dieser Aspekt einen weiteren Mosaikstein im Gesamtbild.