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Soziale Mode

Kann man mit Mode die Welt retten? Ein klein wenig schon, findet Bernd Keller, Designer und Kreativdirector des neuen Labels 1C1Y. Und zwar jedes Mal, wenn man ein neues Kleidungsstück kauft – und ein Kind ein Jahr lang glücklich macht.
15.11.2022

Katharina Hesedenz: Ihre Karriere bei 1C1Y begann mit einem einzigen T-Shirt, dabei waren Sie davor viele Jahre lang Manager bei Boss, Marco Polo und Puma

Bernd Keller: Stimmt. Ich wusste sehr früh schon, dass ich gerne Mode machen wollte, obwohl in meiner Familie alle ÄrztInnen waren. Ich habe also Mode in Italien und in New York studiert, dann einfach Jobs angenommen – und das Leben hat es gut mit mir gemeint. Meine Frau arbeitet als Pflegerin in einer Art Hospiz. Innerhalb meiner eigenen Familie war ich immer für Glamour zuständig – und sie für das Soziale. Als ich 2019 bei Marc O’Polo ausgestiegen bin und mich selbständig gemacht habe, habe ich überlegt, wie ich die beiden Bereiche zusammenbringen könnte. Als Vorstand von Marc O´Polo hatte ich natürlich auch Einfluss genommen, doch das machte vielleicht fünf Prozent der Zeit aus, der Rest war wirtschaftlich geprägt. Ich wollte wirkliches soziales Engagement mit einer eigenen Marke ausprobieren und habe mich sehr gefreut, als Christopher Philipp und Tom Lupo im Frühjahr 2020 bei mir anriefen, nachdem sie durch einen Artikel auf mich aufmerksam geworden waren. Sie stellten mir Arthelps vor. Im Rahmen von weiteren Treffen entwickelte sich die Vision, gemeinsam ein Social Fashion Label im Luxussegment zu entwickeln, geprägt von klarliniger Ästhetik und inspiriert von der Überzeugung, mit Mode Gutes zu tun.

Tom Lupo war früher Creative Director bei Jung von Matt, Anna und Christopher Philipp entstammen einer großen deutschen ArchitektInnenfamilie. Sie selbst gehören zum Modelabel. Ist das der Grund, warum 1C1Y viel runder und stilsicherer wirkt als andere Charity-Fashion-Projekte?

Bernd Keller: Arthelps ist eine Initiative von Kreativen und KünstlerInnen, die Menschen aus sozial benachteiligten Verhältnissen auf eine besondere Art und Weise hilft: mit Kunst. Darauf konnte ich modisch aufbauen. Die Aufgabenstellung lautete: Wie kann ich, wenn ich was Gutes tue, auch das Schönste kreieren? Wir haben darüber nachgedacht, dass wir unser Produkt mittels eines Betrag von zusätzlich 60 Euro mit inneren Werten bereichern, und dass es sich an eine Zielgruppe wendet, die diesen sozialen Aspekt versteht. Das – so sind wir uns einig – kann nur im Luxussegment passieren. Hier können wir als Gruppe am besten agieren, da kennen wir uns aus.

Bernd Keller

Wie definieren Sie Ihre KundInnen?

Bernd Keller: Als Designer habe ich mich auf die Zielgruppen von Marc O’Polo, Hugo Boss oder Hussein Chalayan für Puma eingestellt und habe verstehen dürfen, wie deren ästhetisches Empfinden und Kaufverhalten funktioniert. Erstaunlicherweise ergänzen wir uns als Gruppe bei 1C1Y bei Entscheidungen perfekt. Am Tisch sitzt Tom Lupo, daneben Anna Philipp, die als Architektin ebenfalls genau weiß, wer ihre Auftraggeber sind. Dann gibt es Bernd Keller, dessen Herz für Schönheit pocht, der aber im Grunde die Einfachheit einer Bauhaus-Stilistik und die Zeitlosigkeit der Kreationen von Marcel Breuer verehrt. Ich liebe klare Linienführung und Reduktion, Essentielles. Dabei muss Pures nicht schmucklos sein, es kommt mir auf das Herausstellen des Blickfanges an. Der Stoff kreiert den Raum, Proportionen stecken den Rahmen, der Fokus ergibt sich beim Zeichnen durch das key design detail. Wenn ich auf die Geschichte der deutschen Mode zurückschaue, dann gibt es nicht viele DesignerInnen, die den internationalen Durchbruch geschafft haben, doch es gibt Jil Sander, die einen Purismus platzierte, der nicht arm, sondern einfach ist. Die Spannbreite, die wir aufbauen möchten, umfasst Architektur, Kunst und Mode.

Mit einer Ausnahme sind alle Teile schwarz. Damit scheinen Ihre Looks für ArchitektInnen oder Agentur-LeiterInnen prädestiniert zu sein.

Bernd Keller: Wir waren uns vom ersten Treffen an einig, dass wir Purismus als Grundlage nehmen, und ihn aufbereiten mit Schönheit in Materialien, Strukturen und Reflektionen. Glatte, leicht schimmernde Oberflächen treffen auf Raues, auf plissiertes Mesh und Halbtransparenz, dabei sind alle Volumen groß und klar. In der Farbfrage haben wir uns sofort gefunden, und zwar als wir uns darüber unterhalten haben, welche Farben unseren eigenen Kleiderschrank am nachhaltigsten prägen. Wir konzentrieren uns also auf Schwarz, und ab und zu gibt es eine Neutralfarbe wie etwa Ivory; in späteren Kollektionen eventuell schöne Zusatzfarben wie Tobacco. Doch es wird immer so sein, dass die eben genannten Grundelemente beibehalten werden, selbst wenn weitere hinzukommen sollten. Wir wollen weg von der Wegwerfgesellschaft hin zum Aufbau einer Garderobe, die einen eigenen Stil und eine eigene Attitude entwickelt. Es soll nicht um Trends gehen.

1C1Y bezeichnet sich als "das erste Luxury Luxury Fashion Label". Inwiefern ist dieser Anspruch gerechtfertigt?

Bernd Keller: Ich arbeite seit 32 Jahren an dem Punkt Nachhaltigkeit und versuche, immer einen Schritt weiter zu gehen. Bei 1C1Y - eine Abkürzung für 1 child, 1 year - haben wir Nachhaltigkeit von Anfang an als Basis genommen. Wir sehen das nicht als USP (unique selling point), sondern es ist unser Grundfundament. Auf ihm wollen wir zwei Bereiche zusammenbringen, die sehr entgegensätzlich erscheinen – nämlich soziales Engagement und Verantwortung für unsere Mitmenschen und selbstbezogene Darstellung durch oberflächliche Mode. Es beginnt damit, dass wir soziale Verantwortung bei der Auswahl und im Umgang mit unseren Partnern übernehmen. Die Arbeitsbedingungen und Sozialstandards in allen beteiligten Unternehmen werden ständig geprüft und die gesamte Produktionskette ist komplett rückverfolgbar. Wir verwenden recycelte oder hochwertige organische Materialien und gehen auch auf Tierwohl ein. Bei 1C1Y geht der Herstellungsprozess konform mit den "Fünf Freiheiten der Tiere", einem internationalen Konzept zur Bewertung, der Missbrauch bloßstellt.

Doch eigentlich liegt der Fokus darauf, Kinder glücklich zu machen.

Bernd Keller: Genau. Wir trauen uns zu sagen, dass wir Social Fashion machen, weil wir einen Beitrag in den Verkaufspreis einarbeiten, der automatisch bereitgestellt wird für ein Kind. Wir wollen die Kunden erstmal nicht nerven mit "Tu was Gutes", sondern wir wollen sie mit einer wunderschönen Ästhetik überraschen, mit einer guten Qualität, die einen Stil verkörpert, und dann erst über das soziale Engagement sprechen. Diese Zusammenarbeit bedeutet am Ende, dass wir uns gerne schmücken dürfen und gerne das Leben genießen, weil wir das Kleidungsstück mit einem guten Gefühl aus dem Schrank ziehen. Vom Verkaufspreis jedes Teils führen wir 60 Euro an Arthelps ab, um ein Kind ein Jahr lang zu unterstützen.

Damit nehmen Sie in Kauf, dass nur Besserverdienende sich den Kauf leisten können. Eigentlich sind T-Shirts aus guter Baumwolle ohnehin schon recht hochpreisig.

Bernd Keller: Die Mission des Projekts ist es, benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Irak, in der Ukraine und auch in Deutschland die Chance auf ein erfülltes Leben zu geben. Wir engagieren Sozialpädagogen, wir bauen Hubs auf, wir sind gerade dabei, in Kiew ein Grundstück zu erwerben. Anfangs haben wir ganz unterschiedliche Konzepte besprochen, doch letztendlich fanden wir, dass unsere Message am einfachsten und klarsten zu verstehen ist, wenn wir bei jedem Kauf 60 Euro für Arthelps zuschlagen.

Als KäuferIn scheine ich ein besseres Preisverhältnis zu bekommen, wenn ich etwa einen Mantel kaufe. Bei der Anschaffung eines T-Shirts wirkt ein Aufschlag von 60 Euro unverhältnismäßig hoch.

Bernd Keller: Darüber haben wir natürlich geredet, als wir das Konzept entwickelt haben. Letztendlich war für uns die Klarheit der Message wichtiger. In Konsequenz haben wir unsere Gewinnmarge bei T-Shirts verkleinert, so dass wir an einem Shirt oder Beanie viel weniger verdienen. Ohnehin geht alles, was wir erwirtschaften, in den nächsten drei Jahren in den Aufbau von 1C1Y. Wirtschaftlich ist es kein rentables Geschäft. Natürlich werden Gehälter gezahlt, doch alles, was an Gewinn hineinfließt, wird sofort wieder investiert.

Kann man Ihre Mode nur online kaufen? Oder gibt es diese auch in Concept Stores?

Bernd Keller: Ursprünglich wollten wir nur B2C (business-to-consumer) verkaufen. Dann trafen vereinzelte Anfragen von BoutiquebesitzerInnen ein, denen unsere Idee gefiel – und wir haben tolle Erfahrungen gemacht. Es gibt zum Beispiel einen Laden in Dortmund, der heißt Lindner Fashion. Die Besitzerin kontaktierte uns und wir gaben ihr Teile in Kommission. Als sie die Kollektion live im Shop vorgestellt hat, war eine unserer MitarbeiterInnen dort, und sie war echt beeindruckt. Es sind wirklich viele KundInnen aufgetaucht und haben gekauft, dass die Shop-Angestellten ihnen erst auf dem Weg zur Kasse erklären konnten, dass es um eine soziale Idee geht – und dass sie ein Kind unterstützen. Diese Leute haben gekauft, weil sie die Ästhetik schön fanden – und dann erst herausgefunden, dass sie etwas Gutes getan haben. Das finde ich toll. Im Idealfall würde unsere Konsumgesellschaft immer so funktionieren, dass wir kaufen, weil wir etwas schön finden, gleichzeitig aber ein ganzes Projekt unterstützen. Wir dürfen gerne Leuchtturm sein in der Konsumgesellschaft.

In einem früheren Interview sagten sie: "Tun ist wichtiger als Reden".

Bernd Keller: Wenn Sie dieses Interview gehört haben, dann wissen Sie auch, dass ich mit meinem eigenen Start-Up True Standard vor drei Jahren sehr viel Geld verloren habe, im Prinzip alles, was ich in den letzten 30 Jahren verdient habe. Ein Investor sprang im November 2019 plötzlich ab, im Dezember kam das neue Virus, ich musste Insolvenz anmelden. Ich habe fünf MitarbeiterInnen und jede HerstellerIn ausgezahlt, obwohl ich das nicht hätte tun müssen. Jetzt arbeite ich für 1C1Y wieder mit ihnen zusammen und das Label profitiert davon. Wir haben deshalb so gute ZuliefererInnen und ProduzentInnen, weil alle mich kennen.

Bestärkt Sie das darin, in diesem Job umso fester an ihren Werten festzuhalten?

Bernd Keller: Die Ehrlichkeit und den fairen Umgang haben sich natürlich alle gemerkt. Sonst würde man diese Produzenten jetzt - wo alles anders ist - wahrscheinlich gar nicht mehr bekommen. Sie arbeiten mittlerweile nur noch mit Großabnehmern zusammen und nehmen keine neuen Start-Ups mehr auf. Dadurch, dass uns die Zusammenarbeit dennoch gelungen ist, gehen wir auf allen Ebenen vertraut miteinander um. Ehrlichkeit, Nachhaltigkeit und Zuverlässigkeit im Bezug auf Geld sind die Planken, auf die wir alle uns verlassen.

Wie sieht die Zusammenarbeit im kreativen Bereich aus? Entscheiden die Philipps oder Tom Lupo mit, wie die Kollektion aussehen soll?

Bernd Keller: Jeder von uns entscheidet nach fachlicher Kompetenz in seinem Bereich. Wenn man gute Mode machen will, dürfen nicht zu viele Leute mitreden. Für die Kollektion bin letztendlich ich zuständig, weil sonst kein roter Faden zustande kommt. Doch die Zusammenarbeit ist auch von meiner Neugierde geprägt, wenn etwa Tom Lupo neue Ideen vorstellt oder Anna Inspirationen in Form von Architektur und Gebäuden einbringt. Wir haben ein Design Camp bei mir in Bamberg, in meinem kleinen Studio, bei dem jeder Impulse liefert. Aus diesem Design-Tag entstehen mein Farbkonzept und mein Range-Plan, anschließend kommt Christopher Philipp dazu, um den Business-Part abzudecken. Es ist ein schönes Arbeiten. Manchmal geht man erledigt raus, weil es ein voller Tag war, und man könnte dennoch Bäume ausreißen vor lauter Inspiration. Der Titel der neuen Sommerkollektion lautet "Workers of Hope". Wir wollen auch anderen einen Anstoß geben und sagen: "Tut was!". Wir sollten uns nicht ständig demoralisiert und klein fühlen. Auch wenn die Politik uns gerade nicht weiterbringt, kann man dennoch im Kleinen etwas bewirken.

Wie viele Teile hat die neue Kollektion?

Bernd Keller: 25 - und das soll auch so bleiben. Als neues Element haben wir einen Unisex-Bereich eingebaut. Das ist nicht getrieben von einer Gender-Diskussion, sondern einer modischen Triebfeder geschuldet, weil ich der Überzeugung bin, dass Frauen in einem coolen Oversize–Teil, das eigentlich aus der Herrengarderobe stammt, mehr sexy aussehen, als ungezwungenen in einem kleinen schwarzen Kleid. Natürlich müssen Herrenteile dem Mann gefallen und passen, doch wir machen das Fitting so, dass auch Frauen sie tragen können und sich darin wohlfühlen. Das hat viel mit Details und Proportionen zu tun. Mir ist aber wichtig zu sagen, dass es andersrum nicht funktioniert. Wir machen keine halbtransparenten Mesh-T-Shirts für Männer, das ist nicht unser Ding.

Wir alle wissen, wie wichtig MarkenbotschafterInnen für einen Brand sind. Wünschen Sie sich KünstlerInnen oder eher ArchitektInnen als Testimonials?

Bernd Keller: Wir arbeiten mit MarkenbotschafterInnen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, von Mode bis Showbusiness. Anna Philipp ist die Repräsentantin im architektonischen Bereich; Michael Patrick Kelly kommt aus der Musikbranche, Rose May Alaba, die Schwester von David Alaba, die Afro-Beats macht, ebenfalls. Dann gibt es Samuel Koch, ein fantastischer Schauspieler und ein toller Mensch. Mit dem Male Model Alpha Dia bereiten wir gerade ein Projekt im Senegal vor.

Welche wirtschaftliche Benchmark wollen Sie innerhalb der nächsten drei Jahre erreichen?

Bernd Keller: 1C1Y ist ein Start-Up, das sich innerhalb der nächsten 3 Jahre tragen muss. Es gibt keinen maßlos reichen Investor, sondern das Architekturbüro Philipp ist im Moment der Träger. Es muss so funktionieren, dass die großen Kosten einigermaßen innerhalb der nächsten 3 Jahre getilgt werden, damit das Projekt irgendwann mal wachsen kann. Natürlich schauen wir alle mit einem spitzen Bleistift darauf, dass die Kosten tragbar sind, wir können nicht aus dem Vollen schöpfen. Manchmal empfinde ich Angst, wenn ich die Zahlen sehe. Zum Glück gewinnen wir immer mehr Unterstützer. Alpha Dia war nicht von Anfang an unser Markenbotschafter. Wir haben ihn gefragt, ob er ein Fotoshooting mit uns machen will, und weil er die Idee gut fand, hat er zugestimmt. Wir waren im Studio in München und haben fotografiert und er sagte von sich aus: Das ist anders, da mache ich mit! Es gibt die Pradas und die Boss dieser Welt, die 80 Millionen Euro in ein Modeshooting stecken und dann die Clicks kontrollieren, die das erzeugt. Und es gibt uns, die von sozialem Engagement und einer Liebe zur Ästhetik getrieben sind. Das hat unsere Chance!

1C1Y | FOUNDATION Campaign AW 2022