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KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Nachgefragt: Architektur & KI

Arbeiten international tätige Architekturbüros bereits mit den Werkzeugen der Künstlichen Intelligenz? Und wenn ja, welchen Nutzen sehen sie darin? Wir haben uns bei AMDL CIRCLE, gmp Architekten, MVRDV NEXT und Norm Architects umgehört.
01.03.2024

Arbeiten Sie bereits mit KI?

Stephan Schütz

Stephan Schütz, Executive Partner, gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner: Wir verfolgen die rasante Entwicklung im Bereich KI über die vergangenen eineinhalb Jahre und evaluieren deren Potenziale für unsere Arbeitsabläufe kontinuierlich zusammen mit unserem IT-Team. Die damit befassten SpezialistInnen testen die vielfältigen Anwendungen und stellen entsprechende Konfigurationen den Entwurf- und Planungteams zur Verfügung.

Fredy Fortich und Leo Stuckardt (v.l.n.r)

Leo Stuckardt und Fredy Fortich, MVRDV NEXT: In zunehmendem Maße, ja. Wir erforschen zwar schon seit einigen Jahren KI-Modelle für die Bildklassifizierung und -erzeugung, aber die jüngsten Entwicklungen rund um Diffusionsmodelle und große Sprachmodelle haben sowohl die Forschung als auch die Anwendung von KI bei MVRDV wirklich beschleunigt.

Kasper Rønn von Lotzbeck

Kasper Rønn von Lotzbeck, Founding Partner Norm Architects: Bis jetzt haben wir nur die Fotobearbeitungstools und einige webbasierte Tools getestet, aber wir müssen sie noch in unsere Arbeit integrieren. Was die Textbearbeitung angeht, so ist es wie bei Chatgpt. So wie die visuellen KI-Tools jetzt sind, sind sie Werkzeuge, die in kürzester Zeit eine Menge kreativer Vorschläge und Variationen machen können, aber die Entscheidungen, die das Werk letztendlich formen und schaffen, müssen von der Person kommen, die das Tool benutzt. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich nicht von der Software, die wir bereits verwenden. Nur ein hochwertiger Input erzeugt einen hochwertigen Output.

Welche Vorteile bringt Ihnen die KI derzeit?

v.l.n.r.: Davide Angeli (Deputy Managing Director), Michele De Lucchi (Founder), Angelo Micheli (Managing Director)

Davide Angeli, Deputy Managing Director AMDL CIRCLE: In unserem Studio verwenden wir KI-Software wie Mid Journey und Dall-E, um Variationen von Designdetails zu generieren und um an der Fotografie und der Atmosphäre von Bildern zu arbeiten. Diese Technologie stellt für uns als ArchitektInnen und DesignerInnen eine Möglichkeit dar, unsere Herangehensweise neu zu definieren und unsere Kreativität zu
bereichern. Sie ist nicht nur ein Forschungsinstrument, sondern eine zusätzliche Stimme, die mit uns am Diskussionstisch sitzt und einen innovationsorientierten Ansatz beflügelt und inspiriert.

Stephan Schütz

Stephan Schütz, Executive Partner, gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner: Wir nutzen KI-basierte Programme, um Bilder aus Skizzen und 3-D Modellen zu generieren, deren in Sekundenschnelle generierte atmosphärische Dichte faszinierend ist. Aktuell müssen wir jedoch noch feststellen, dass die erwähnten Bilder oftmals unpräzise Zufallsprodukte sind, die sich einer zielgenauen Optimierung entziehen, so dass sie herkömmliche Renderings bisher nur sehr bedingt ersetzen können. Als international tätiges Büro nutzen wir KI auch für lippengenaue Sprachsynchronisation und planen deren Einsatz in bereits wenigen Monaten für unsere vielfältigen Schulungsprogramme.

v.l.n.r: Fredy Fortich und Leo Stuckardt

MVRDV NEXT: Wir erwarten ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten für KI bei MVRDV und in der Architektur insgesamt. Text-Bild-Generatoren wie Stable Diffusion oder Midjourney werden in unserem Büro häufig eingesetzt, um in frühen Konzeptphasen Entwurfsrichtungen oder in späteren Phasen Variationen in Bezug auf Masse oder Materialität zu testen. Gemäß dem langjährigen Bestreben von MVRDV, die Öffentlichkeit einzubeziehen und architektonische Entwurfsprozesse auch einem nicht fachkundigen Publikum zugänglich zu machen, setzen wir KI auch ausgiebig für kreatives Brainstorming in Workshops und öffentlichen Veranstaltungen ein.

In unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung MVRDV NEXT entwickeln wir experimentelle Anwendungen und stimmen MVRDV-spezifische KI-Modelle ab. Diese Experimente reichen von der Energiemodellierung mit Unterstützung von ChatGPT bis zur Einbettung der MVRDV-Designsprache in kundenspezifische Diffusionsmodelle. Wir haben sogar ein Bildklassifizierungsnetzwerk trainiert, um die Bilder unserer schnell wachsenden Server zu kategorisieren und die kreative Wiederverwendung von Archivmaterial zu fördern. Es ist wichtig anzumerken, dass wir der sich schnell entwickelnden Landschaft der KI-Tools mit Begeisterung, aber auch kritisch gegenüberstehen und daher die Ergebnisse überprüfen,
wenn sie in aktuellen Projekten eingesetzt werden.

Kasper Rønn von Lotzbeck

Kasper Rønn von Lotzbeck, Founding Partner Norm Architects: Der eigentliche Nutzen ist derselbe wie bei Software ohne KI: Zeitersparnis bei weniger wichtigen Aufgaben, so dass wir uns auf die wesentlichen Tätigkeiten konzentrieren können.

Was sind Ihrer Meinung nach die Chancen und Risiken der KI in Architektur und Design?

Stephan Schütz

Stephan Schütz, Executive Partner, gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner: Über Chancen und Risiken lassen sich angesichts der atemberaubenden Entwicklungsgeschwindigkeit derzeit nur Vermutungen anstellen, die dahin gehen, dass sich KI in den kommenden Generationen auf nahezu alle Teile unserer Planungsprozesse erstrecken wird. Welche regulatorischen und sicherheitsrelevanten Handlungsfelder davon betroffen sind, lässt sich aus meiner Sicht ganz gut an der komplexen Entwicklung des autonomen Fahrens studieren. Richtig scheint mir, dass wir als Architektinnen und Architekten ein kreatives und technologieoffenes Nutzungsverständnis in Bezug auf KI entwickeln.

v.l.n.r.: Davide Angeli (Deputy Managing Director), Michele De Lucchi (Founder), Angelo Micheli (Managing Director)

Davide Angeli, Deputy Managing Director AMDL CIRCLE: Künstliche Intelligenz stellt uns vor die Aufgabe, über unsere Rolle nachzudenken, sie zu definieren, unsere Praxis weiterzuentwickeln und neue Werkzeuge einzusetzen. Diese Form der Intelligenz arbeitet mit der Überarbeitung bereits vorhandener Elemente auf überraschende Weise; die Perspektive der ArchitektInnen oder DesignerInnen verleiht dem kreativen Prozess jedoch ein einzigartiges Element: Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Effizienz der künstlichen Intelligenz und der menschlichen Kreativität zu finden. Dies wird wahrscheinlich ein Paradigmenwechsel sein, auf den wir uns einstellen müssen, indem wir die von ihm ausgehenden Impulse begrüßen und die Essenz der menschlichen Kreativität im Zentrum unserer Arbeit behalten.

Kasper Rønn von Lotzbeck

Kasper Rønn von Lotzbeck, Founding Partner Norm Architects: Die große Chance für die Kreativbranche besteht dann darin, diese Zeit zu nutzen, um die Qualität der kreativen Arbeit zu optimieren und bessere Projekte zu entwickeln. Das Risiko ist dabei natürlich, dass einige die Anzahl ihrer Projekte erhöhen und weniger kritisch mit der Qualität umgehen, aber auch das ist nichts Neues. Mit anderen Worten: Obwohl die KI in vielen Bereichen wie der Medizin und der Robotik, wo mit ihrer Hilfe Millionen von Szenarien in kürzester Zeit getestet werden können, definitiv eine revolutionäre Technologie darstellt, ist sie meiner Meinung nach keine Revolution in unserer Branche, sondern lediglich ein Werkzeug. Ich hoffe, sie wird uns helfen, Fortschritte zu erzielen und noch qualitätsbewusster zu werden.

v.l.n.r: Fredy Fortich und Leo Stuckardt

MVRDV NEXT: Aufgrund der rasanten Entwicklung von KI-Modellen und -Tools ist es schwer vorherzusagen, welche Auswirkungen sie in Zukunft haben werden. Betrachtet man jedoch den aktuellen Stand dieser Tools, so könnte die Geschwindigkeit als ihr größter Vorteil auch ihr größtes Risiko sein. Es ist unglaublich, wie schnell KI eine Skizze in ein fotorealistisches Rendering umwandeln kann oder wie ChatGPT in nur 30 Minuten eine umfassende Untersuchung des betrieblichen Energieverbrauchs eines Designs durchführen kann. Wenn man andere praktische Anwendungen wie die Bearbeitung von Bildern und Projekttexten mit einbezieht, könnte es sein, dass Architekturbüros in Zukunft viel kleiner werden. Dies würde einerseits wahrscheinlich zu einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen in der Architektur führen, andererseits könnte es Architekturbüros helfen, Kosten zu senken und in einem zunehmend effizienzorientierten Markt zu überleben.

Ein übermäßiger Rückgriff auf KI-Tools und ein Mangel an Sorgfalt bei der Auswahl oder Überprüfung der Ergebnisse kann jedoch zu nicht realisierbaren Entwurfsvorschlägen führen. Langfristig gesehen kann die "spiegelnde" Natur der KI die Entwicklung des Designvokabulars einer Praxis stagnieren lassen. Wie könnte eine KI zur Entwicklung neuer Designansätze beitragen, wenn das Modell ausschließlich auf die früheren Bilder von MVRDV trainiert wird und diese folglich reproduziert? Ähnlich wie die Auswirkungen der digitalen Wende, parametrischer Entwurfswerkzeuge, BIM-Workflows, des Internets oder der sozialen Medien wird die KI den Beruf des Architekten mit Sicherheit verändern. Wir versuchen, uns gleichermaßen von technologischem Optimismus und Dystopie fernzuhalten. Wir blicken hoffnungsvoll in die Zukunft, verfolgen die Entwicklung der Technologien mit Spannung und wenden sie mit Neugierde an. Darüber hinaus versuchen wir, durch eigene Forschung und offene Weitergabe unserer Erkenntnisse zur Weiterentwicklung neuer Werkzeuge beizutragen. Wir hoffen und erwarten, dass die künstliche Intelligenz kein Konkurrent, sondern ein starker Unterstützer oder sogar ein Freund des Architekten wird.