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Tagadà collection

Farbe statt Dekor

Emanuele Stamuli ist Schiffsarchitekt und entwirft High-End-Stores, vor allem für internationale, angesagte Modemarken sowie Wohnprojekte und poppige Möbel. Wie er mit einem rationalistischen Designansatz, einem Faible fürs Detail und für Nachhaltigkeit seinen eigenen Weg geht, erzählt er im Interview.
16.05.2023

Katrin Spohr: Sie entwerfen Interiors für Modelabel wie Acne Studios, Alexander Wang, Ganni oder By Marlene Birger, aber auch für den Leuchtenhersteller Louis Poulsen. Seit kurzem gestalten Sie außerdem eigene Möbel. Wie war Ihr Einstieg in die Designwelt?

Emanuele Stamuli: Ich habe ein Studium in Schiffsarchitektur an der Universität Genua absolviert. Meinen ersten Job hatte ich beim italienischen Hersteller Azimut, wo ich für das Interior Design von Yachten zuständig war. Danach habe ich für Marken wie Prada, Fendi und Acne Studios in den Bereichen Ladenplanung und – Technik gearbeitet, bis ich 2016 mein eigenes Büro in Stockholm gründete. Meine Schwester Francesca, die Architektin ist, wurde meine Partnerin und Mitinhaberin.

Wie ist Stamuli AB aufgebaut?

Emanuele Stamuli: Wir sind DesignerInnen, ArchitektInnen und ProjektmanagerInnen, etwa 20 MitarbeiterInnen insgesamt. Zusätzlich haben wir eine Dependence in Rom mit 3-4 MitarbeiterInnen. Da wir zu 80 bis 90 Prozent mit Modemarken oder im kommerziellen Bereich arbeiten, ist diese zuverlässige Struktur notwendig. Wir streben nach bester Qualität.

Wie kommt es, dass ein italienischer Architekt ein Büro in Stockholm hat? Normalerweise zieht es die DesignerInnen und ArchitektInnen eher nach Italien, oder?

Emanuele Stamuli: Das ist so wahr! Es passierte einfach. Ich war fasziniert von dieser aufstrebenden, coolen Modemarke, Acne Studios, die einen Projekt-Developer suchte, und nahm Kontakt mit dem CEO auf, der heute ein guter Freund von mir ist. Acne Studios engagierte mich. Das war 2014. Ich zog nach Schweden und war dort zwei Jahre lang angestellt. Aber eigentlich wollte ich immer mein eigenes Ding machen. Also gründete ich Stamuli AB und schlug Acne vor, mein erster Kunde zu sein. So blieb ich in Stockholm. Ich lernte meine Frau kennen, sie ist Schwedin. Wir haben ein Kind. Stockholm ist jetzt mein Zuhause. Und in den Ferien fahre ich nach Italien!

Ihr Portfolio ist sehr facettenreich. Woran arbeiten Sie derzeit?

Emanuele Stamuli: Es sind rund 40 Projekte weltweit. Darunter Stores für Alexander Wang, Ganni, By Malene Birger, Parajumpers oder auch Dion Lee. In Südfrankreich bauen wir derzeit das Haus für einen unserer Mode-KundInnen: Dabei wird eine Wandkonstruktion im Inneren des Berges liegen – eins der besten Projekte der letzten Jahre. Wir entwickeln Konzepte für die Stores von Tiger of Sweden. Ein neuer Kunde ist die italienische Schuhmarke Ecco, die ein Rebranding für 3000 Läden weltweit launcht. Dazu kommt eine neue, polnische Modemarke, Magda Butrym. Sie steht noch am Anfang, ist aber bereits sehr erfolgreich. Wir entwerfen ihren ersten Laden überhaupt, eine wunderschöne Boutique im Zentrum von Warschau. Viele spannende, aufstrebende Modelabel kommen auf uns zu – wir gestalten auch zwei neue Louis Poulsen-Geschäfte, eins in Mailand, das andere in Miami. Wir haben unsere Möbel zum Fuorisalone während der Möbelmesse in Mailand präsentiert und wollen auch an den 3daysofdesign in Kopenhagen teilnehmen.

Alexander Wong, Peking

Ihre Möbelstücke wurden durch die Präsentation auf der Designmesse "Edit Napoli" international bekannt. Hier gewann Ihr Stuhl "Unstressed" aus gebogenem Aluminium direkt die "Edit Napoli Awards". Was ist die Geschichte zu diesem Stuhl?

Emanuele Stamuli: Eigentlich haben wir für unseren Kunden Alexander Wang gearbeitet. Während dieses Prozesses experimentierten wir mit Aluminium und Stahl und erforschten die Plastizität von Metall. Alessandro, einer unserer Architekten, und ich haben versucht, Vorrichtungen zu bauen, bei denen das Material so gebogen wird, als ob es weich wäre. Wir waren begeistert vom Ergebnis! Warum also nicht einen Hocker oder einen Stuhl so entwerfen? Das taten wir.

Die Möbelkollektion Tagadà erregte ebenfalls Aufsehen. Sie besteht aus Tischen, Stühlen und Spiegeln und ist in leuchtenden Farben gehalten. Sie sei vom Memphis Design beeinflusst, heißt es.

Emanuele Stamuli: Im Grunde sind wir sehr stark vom italienischen Künstler Franco Summa inspiriert. Und natürlich von den Geometrien Donald Judds, ebenfalls eine sehr wichtige Referenz. Judd wird von vielen meiner Fashion-Kunden geschätzt. Ich habe also ein Interesse und eine große Wertschätzung für Donald Judd entwickelt.

Und was beeindruckt Sie am meisten an der Memphis-Gruppe?

Emanuele Stamuli: Ettore Sottsass ist einer meiner Idole! Allerdings gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen dem Memphis Design und dem Design der Tagadà Kollektion: Memphis ist ein bisschen mehr funky, dekorativer. Unsere Möbel haben kein Dekor, nur Farbe. Das erreichen wir durch die farbigen Laminatoberflächen von Abet Laminati. Würde man ein Schwarz-Weiß-Foto machen, es wären die minimalistischsten Möbel überhaupt. Ich finde die Tagadà-Kollektion eher rationalistisch. Im Stil von Adolf Loos, der für mich eine wichtige Referenz ist: Ein Gebäude von Adolf Loos wirkt von außen eher schlicht, einfach gehalten. Das Interior präsentiert Perfektion bis ins kleinste Detail, durch die Beschaffenheit der Materialien, die Farben, das Design der Tapetenmuster.

Wie sind Sie bei der Gestaltung der Tagadà-Kollektion vorgegangen? Hatten Sie zunächst die Einrichtung eines gesamten Ambientes im Kopf?

Emanuele Stamuli: Wir haben diesen Style ursprünglich für unseren Kunden Ganni entwickelt, eine dänische Modemarke. Ganni suchte einen besonderen Look, den man so beschreiben könnte: Dänisch, inspiriert von Italienisch. Der runde Tisch der Kollektion war ursprünglich für die Ganni Kantine in Kopenhagen entworfen. Ganni hat dann viele davon gekauft. So fing es mit Tagadà an.

Tagadà Kollektion

Sie beziehen nachhaltige, recycelte und zukunftsweisende Materialien in Ihre Entwürfe ein. Welches ist Ihr Lieblingsmaterial?

Emanuele Stamuli: Gute Frage! Das eine Lieblingsmaterial habe ich nicht. Mein Kriterium für die Auswahl von Materialien ist ihre Herkunft. Bei all den aktuellen Problemen, die wir mit dem ökologischen Fußabdruck haben, verwende ich ausschließlich ethisch korrekte, regionale Materialien. Diese Haltung entspricht auch der Idee des 'genius loci', welche Grundlage für den Tempelbau bei den antiken Römern war. Es geht dabei um den Schutz der Identität eines Ortes: Bevor man an einem bestimmten Ort baut, spürt man zunächst seine Identität auf. Das bedeutet für unsere Arbeit: Wenn ich ein Interior für ein Haus in Schweden entwerfe, baue ich zuerst eine Verbindung zu diesem Ort, an dem es steht oder entstehen soll, auf. Ich besuche diesen Ort, ich verwende lokale Materialien – den Kalkstein aus Gotland, den Granit aus Varmland, den Kalkstein aus Norrland, die Kiefer, die Birke et cetera. Brasilianischer Azul Macauba Marmor für eine kleine Toilette – ein No-Go!

Wie stehen Sie sonst zum Thema Nachhaltigkeit?

Emanuele Stamuli: Für mich sind die größten Probleme die Folgen der Logistik. Italien beispielsweise ist ein Land, das viele Dinge produziert. Wenn ein LKW von Bari nach Mailand anstatt von Monza nach Mailand fährt, landen allein 200 Liter mehr Dieselabgase in der Umwelt. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied. Es ist wichtig, die Region und die Menschen, die in der Region leben, zu nutzen. Und angemessen zu bezahlen!

Sie sagen, Sie haben eine rationalistische Herangehensweise an das Design, kombiniert mit einer Leidenschaft für Details. Können Sie das näher erläutern?

Emanuele Stamuli: Mein Hintergrund ist das Schiffsdesign. Die Gestaltung von Yachten ist soweit eine der wertvollsten Erfahrungen meiner Karriere: Es gibt nichts Komplizierteres als den Bau einer Yacht. Die Qualitätsanforderungen sind bis ins kleinste Detail unglaublich hoch. Und das nehme ich immer mit. Ich weiß also wirklich, wie Möbel, Innenausstattung gestaltet und ausgearbeitet sein müssen, auf höchstem Niveau. So fordern wir stets ein, dass auch das Projektmanagement Teil unseres Auftrags ist, denn auf diese Weise können wir die Kontrolle über die Qualität behalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass Projekte, die schlecht ausgeführt sind, nie wirklich erblühen! Es ist die Ausführung, die letztendlich die Projekte hervorragend macht, nicht nur die Entwurfszeichnung. Leider.

Glauben Sie, dass die Anforderungen an Projekt-Ausführungen generell gestiegen sind?

Emanuele Stamuli: Ein Beispiel: Vor 50, 60 Jahren haben viele Leute nie ein schönes Hotel von innen gesehen, geschweige denn besucht. Unser Lifestyle hat sich geändert: Die aktuelle Generation ist allein schon durch all diese Instagram- und Pinterest-Posts sehr sensibilisiert für Design und Details. Die Leute browsen durchs Internet und suchen nach Referenzen. Das gefällt mir zwar nicht, gleichzeitig hat es aber auch ein gutes Maß an Stil mit sich gebracht. Sie wissen heute eher, was schön ist. Man sieht es auch daran, wie sie sich kleiden. Wie die Interior-Qualität eines Vier-Sterne-Hotels sein sollte, ist ihnen ebenso bekannt.

Die Messe "Edit Napoli" fokussiert den "DesignerInnen-Maker", der traditionelle Produktions- und Vertriebsketten in Frage stellt. Wie sehen Sie die Zukunft des Möbeldesigns?

Emanuele Stamuli: Es gibt zwei Kategorien: Auf der einen Seite die Möbel, die für den Massenmarkt entworfen werden. Davon spreche ich nicht, denn damit kenne ich mich nicht aus. Bei den anderen Möbeln wird der Preis deutlich steigen, weil Produktionen mehr und mehr lokal erfolgen. Lagerung wird es nicht mehr geben. Die Möbel werden made-to-oder, innerhalb von zwei bis drei Monaten hergestellt. Wenn man also einen Stuhl für 1000 Euro aussucht und weiß, dass man wochenlang darauf wartet, wirkt sich das wiederum auf die Art und Weise aus, wie die Leute ihre Möbelrecherche angehen: Die Suche wird weniger instinktiv und emotional sein, sondern seriöser und selektiver. Es gibt auch einen wachsenden Markt für Vintage- und Gebrauchtmöbel. Auktionshäuser werden erblühen. Was ein bisschen traurig ist.

Was ist traurig daran, dass Möbel in Auktionshäusern verkauft werden?

Emanuele Stamuli: Ich habe das Gefühl, dass Auktionshäuser aktuell sehr davon profitieren, dass man heutzutage nicht mehr wirklich neue Dinge kaufen kann. In Schweden gibt es an jeder Ecke ein Auktionshaus. Ich habe eine größere Wertschätzung für Kunstgalerien. Ich komme aus Italien, einem Land, in dem es überall Galerien gibt!

Wie sieht Ihr Designprozess aus?

Emanuele Stamuli: Zunächst geht es um ein tiefes Verständnis des Kundenbedürfnisses. Nehmen wir etwa Alexander Wang, dieses 39-jährige Talent: Er hat stets eine sehr klare Vorstellung von dem, was er will. Wir müssen also sicherstellen, dass wir ihn verstehen. Ein anderes Beispiel: Das Sommerhaus in Südfrankreich. Hier geht es darum, herauszufiltern, was genau dieses Sommerhaus für den Kunden bedeutet. Ich entdecke gerne die Codes einer Region, die Materialien. Und frage: Wie kann ich den bewährten Code, in diesem Fall den von Südfrankreich, knacken? Dieser Prozess führt zu Stamuli-Entwürfen, die als modernistisch, eklektisch, aber auch ein bisschen "off" gelten.

Letztes Jahr haben Sie Ihre Möbel zusammen mit dem Label New Tendency bei Andreas Murkudis in Berlin ausgestellt. Wie kam es dazu?

Emanuele Stamuli: Ich kannte Andreas, weil ich nebenan in der Potsdamer Straße den Acne Studio-Store gestaltet habe. Später trafen wir uns bei "Edit Napoli" wieder. Murkudis gefiel die Tagadà -Kollektion. Wir begannen, eine Vision zu entwickeln, wie die Möbel in seinem Showroom präsentiert werden könnten. Und so haben wir diese kleine Einrichtung umgesetzt. Sehr hübsch ist es geworden!

Was sind die Herausforderungen und Chancen der Arbeit in Schweden im Vergleich zu Italien?

Emanuele Stamuli: In Schweden ist es zum Beispiel wesentlich schwieriger, ArchitektInnen einzustellen, da es dort deutlich weniger gibt, die in der Modebranche arbeiten. Und die Südeuropäer wollen wegen des Wetters nicht nach Stockholm ziehen. Die Chancen liegen darin, dass die Schweden sehr aufrichtig sind, so dass es sicherer ist, hier Geschäfte zu machen, als in Italien.

Ein Projekt, das Sie gerne in der Zukunft realisieren würden?

Emanuele Stamuli: Ich würde gerne einen schönen Spielplatz entwerfen mit unterschiedlichen Formen und Geometrien sowie mit Holz und Beton verschiedene Spiele und Geräte gestalten.