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Eine supernormale Ausstellung von Jasper Morrison – zu sehen im Kölnischen Kunstverein im Rahmen der Ehrung zum A&W Designers des Jahres. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
As time goes by
von Adeline Seidel
22.01.2016

Der Kölner Möbelrummel begann in diesem Jahr supernormal. In den Räumen des Kölnischen Kunstvereins wurde Jasper Morrison als „A&W Designer des Jahres“ ausgezeichnet, wobei Morrison die von ihm selbst gestaltete Werkschau als eine einfache Produktparade angelegt hat, die unweigerlich das Gefühl einer gewissen Zeitlosigkeit vermittelt. Letzteres liegt sicher an den von Morrison gestalteten Objekten selbst, die ein ums andere Mal den Lockungen des Zeitgeistes widerstehen. Entsprechend zurückhaltend äußerten sich Jasper Morrison und der von ihm für den „A&W-Mentorpreis“ ausgewählte, nicht minder zurückhaltende junge Schweizer Designer Michel Charlot bei der Preisverleihung – was die Preisübergabe äußerst kurzweilig gestaltete.

Was umso erfrischender war, als die „Vorband“ das Publikum zuvor bereits recht ermüdet hatte und sich der Zuschauer des Gefühls kaum erwehren konnte, in einer Zeitschleife festzustecken. Die „Vorband“ stellte der Rat für Formgebung, der in diesem Jahr erstmalig parallel und im selben Rahmen die „Best of Best“ seines „Iconic Awards 2016“ in der Kategorie „Interior Innovations“ auszeichnete. Das Ritual glich in seiner Monotonie einer Telefonwarteschleife, bei der sich die immer gleichen Ansagen wiederholen: Ankündigung der Preisträger, Übergabe der Trophäe, gemeinsames Foto und Abgang in Verbindung mit einer immer gleichen Tonfolge. Die gefühlte Dauer des Prozedere überstieg die messbare um ein Vielfaches, verhält es sich beim Iconic Award doch wie weiland bei den Bundesjugendspielen: Fast jeder, der mitmacht, bekommt auch eine Auszeichnung.

Sich neu orientieren

Während der Rat stramm weiter „Innovations“ prämiert, geht es 2016 in den Messehallen und in der Design Post längst weniger aufgeregt zu. Nein, der neuste Hype, ein Super-Mega-Trend, all das, was Trendsucher vor sich hin orakeln, wonach Lifestyler lechzen und woran sich der eine oder andere Hersteller orientieren mag, all das blieb dem Besucher in diesem Jahr weitgehend erspart. Kaum etwas aus der Fülle des Präsentierten lässt sich bequem in die ein oder andere Schublade stecken. Indes sich einiges, was in den vergangen zwei Jahren überall Blüten getrieben hat, abschwächt: Etwa die Wiederkehr von Metallen wie Messing und Kupfer samt deren Kombination mit feinstem Holz oder Marmor – oft in simplen geometrischen Grundformen. Was bleibt, ist ein durchaus angenehmer, von zeitgeistigen Gestaltungsvorlieben befreiter Raum, eine trendbefreite Leere, die Gelegenheit zur Neuorientierung und Platz für Experimente bietet beziehungsweise bieten könnte.
Vorerst aber wird mal wieder in die Vergangenheit und in die Archive geschaut. Dabei lassen sich noch immer Entwürfe ausgraben, die vor knapp einem halben Jahrhundert für Aufmerksamkeit und Erfolg sorgten – und nun offenbar wieder in die Zeit passen.

Gutes von Gestern

Walter Knoll holt beispielsweise den „Votteler Chair“ aus den Schubladen. Vor 60 Jahren von Arno Votteler entworfen, steht der Sessel mit seinen abgewinkelten Volumina auf leichten Metallfüßen. Aufgefrischt mit einem neuen Stoff namens „Anni“ – im Gedenken an Anni Albers und inspiriert von „der Wohnkultur der Fünfzigerjahre“, so ist zu lesen –, der mit einem Metallgarn versehen ist, wirkt der Stuhl ebenso vertraut wie elegant. Mit der „Sadi & Neptun Ozis Collection” – bestehend aus„Fishnet Chair“, „Burgaz Chair“ und „Rumi“ – legt Walter Knoll zudem jene drei Produkte wieder auf, die zu den ersten modernen Möbelentwürfen in der Türkei gehören sollen und ihre Premiere in den 1950er und 1960er Jahren feierten.

Gubi, von jeher der Geschichte verpflichtet, erweckt Louis Weisdorfs vielseitige „Multi-Lite Pedant Lamp“ aus dem Jahre 1972 ebenso zu neuem Leben wie Mathieu Matégots „Pendant Lamp“ (1953) und seinen „Lounge Table“ (1950). Aus den 1970er Jahren stammt auch das von Franz Hero und Karl Odermatt gestaltete modulare Sofa „Trio“ für Cor. Und weiter geht’s im Reigen der Revivals: Die Müller Möbelwerkstätten haben Rolf Heides „Sofabank“ (1969) wieder aufgelegt, Norr 11 den „Relaxer Rocking Chair“ (1974) von Verner Panton und der Stofffabrikant Rohi den Bezugsstoff „Sera“ aus den 1970er Jahren. Jüngster und voluminösester Spross unter den Wiederauflagen ist das Vollschaumsitzmöbel „Plumy“, das die französische Designerin Annie Hieronimus 1980 für Ligne Roset entwickelt hat. Man sitzt nicht nur bequem auf dem behäbig anmutenden „Plumy“, sondern kann auch ordentlich auf ihm rumlümmeln.

Das Bessere ist der Feind des Neuen

Woher die Freude an den Revivals kommt, bleibt auf der Messe weitgehend unbeantwortet. Meist ist von den Herstellern nur zu hören, man habe die Entwürfe wiederentdeckt, sich an sie erinnert. Vielleicht ist es auch die Designergeneration – sieht man einmal von Panton und Matégot ab – die, zwischen den 1930er und späten 1940er Jahren geboren, in naher Zukunft verblassen wird, aber die man jetzt noch hinsichtlich einer Neuauflage zu Rate ziehen kann. Parallelen zwischen dem Zeitgeist von damals und von heute jedenfalls lassen sich nur schwer entdecken. Kalter Krieg und Wirtschaftswunder, Zukunftsoptimismus und gesellschaftliche Umbrüche? Damit haben wir es aktuell weniger zu tun. Vielleicht schwindet ja einfach der Glaube an das Neue und wir verfeinern unsere Ansprüche an das Vorhandene? Das Verbessern und Verfeinern des Vorhandenen mag nicht sogleich augenfällig werden, dafür aber erfreut es, hat er die subtile Neucodierung erst einmal entdeckt, den Connaisseur umso mehr.

Same, same, but different

Die wohl einfachste Form der Produktkultivierung ist die Erweiterung der Farb- und Materialpalette. Darin, schnell einfach auf der Welle des Angesagten reiten zu wollen, besteht allerdings auch die größte Gefahr. Vitra beispielsweise bringt für den Sommer einige seiner beliebtesten Produkte – wie Jasper Morrisons „HAL“ und andere „Vitra Klassiker“ – als „All White Edition“ heraus. Das String-Regal hingegen gibt es nun auch ganz in Schwarz, und Thonet bringt unter dem Titel „Thonet All Seasons“ neue Farbkombinationen – vom kräftigen Rot bis zum gedeckten Midtone-Grün – der Stahlrohrklassiker für Drinnen und Draußen auf den Markt. Selbst beim jungen Berliner Label New Tendency kann man das hochpräzise gearbeitete und herrlich nüchterne Wandregal „Click“ aus Metall nun in den lebhaften Farben Luis Barragans und in Gold erwerben.

Bei Richard Lampert hat Steffen Kehrle seinen Tritt- und Sitzhocker „Mono“ noch einmal gründlich überarbeitet, schließlich muss man bei kleinsten Veränderungen der Form ein komplett neues Werkzeug für die Produktion fertigen lassen. Und nur der Kenner weiß wohin er zu schauen hat, um die Veränderungen zu bemerken. Man habe ihn besser machen wollen, erklärt der Münchner Designer seinen Anspruch, denn beim Gebrauch sind noch die einen oder anderen Punkte aufgefallen, bei denen „Mono“ einfach noch nicht ganz perfekt gewesen sei. Jetzt sitzt und steht es sich jedenfalls noch besser auf dem vielseitigen und praktischen Kameraden.

Ganz im Hier und Jetzt

Natürlich geht es auf einer Möbelmesse nicht ganz ohne neue Produkte, wenigstens um Erweiterungen der Kollektion. e15 beispielsweise ergänzt seine Kollektion mit Möbeln des britischen Architekten David Chipperfield um den Massivholzcouchtisch „Leighton“ und das Sideboard „Drayton“. Beide Stücke basieren auf dem von dem Tisch „Fayland“ bekannten strukturellen Prinzip. Wir erwarten als nächstes eine – protestantische – Pritsche oder ein Einzelbett. Aber wer weiß. Formell geradezu das Gegenteil zu den schweren Architekten-Möbeln ist da Jaime Hayons neuer „Pallette Desk“ für &Tradition, der große Bruder des Couchtisches namens „Pallette Table“.

Mit neuen Produkten wagt sich Pedrali nach vorn: „Nemea“ heißt der frische Holzstuhl des italienischen Designer-Trios Cazzaniga Mandelli Pagliarulo. Der Stuhl erweist sich als ausgesprochen leicht und als praktisch für den Objektbereich, denn man kann ihn an seiner gebogenen Lehne an der Tischplatte anhängen, so dass der Stuhl leicht über den Boden schwebt und dieser so einfach zu reinigen ist. Das wäre bei „Throne“ von New Tendency nicht denkbar: Aus Aluminium gefertigt, ist er ein Stuhl, den O.M. Ungers geliebt hätte. Und wie sein Name verheißt: Hier sitz man gelassen, aber würdevoll. Herumgelümmelt wird hier nicht.

Auch fällt auf: Überraschend viele Neuheiten wurden für den Flur entwickelt. In der Moderne zur funktionalen Durchgangszone verkommen, darf es dort nun wieder einladender zugehen – trotz meist bescheidener Abmessungen. Steffen Kehrle ist mit der Garderobe „Bazar“ für Richard Lampert ein vielseitiger Wurf aus Stahldraht gelungen. Bei den Müller Möbelwerkstätten wird mit dem platzsparenden „Shustack“ das Schuhregal zum Turm, und bei Schönbuch schafft Martin Hirth mit der Truhe „Chest“ jede Menge Stau- und Sitzraum zugleich. Ebenfalls neu bei Schönbuch ist die etwas bieder geratene Garderobe „Slot“ – ein einfacher Spiegel, mit rückseitiger Stange, an der man Jacken und Mäntel auf Bügeln hängt – und der Konsoltisch „Tub“; beides stammt von Sebastian Herkner.

Apropos Sebastian Herkner. Dessen Leistung, auf der imm cologne insgesamt 19 Neuheiten zu präsentieren, vermag zumindest schon mal quantitativ zu beeindrucken. Zudem hat der Offenbacher Designer in diesem Jahr den schönsten Messestand kreiert, den sich sämtliche Macher von Pop-Up- und Concept-Stores genau anschauen sollten: Er nennt sich „Das Haus“ und bietet jede Menge Anregungen, wenn es darum geht, Produkte geschickt in einer temporären Architektur zu platzieren.


>> Die Produktneuheiten der imm cologne 2016 finden Sie in unserer Datenbank

Giulio Cappellini und Jasper Morrison. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Walter Knoll hat den „Votteler Chair“ von Arno Votteler aus dem Jahre 1956 wieder aufgelegt und mit dem Stoff „Anni“ zu neuem Glanz verholfen. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Die „Multi-Lite Pendant Lamp“ (1972) von Louis Weisdorf hat Gubi wiederentdeckt. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Und noch ein Revival: Das weiche, modulare „Trio“ bei Cor atmet auch mit neuen Stoffbezügen den Geist der 1970er Jahre. Foto © Martina Metzner, Stylepark
Wurde so belassen, wie Rolf Heide sie 1969 entworfen hat: Die „Sofabank“ für Müller Möbelwerkstätten. Foto © Müller Möbelwerkstätten
Auch bei den Stoffen ist das Alte das Neue: „Sera“ von Rohi. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
„Plumy“ wirkt auf dem ersten Blick recht behäbig, man kann aber in unendlich vielen Positionen darauf äußerst bequem lümmeln. Entworfen wurde das Sofa 1980 von Annie Hieronimus für Ligne Roset. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Er lässt sich hängen: „Nemea“ des italienischen Designertrios Cazzaniga Mandelli Pagliarulos für Pedrali verspricht ein Star für den Objektbereich zu werden. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Neue Farben: Bei New Tendency erstrahlt nun das Wandregal „Click“ in den Farben Luis Barragans. Foto © Ubin Eoh, Bureau N
Nur ein Connaisseur erkennt’s: „Mono“ von Steffen Kehrle für Richard Lampert gibt es nicht nur in neuen Farben, sondern auch seine Gestalt wurde einem Update unterzogen. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
David Chipperfield wendet nun das strukturelle Prinzip seiner Möbel für e15 auch auf ein Sideboard namens „Drayton“ an. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Jaime Hayons „Pallette Table“ bekommt einen großen Bruder: der „Pallette Desk“ für &Tradition. Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Thonet frischt seine Stahlrohr-Klassiker farblich auf. Foto © Thonet
New Tendency hat einen „sophisticated“ Stuhl entwickelt: „Throne“ ist nichts für Bequeme.
Foto © New Tendency
Besser Aufhängen mit Steffen Kehrle: Die von ihm entworfene filigrane Wand- und Stehgarderobe „Bazar“ für Richard Lampert ist vielseitig und durchdacht.
Foto © Adeline Seidel, Stylepark
Sebastian Herkner durfte in diesem Jahr „Das Haus“ gestalten und hat den mit Abstand schönsten Messestand der imm cologne kreiert. Foto © Koelnmesse
Mehr geht fast nicht: 19 neue Produkte hat Herkner in Köln vorgestellt. Foto © Koelnmesse