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Im Dialog mit der Stadt

David Chipperfield Architects haben die ehemalige Préfecture de Paris in eine Stadt in der Stadt verwandelt, in der sich Themen wie Durchmischung, städtische Dichte und nachhaltiges Bauen wiederfinden.
von Alexander Russ | 20.07.2022

Mit großmaßstäblichen Projekten kennt sich das Büro David Chipperfield Architects bekanntlich gut aus, ebenso wie mit komplexen Sanierungsaufgaben. Als Beispiele seien die Museumsinsel in Berlin und die Sanierung der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe genannt. Das trifft auch auf ein Projekt in Paris zu: Bei der sogenannten Morland Mixité Capitale handelt es ich um die ehemalige Préfecture de Paris, die zwischen 1957 und 1964 nach den Plänen von Albert Laprade, Pierre-Victor Fournier und René Fontaine errichtet wurde. Nach einer jahrzehntelangen Nutzung durch die Pariser Stadtverwaltung wurde der introvertierte Gebäudekomplex nun von David Chipperfield Architects saniert, erweitert und zum Stadtraum geöffnet. Hinzu kommen neue Funktionen, die unter anderem Gastronomie, Büroflächen, 164 Wohnungen, ein Hotel, eine Jugendherberge, eine Markthalle, einen Kindergarten, diverse Gewerbeflächen und sogar ein Schwimmbad umfassen.

Zurück geht das Projekt auf den Wettbewerb "Réinventer Paris", bei dem verschiedene Teams, bestehend aus ArchitektInnen, Projektentwicklern, LandschaftsarchitektInnen und KünstlerInnen, neue Konzepte für 23 Plätze und Gebäude in Paris vorschlagen sollten. Im Fokus standen dabei Themen wie Durchmischung, städtische Dichte und Nachhaltigkeit. David Chipperfield Architects entwickelten für ihr Projekt, das unter anderem in Zusammenarbeit mit Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann von Studio Other Spaces und dem Landschaftsarchitekten Michel Desvigne Paysagiste entstand, eine Art Campus, der nun als Leuchtturm für das angrenzende Viertel dienen soll. Dazu fügten sie dem 16-stöckigen Bau mit H-förmigem Grundriss zwei Anbauten hinzu, die jeweils an der Seine am Quai Henri IV und am gegenüberliegenden Boulevard Morland angeordnet sind. Ersterer füllt dabei eine Lücke zwischen den einzelnen Bestandsbauten, die an die Morland Mixité Capitale anschließen, während der zweite Anbau am Boulevard Morland den zuvor offenen Vorplatz als länglicher Riegel begrenzt.

Beide Baukörper schweben als gerasterte Glaskörper über gewölbten Arkaden aus Ortbeton, die im Erdgeschoss angeordnet sind. Dadurch entstehen Passagen mit einem neuen öffentlichen Weg, der den Bau nach außen hin öffnen soll und unter anderem einen direkten Zugang zur Rooftop-Bar auf dem turmartigen Baukörper im Zentrum des Ensembles ermöglicht. Die architektonischen Interventionen gliedern dabei den Außenraum der Morland Mixité Capitale neu, indem sie den großen Hof auf der Seite des Quai Henri IV in zwei kleinere Innenhöfe unterteilen und dem Vorplatz am Boulevard Morland einen intimeren Charakter verleihen. Zusammengenommen ergibt sich eine begrünte Landschaft, bestehend aus drei Feldern, die mit organisch angeordneten Wegen durchzogen ist. Dabei dienen sowohl die begrünten Höfe als auch die Dachlandschaft als Wasserreservoir, wobei letztere mit vertikal angelegten Kulturen für Urban Gardening bestückt ist. Diese bespielen als begrünte Tafeln die Dachterrassen und ermöglichen aufgrund ihrer Anordnung einen Pflanzenanbau mit 2.300 Quadratmetern Anbaufläche auf 590 Quadratmetern Gebäudefläche.

Ganz oben, als Höhepunkt des turmartigen Baukörpers im Zentrum, befindet sich eine Rooftop-Bar, die sich auf die beiden obersten Geschosse verteilt und mit "The Seeing City" eine künstlerische Installation von Studio Other Spaces aufweist. Diese setzt sich aus einer Spiegeldecke in der 15. Etage und einer als Kaleidoskop konzipierten Decke in der 16. Etage zusammen. Beide erzeugen ein Wechselspiel zwischen Stadtlandschaft und Gebäude, wobei die Spiegeldecke das Pariser Straßenleben hinauf auf die Dachterrasse und in die Bar hinein reflektiert. In der 16. Etage ordneten Studio Other Spaces dann mehrere Kaleidoskopkästen an, die das Geschoss entlang der längsseitig angeordneten Glasfassaden am Quai Henri IV und am Boulevard Morland bespielen. Der dadurch entstehende Überblendungseffekt lässt den Panoramablick über Paris mit einer kaleidoskopischen Erweiterung des Himmels verschmelzen und verwischt so die Grenzen zwischen Innen und Außen.

Neben der Integration neuer Gebäudeteile erfolgte auch eine Sanierung des Bestands, der konstruktiv auf einem Skelett aus Ortbeton beruht und dessen Stützen wie auch die Fassade mit einem cremefarbenen Naturkalkstein verkleidet sind. Dazu wurden die Natursteinplatten der Fassade gereinigt, instandgesetzt und schadhafte Platten ausgetauscht. Auf die neue Mischnutzung der Morland Mixité Capitale reagierten David Chipperfield Architects mit offen konzipierten Grundrissen, die flexibel an spätere Umnutzungen anpassbar sein sollen. Das gilt auch für die gewölbten Arkaden im Erdgeschoss, die in der Folge sowohl in Innenräume wie auch Außenräume umgewandelt werden können. Als Herzstück des Ensembles erzeugen sie eine neue räumliche Zonierung, die einerseits das strenge Raster des Bestandbaus aufgreifen und aufgrund ihres skulpturalen Erscheinungsbilds andererseits klar als neues Element ablesbar sind. Die Landschaftsarchitektur von Michel Desvigne Paysagiste und die Installation "The Seeing City" von Studio Other Spaces erzeugen zudem eine subtile spielerische Note, die der abstrakten Monumentalität des Baus wohltuend entgegenwirkt. Dabei hätten mehrere solcher Elemente, die das Gebäude zusätzlich auflockern, sicher nicht geschadet. Trotzdem zeigt das Projekt exemplarisch, wie sich Bestandsbauten durch ein klares architektonisches Konzept und präzise Interventionen in etwas Neues transformieren lassen – um so in einen Dialog mit der Stadt zu treten.