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Prof. Matthias Wagner K

Das Leben gestalten

Design ist mehr als die Formfindung von Objekten. Über die Gestaltung können auch demokratische Prozesse initiiert werden, die zu unserer Lebensqualität beitragen. Mit "Design for Democracy. Atmospheres for a better life" bewerben sich die Stadt Frankfurt am Main und die Region RheinMain um den Titel "World Design Capital 2026". Die Leitung der Bewerbung liegt bei Prof. Matthias Wagner K, dem Direktor des Museum Angewandte Kunst. Er erfand den Claim und erklärt uns das Konzept im Interview.
01.11.2022

Anna Moldenhauer: Herr Prof. Wagner K, warum haben Sie sich entschieden, die Leitung und Koordination der Bewerbung von Frankfurt am Main als World Design Capital 2026 zu übernehmen?

Prof. Wagner K: Der ausschlaggebende Grund für mich ist die Arbeit, die wir mit dem Museum leisten und auch demnächst im Jahr 2025 mit der Ausstellung "Design für die Demokratie: Das Neue Frankfurt" zu dessen 100-jährigem Jubiläum wieder leisten werden. Es gibt in der Rhein-Main Region eine gute Basis von Gestaltungsmomenten, die zu gesellschaftlichen Umbrüchen führten, andere, neue Lebensformen für den Menschen und die Gesellschaft gedacht wurden: Beispielsweise die Medienrevolution, die vor mehr als 550 Jahren von Johannes Gutenberg in Mainz ausging, die wiederum gesellschaftliche Entwicklungen wie den Humanismus und die Reformation beeinflusste und zu einer gesteigerten Mündigkeit geführt hat, die gesellschaftliche Reformbewegung des Jugendstils oder der 1907 gegründete Deutsche Werkbund, der zu einem neuen Formverständnis führte. Zudem Das Neue Frankfurt, das von 1925 bis 1933 nicht nur ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm war, sondern in nahezu allen Bereichen der Gestaltung, im Interieur-, Mode-, Industrie-, Produkt- und Kommunikationsdesign, aber auch im Bereich des alltäglichen Lebens von einer demokratischen Gestaltungsutopie durchdrungen war und eine veränderte Form der Gesellschaft anstrebte. Und auch nach der dunklen Zeit des Nationalsozialismus war es wiederum die Stadt Frankfurt am Main, die mit den von 1963 bis 1968 währenden Ausschwitzprozessen für die bundesdeutsche, juristische Aufarbeitung des Holocaust steht. Hier begannen sich die Universitäten zu vernetzen, so dass man von angewandten Wissenschaften sprechen kann. Hier wird im kommenden Jahr der 1848 in der Paulskirche stattgefundenen ersten deutschen Nationalversammlung gedacht werden und soll ein Haus der Demokratie entstehen. Zahlreiche DesignerInnen leben und arbeiten in der Region, zahlreiche Hochschulen für Gestaltung und Kunst finden sich hier. Daher denke ich, die Bewerbung hat gute Chancen und es könnte spannend werden.

Wie wollen Sie das Potential des Designs die Gesellschaft positiv zu transformieren vermitteln?

Prof. Wagner K: Das ist eine gute Frage. Die täglichen Nachrichten verheißen nicht viel Gutes. Eine Bewerbung, die sich grundsätzlich mit einer Veränderung der Gesellschaft beschäftigt, mit der Rolle und Funktion von GestalterInnen, braucht einen positiven Duktus oder anders: Gute Lösungen brauchen gute Probleme. Viele unserer Probleme sind lösbar, daher sind sie schon einmal keine schlechten. Und ich denke, der Titel sagt es auch ­– "Design for Democracy, Atmosphere for better life" – das "bessere Leben" ist im Grunde wie ein Versprechen, dass Vieles noch änderbar ist. Was bedingt, dass wir die Dinge und alles um uns herum so gestalten, dass ein gutes Leben auch für nachfolgende Generationen möglich ist.

Die BürgerInnen sollen die Thematik der Demokratie praktisch und sinnlich erleben, es sollen Lernorte geschaffen werden. Können Sie ein Beispiel für diese Orte geben?

Prof. Wagner K.: Diese Lernorte schaffen wir zum Beispiel mit unserem Demokratiewerkstattwagen. Mit diesem können wir direkt bei und mit den Schulen Workshops veranstalten, die sich mit den Fragen der Demokratie beschäftigen. Der Wagen verfügt neben zwei Pavillons und jeder Menge Mobiliar beispielsweise auch über einen großen Bildschirm, so dass wir anhand von Bildmaterial erstmal mit den SchülerInnen darüber sprechen können, was Demokratie eigentlich bedeutet und über welche Möglichkeiten der Gestaltung wir verfügen. Auch welche Forderungen es gibt, und wie sich Zukunft denken lässt. An diese Workshops schließen im Grunde die Befragungen der Bevölkerung mit an, die sehr gut angenommen werden. Wir haben das Thema unter dem Slogan "Gib deinen Senf dazu" vereinfacht – und jeder der sich äußert bekommt auch Senf, in dem Fall eine Tube Bio-Senf (lacht).

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Welche Disziplinen der Gestaltung zeigen sie in diesem Kontext auf – Produktdesign, Industriedesign, Mediendesign, Designforschung, Architektur?

Prof. Wagner K.: Ich würde sagen, dass wir die Rolle und Funktion von GestalterInnen größer sehen und ihnen mehr Möglichkeiten zuschreiben, als vielleicht im Augenblick existieren. Mit Blick auf das Design ist es in erster Linie Kommunikationsdesign. Ausschlaggebend ist, dass GestalterInnen vertraut sind, in offenen Prozessen zu arbeiten und zu denken. Das Ergebnis ist für sie am Anfang noch nicht bekannt, sie suchen prozesshaft nach einer Lösung. Sprich, sie wissen welche Struktur ein Miteinander braucht. Das ist das Wertvolle, das erstmal alle GestalterInnen ausmacht – egal ob sie ProduktdesignerInnen oder KommunikationsdesignerInnen sind. Bei der Vermittlung von gesellschaftlich relevanten Informationen, wie etwa der Notwendigkeit einer Impfung gegen das Coronavirus, sollten GestalterInnen zu einem viel früheren Zeitpunkt miteinbezogen werden, weil sie wissenschaftliche Forschung anschaulicher vermitteln können. Und das sehe ich genauso bei politischen Prozessen. Es fängt bei einem Handzettel an und zieht sich bis zu der Gestaltung eines Einbürgerungs- oder Meldebogens, die aktuell eher schwer zu lesen und zu verstehen sind. Wenn man GestalterInnen früher in die Entwicklung dieser Kommunikation miteinbeziehen würde, gäbe es andere Lösungen und die Zugänge wären deutlich einfacher. Das sollte eine Forderung sein: GestalterInnen sehr früh in politische Prozesse miteinzubeziehen – als ModeratorInnen zwischen Politik und den BürgerInnen, aber auch in der Vernetzung zwischen Politik und Wissenschaft, wie der Transformation von wissenschaftlichen Ergebnissen zu für uns alle lesbaren und also verstehbaren Präsentationen. Insofern glaube ich, es ist viel mehr. Letztendlich könnte man das "Design for Democracy" auch herunterbrechen auf: Gestalten wir, wie wir leben wollen. Das sind auch die Diskussionen, die geführt werden anlässlich der Planung für das "Haus der Demokratie", das in Frankfurt entstehen soll: Soll es ein offener, transparenter Ort werden, der veränderbar ist oder soll es sich eher um einen musealen Erinnerungsort handeln? Geht es darum, im Hier und Jetzt Demokratie erfahrbar zu machen, Widersprüche aufzuzeigen und eine Atmosphäre für ein gutes, streitbares Miteinander zu schaffen oder eher um einen repräsentativen Ort? Das sind alles Fragen, bei denen es um eine wie auch immer geartete Form von Gestaltung geht und eben dieser Prozess ein Beitrag dieser Bewerbung sein wird.

GestalterInnen haben viele Ideen, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern könnten. Es scheitert allerdings oft daran, unsere bestehenden Systeme hierfür anzupassen. Was braucht es, damit der Ruf nach Veränderung nicht auf halber Strecke verklingt?

Prof. Wagner K.: Ich glaube das ist nicht ganz einfach zu beantworten, da es erstmal in der Breite ein Erkennen braucht für diese Probleme. Der Mensch neigt dazu, sich wegzuducken, wenn die schlechten Nachrichten zu viel werden, um nicht durchweg mit gesenktem Haupt durch die Straßen gehen zu müssen. Ich glaube das hat auch etwas mit Kommunikation zu tun. Probleme müssen artikuliert werden. Gleichzeitig muss vermittelt werden, dass sie lösbar sind und es ganz unterschiedliche Zugänge zu diesen Lösungen geben kann. Wir haben die Dinge selbst in der Hand und können mitentscheiden, was sich verändern soll. Ich denke, dass die Bewerbung um diesen Titel ein großes Themenspektrum miteinschließen kann. Sei es der vom Menschen gemachte Klimawandel, die poröser werdenden Säulen der Demokratien, der Hang zu autokratischer Staatsführung in Ost und West bis hin zu Bildung, Gesundheit, Wohnen, Mobilität, Ernährung, Energie und anderen Bereichen im Alltag eines jeden Menschen. Der Titel "World Design Capital 2026" hat eine internationale Tragweite und Aufmerksamkeit. Er bietet also eine Chance, um Lösungen unterschiedlicher Art sichtbar zu machen – zum Beispiel, dass man im Bestand umbaut und dokumentiert, welche Energie damit eingespart wird. Bei der Produktgestaltung sollte Nachhaltigkeit sowieso in der DNA des Gestaltens verankert sein. Wo haben wir Fehler gemacht und wie können wir diese ändern und die Änderungen beispielhaft zur Anschauung bringen? Die Welt wird auf uns blicken, wenn wir diesen Titel erhalten. Das könnte für den Bereich der Gestaltung sehr viel ausmachen und auch in der Bevölkerung dazu führen, dass man Möglichkeiten sieht, die gar nicht so weit entfernt sind und an denen man sich beteiligen kann; und auch Forderungen ableiten kann.

Sie sagten "Wir wollen uns nicht mit dem Titel schmücken, sondern die Bewerbung zum Anlass nehmen, eine Bewegung für eine demokratische Kultur der Freiheit und ein besseres Leben zu organisieren." Sprich es zählt das Bewusstsein jeder einzelnen Person. Uns geht es in Deutschland trotz aller Krisen vergleichsweise gut. Glauben Sie, dass die Dringlichkeit sich für Demokratie einzusetzen erkannt wird?

Prof. Wagner K.: Sofern wir den Titel erhalten, haben wir dann auch eine Vorbildfunktion. Für die Vermittlung dieser brauchen wir Transparenz in all den genannten Prozessen, etwa wie wir zu der Gestaltung des Hauses für Demokratie gekommen sind. Es gibt und wird viele Beispiele geben, anhand derer sich die Dringlichkeiten erläutern lassen.

"Was wir für ein besseres Leben ganz bestimmt nicht brauchen, sind noch mehr Dinge. Immer neue Produkte zu entwerfen, bringt uns einander nicht näher. Stattdessen wollen wir zeigen, dass es darum geht, Räume zu schaffen und Orte zu gestalten, an denen unterschiedliche Menschen sich begegnen können." An diesem Satz bin ich hängengeblieben, da ich der Meinung bin, dass auch neue Dinge beitragen können, eine demokratische Atmosphäre zu schaffen. Es geht eher darum welchen Nutzen diese für die Gemeinschaft haben und ob sie ganzheitlich gedacht sind, nicht nur dem Konsum dienen sollen. Wie das aktuelle Projekt "Otta x Watt" von ante up, das über neues Design den Stadtraum aufwertet. Ging Ihre Überlegung eventuell in diese Richtung?

Prof. Wagner K: Ja genau. Eine Aufwertung des Stadtraums – in diese Richtung denken wir auch und analysieren, wie der öffentliche Raum für uns aktuell formatiert ist. Meist ist dieser von Konsuminteressen geprägt und zum Teil auch von extrem schlechter Gestaltung. Daher stellen wir die Frage, wie Plätze aussehen müssen, damit man nicht nur schnell drüber hinweg gehen will oder achtlos seinen Müll fallen lässt, sondern diese wie einen eigenen Raum, sein Zuhause empfindet und sich entsprechend verhält. Es geht auch darum, Atmosphären zu schaffen, in der man Freude daran hat, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Aussage "Es braucht nicht noch mehr Dinge" meint genau das. Wenn ich in die Auslage der Geschäfte blicke, frage ich mich einerseits, ob es nötig ist, für die dritte Vase oder den zehnten Stuhl unsere Ressourcen zu verbrauchen und ob es diese extrem schnellen Zyklen im Modedesign braucht. Andererseits stellt sich mir die Frage, ob es nicht einen elften Stuhl braucht, bei dem die Fehler der anderen zehn korrigiert wurden und ob wir also nicht Dinge schaffen können, die langlebiger, besser und schöner sind, weil ich beispielsweise auf dem elften Stuhl gut sitzen kann, er mir auch nach mehreren Stunden des Sitzens keine Rückenschmerzen bereitet, wie die anderen. Weswegen sollte ich ein solches Sitzmöbel schnell wieder loswerden?

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Sollte Design nicht nur der Demokratie dienen, sondern auch selbst demokratisch sein?

Prof. Wagner K: Das ist meiner Meinung nach sehr schwierig. Zwischen Design für die Demokratie und demokratischem Design sehe ich einen Unterschied. Das Wissen, das wir eine offene Demokratie brauchen, weil nur sie uns auch ein entsprechendes Leben und Miteinander ermöglicht, beeinträchtigt uns nicht in der freien Gestaltung. Demokratisches Design hingegen könnte schnell ideologisch werden, also fast in das Gegenteil eines freien Gestaltungsprozesses umschlagen. Was es aber ganz sicher braucht ist Haltung, Verantwortung und eine Form von Ehrlichkeit. Und dass man sich als GestalterIn überlegt, für wen und was man arbeitet.

Wie wird der Zusammenhang von Gestaltung und Demokratie im Museum Angewandte Kunst sichtbar werden?

Prof. Wagner K: Diese Bewerbung ist als Unternehmung erst einmal ein freies Projekt, unabhängig vom Museum Angewandte Kunst – auch wenn das Projektbüro im Museum verortet ist. Wir planen aber, wie ich am Anfang schon erwähnte, uns erneut dem Neuen Frankfurt zu widmen und wollen schauen, was eigentlich davon übriggeblieben ist, welche ähnlichen, von der Gestaltung, dem Design herrührenden Bewegungen es in der Welt gegeben hat oder gerade gibt. Das wird dann ganz sicher ein das ganze Museum einnehmendes, über wenigstens ein Jahr laufendes Projekt, was durchaus den Obertitel "Design for Democracy" haben könnte.

Design for Democracy