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Erich Dieckmann, Collage mit Stickerei von Margit Jäschke

Zu Unrecht vergessen

Die Kunststiftung Sachsen-Anhalt zeigt aktuell in Halle eine Ausstellung über den Möbelgestalter Erich Dieckmann. Die Ausstellungsarchitektur von Stefan Diez setzt die Werke des Bauhäuslers in Szene.
von Judith Jenner | 17.02.2022

Auch wenn sein Name nicht jedem ein Begriff sein dürfte, Erich Dieckmanns Möbel kennt fast jeder. Sein Korbstuhl ist der Prototyp eines Gartenmöbels par excellence, sein tropfenförmige Stahlrohrsessel findet sich in vielen Bauhaus-Monografien. In Halle an der Saale hat die Kunststiftung Sachsen-Anhalt jetzt eine Ausstellung zu Erich Dieckmann (1896-1944) eröffnet, die ab dem 7. Mai 2022 auch in Berlin zu sehen sein wird. Zu den Exponaten gehören teils originale, teils nachgebaute Möbel des Bauhäuslers sowie Skizzen und Zeichnungen aus seinem Nachlass. Wie sich das Werk Erich Dieckmanns in die heutige Zeit übertragen lässt, zeigen Studierende der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle in der Galerie im Volkspark mit eigenen Entwürfen, zu denen sie sich von Dieckmann inspirieren ließen. Beide Ausstellungsteile sind ab dem Mai im Berliner Kunstgewerbemuseum zu sehen.

Mit einem Vordiplom in Architektur und einer Mal- und Zeichenlehre in der Tasche, ließ sich Erich Dieckmann am Bauhaus in Weimar zum Tischler ausbilden. Er galt als Musterschüler von Walter Gropius und avancierte nach der Gesellenprüfung zum Leiter der Tischlerei. Im Haus Am Horn, dem ersten vom Bauhaus eingerichteten Musterhaus, übernahm er 1923 die Einrichtung des Wohn- und des Esszimmers – und erhielt von der zeitgenössischen Öffentlichkeit viel Lob für die "Einfachheit der Ausstattung und der Ökonomie der Herstellung". Zahlreiche Bauhäusler ließen ihre Wohn- und Arbeitsräume von Erich Dieckmann einrichten, unter anderem Wilhelm Wagenfeld. Dieckmanns Entwürfe galten als wohnlicher und nahbarer als die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, wohl auch, weil er zu Beginn vornehmlich mit Holz arbeitete.

Sessel (Modell 8219), Stahlrohr, vernickelt; Eisengarnstoff, um 1931
Buffetuhr für das Speisezimmer des Unternehmers Otto Bamberger, 1931

Auch wenn die ersten Entwürfe Erich Dieckmanns recht gradlinig ausfielen, wie sein erster Stuhl mit Binsengeflecht aus dem Jahr 1923, nahm er später geschwungene Formen in seine Gestaltung auf. Anhand Skizzen, Zeichnungen und Fotografien können die BesucherInnen die Entwurfsprozesse in der Ausstellung nachvollziehen. Für den Mies van der Rohe-Block in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung entwickelte er die ersten Typenmöbel des Bauhauses, zusammensetzbare Systeme mit einem Grundmaß, die in Wohn-, Schlaf- oder Esszimmer eine Einheit bilden können. In dem Ausstellungsteil "Living like Dieckmann" können Besuchende zudem das Wohngefühl von damals anhand nachgebauter Möbel erleben.

Nach der Schließung des Bauhauses in Weimar blieb der aus Niedersachsen stammende Gestalter erst noch an der Staatlichen Bauhochschule Weimar. 1930 drängten ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt. Wie andere Bauhäusler ging er nach Halle und leitete 1931 bis 1933 die Werkstatt von Burg Giebichenstein. Nach seiner zweiten Entlassung kam er beruflich nicht mehr auf einen grünen Zweig, schlug sich mit Verwaltungsjobs durch und erlag 1944 mit nur 48 Jahren einem Herzleiden. Sein Werk geriet in Vergessenheit.

Das möchte die Kunststiftung Sachsen-Anhalt ändern. Das auf das Wesentliche reduzierte Ausstellungsdesign von Stefan Diez und Wagner Living knüpft ideal an Dieckmanns Gestaltungsprinzipien an: Als Baukasten mit Profilen und Verbindern sowie Wabenplatten aus Karton oder Aluminium konnte mit dem System "D2" eine nachhaltige Ausstellungsarchitektur in Leichtbauweise realisiert werden, deren Elemente einfach ineinandergesteckt werden. Wie ein roter Faden begleitet zudem die multifunktionale Leuchtenkollektion Plusminus die BesucherInnen durch die Räume, die Stefan Diez gemeinsam mit Vibia entwickelt hat. Passend dazu ist auch die klare Formensprache der Typographie von Erik Spiekermann.

Ausstellungsdesign von Stefan Diez und Wagner Living mit dem "D2"-System sowie "Plusminus" von Stefan Diez für Vibia

Mit der Ausstellung zollen die InitiatorInnen einem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Bauhäusler Respekt und fügen dem öffentlichen Bild über die Ära neue Aspekte hinzu. Begleitet wird die Schau zudem von Arbeiten der Studierenden, wie aus dem Fachbereich Industrial Design/ System Design der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle unter dem Titel "Zwischen den Stühlen" oder dem aus den Bereichen Industriedesign, Fotografie im Kommunikationsdesign und Kunstpädagogik unter dem Titel "Sitzen neu betrachtet. Entwerfen, beobachten, inszenieren an der Burg". Das moderne Ausstellungsdesign und die Möbelentwürfe der Studentinnen und Studenten zeigt zudem, dass die Gestaltungsprinzipien Erich Dieckmanns bis heute nicht an Aktualität verloren haben.

"Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann" ist noch bis zum 27. März 2022 in Halle zu sehen. Vom 7. Mai bis zum 14. August 2022 wird die Ausstellung im Berliner Kunstgewerbemuseum gezeigt.

Stühle. Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann
Bis 27. März 2022

Kunststiftung Sachsen-Anhalt
Neuwerk 11
06108 Halle (Saale)
Mittwoch bis Sonntag: 14 bis 18 Uhr

Burg Galerie im Volkspark
SITZEN neu betrachtet. Entwerfen, beobachten, inszenieren an der BURG
Bis 20. März 2022

Schleifweg 8a
06114 Halle (Saale)
Montag bis Sonntag: 14:00 Uhr bis 19:00 Uhr
Eintritt frei

Stühle. Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann
Vom 7. Mai 2022 bis 14. August 2022

Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Dienstag bis Freitag: 10 - 18 Uhr
Samstag und Sonntag: 11 - 18 Uhr

Stühle: Dieckmann! Der vergessene Bauhäusler Erich Dieckmann