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DUTCH DESIGN WEEK – REVIEW
Gemeinsam gestalten

Bis zum 29. Oktober 2023 fand die Dutch Design Week in Eindhoven statt. "DesignerInnen sind auf einer Mission", heißt es in einer Pressemeldung des Events, mit dem Ziel auf lokaler Ebene Lösungen für globale Herausforderungen anzubieten. Dazu zählt die Klimakrise ebenso wie die Zukunft unserer Ernährung oder eine effizientere Gestaltung von städtischen Umgebungen.
von Anna Moldenhauer | 27.10.2023

Die Dringlichkeit nachhaltiges Design zu entwerfen, eine Zukunft für die Gesellschaft zu gestalten, die mehr Optionen für das tägliche Leben bietet als bisher, war beim Gang durch die zahlreichen Ausstellungen der Dutch Design Week deutlich spürbar. Statt ein neues Produkt hochzuheben, analysieren die überwiegend jungen AusstellerInnen die Prozesse der Gestaltung und ihre Auswirkungen. In ihren interdisziplinären Entwürfen zeigt sich der Wunsch nach einer kritischen Reflektion der Gegenwart, nach einer positiven Veränderung unserer Umwelt sowie die Frage nach der eigenen Identität und Aufgabe als GestalterIn. Die Chance auf Veränderung nutzen, bessere Alternativen entwickeln, Visionen teilen und gute Ideen in die Realität übersetzen, lautete die Agenda – denn alles was wir nutzen ist designt, gestaltet, entworfen, vom Gebäude bis zum Stuhl. "Picture this" lautet passenderweise das Motto der Dutch Design Week 2023. Designerin Miriam van der Lubbe, Creative Head der DDW, forderte in ihrer Eröffnungsrede die DesignerInnen auf, ihre Aufgaben in der Gestaltung des Wandels zu erkennen, die Prozesse voranzubringen und die Möglichkeiten für eine Vermittlung in der Gesellschaft zu visualisieren: "wir müssen aufmerksam sein, wir müssen unsere Arbeit sehr gut machen", sagte sie.

Die Arbeiten der Studierenden der renommierten Design Academy Einhoven konnten in diesem Jahr unter anderem in der Heuvel Galerie, einem Einkaufszentrum, erlebt werden, und wurden damit aus der Designblase der Branche mitten in einen unserer alltäglichen Konsumtempel gebracht. Auch die gemeinsame Präsentation von sechs Möbelunternehmen "Future>Factory>Furniture" im zentralen Ausstellungsgebäude Klogebouw verdeutlichte das Bestreben nach einem gemeinsamen Weg: Arco, CS Rugs, Gelderland, Label van den Berg, Lande Family und Leolux zeigen mittels der Exponate anschaulich eine Auswahl der Problematiken, Chancen und den Status quo ihrer Herstellungsprozesse auf. "Wir können nur etwas bewirken, wenn wir unsere Anstrengungen im Bereich der Nachhaltigkeit bündeln, den Dialog starten über die Verdeutlichung der Dilemmas der Industrie. Jedes Glied in der Kette muss seinen Beitrag zum Möbelstück und dessen Weg zum Markt leisten.", lautete das Statement.

Erstmalig stellte die DDW zudem "Beacons" vor, internationale DesignerInnen, die PionierInnen auf ihrem Gebiet sind und im Gegensatz zu den bisherigen "Ambassadors" langfristige Kooperationen mit dem Event eingehen, um ihr Wissen zu teilen: der deutsche Industriedesigner Stefan Diez, die niederländischen Social Designerinnen Sanne und Neele Kistemaker von Muzus Design sowie der britische Künstler und Designer Yinka Ilori.

Zehn Highlights der Dutch Design Week 2023

Frans van Rooijen & Michael Sailer: "Xyhlo Biofinish"

Teil des Secrid Talent Podiums ist die Präsentation des CO2-und klimaneutralen "Xyhlo Biofinish" von Frans van Rooijen & Michael Sailer: Eine umweltfreundliche Holzvergütungsmethode, die sich für den Außenbereich, wie dem Wohnungsbau, der hölzernen Fassadenverkleidung oder dem Gartenbau eignet. Das Holz wird im Zuge einer Ölbehandlung und dem Auftrag einer biologischen Pilzschicht geschützt, alle Rohstoffe werden aus natürlichen und lokalen Quellen gewonnen. Die biologische Schutzschicht kann kleine Beschädigungen selbst reparieren und ist wartungsarm. Das mit "Xyhlo Biofinish" behandelte Holz kann komplett in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden.

Lucas De Man und Pascal Leboucq: "Possible Landscapes"

Die Ausstellung "Possible Landscapes" von Biobased Creations im Embassy of Circular & Biobased Building zeigt unter der Leitung von Lucas De Man und Pascal Leboucq zahlreiche Beispiele für zirkuläres und biobasiertes Bauen und bietet Einblick in die Forschung zu die regenerativen Landschaften von heute und morgen. Wie modulare Häuser, die versetzbar sind, gefertigt aus natürlichen, lokalen Materialien und platziert auf Stelzen, um die Natur so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.

Seoungjun Lee: "Long Live the Pine"

Seoungjun Lee zeigt mit seiner Installation "Long Live the Pine" ein Stecksystem aus Pinienholz. Die Exponate thematisieren in der Form von Fenstern als Portale das konventionelle koreanische Leben, in dem der Pinie im Bau von Gebäuden sowie in alltäglichen Bräuchen ein hoher Stellenwert zukam. Dank der hohen handwerkliche Präzision des Designers und der nachhaltigen Herstellung schafft er zudem einen neuen Kontext für die besondere Ästhetik des Pinienholzes.

Grietje Schepers: "Ellipt"

Die Lichtinstallation "Ellipt" prägt den Ausstellungsraum im Restaurant "Kazerne" auf 2000 Quadratmetern. Die geometrisch verschlungenden Muster der Leuchtenschirme sind Ergebnis einer Reihe von Experimenten, in denen Schepers 3D-Formen aus einer flachen Oberfläche mit minimalem Materialeinsatz und ohne Schnittabfall produzierte. Die Serie wird aus 100 Prozent natürlichem holländischem Filz von Holland Wol Collectief hergestellt, und mit Hilfe einer industriellen Schneidetechnik finalisiert. Dank der offenen Form der Filzblätter sind die Leuchten schalldämpfend und ideal für große Projekträume.

Emy Bensdorp: Claybens

Emy Bensdorp entwickelt mit dem Designforschungsprojekt Claybens eine Technik zur Umwandlung von PFAS-kontaminierten Tonböden. Laut Claybens werden die per- und polyfluorierte Chemikalien – Industriechemikalien, die aufgrund ihrer wasser- und fettabweisenden Eigenschaften in der Produktion von Gütern weit verbreitet sind und so ihren Weg in die Umwelt gefunden haben – bei Temperaturen zwischen 900 und 1200 Grad Celsius zerstört. Diese Temperaturen können bei der Ziegelherstellung erreicht werden. Der Prozess eleminiert den toxischen Anteil in der Tonerde und schafft neue Ziegel. Das Projekt ist Teil des Secrid Talent Podiums.

Darüber hinaus spannend: Yi Design stellt Ziegelsteine aus recycelten Keramikabfällen her: Der leichtgewichtige, poröse "Permeable YiBrick" besteht beispielsweise zu 90 Prozent aus wiederverwerteten Keramikabfällen und kann in Bereichen eingesetzt werden, bei dem die Wasserdurchlässigkeit bedeutsam ist – wie die Pflasterung von Böden, die zu Staunässe neigen. Tête-à-Terra nutzt in Zusammenarbeit mit Mono Earth und Kalebodur Abfallfragmente aus der Keramikproduktion für Lehmziegel. A Waste Epiphany recycelt Ziegel und Beton in Handarbeit mittels der Stampflehmtechnik.

Luna Wirtz-Ortvald: "Reconstructing a Practice"

Mit "Reconstructing a Practice" erforscht Luna Wirtz-Ortvald die Entwicklung und das Handwerk der traditionellen strohgedeckten Häuser aus Seegras auf der dänischen Insel Læsø". Eine Studie über die historische, kulturelle und ökologische Vergangenheit der Insel offenbart die früheren kontextuellen Praktiken der lokalen Bauprozesse und bildet eine Zukunftsperspektive für die Erhaltung des reichen kulturellen Erbes.

Lotte Wigman (Studio Lo.tek): Negotiating Boundaries

Die Materialforschung "Seacrete" von Lotte Wigman zeigt ein umweltfreundliches Baumaterial, das als Alternative zu Beton und Zement dienen soll. Austern und Muscheln bieten als Kalkquellen die Basis. Das Ergebnis ist ein Baustil, der Erosion und Sukzession als Gestaltungsprozesse begreift und den Anstieg des Meeresspiegels berücksichtigt. Die kreislauffähigen Lebensräume sollen helfen, das Gleichgewicht zwischen Mensch und Ökosystem wiederherzustellen.

Hedwich Hooghiemstra & Aline Gerars: Stilterruimte

Hooghiemstra und Gerards analysieren, wie man einen Raum für Ruhe und Kontemplation schaffen kann, der sowohl zu dem jeweiligen Kontext passt sowie die Raumerfahrung der Nutzerinnen in den Mittelpunkt rückt – von Krankenhäusern über Schulen bis Büros. Ihr Ziel ist es durch den Entwurf eines Ruheraums, der für jede Person der Umgebung zugänglich ist, diesen eine Pause im hektischen Alltag zu ermöglichen, um beispielsweise Erschöpfungserkrankungen entgegenzuwirken. Ebenso fördert das Angebot eines Ruheraums eine neue Akzeptanz in unserer Gesellschaft für die Notwendigkeit von Pausen.

MB>CO2 von Thijs Biersteker

Die Kunstinstallation visualisiert die versteckten Auswirkungen unserer täglichen Datennutzung, für die in den Rechenzentren Energie aus Kohle und Gas generiert wird: "MB>CO2" von Thijs Biersteker berechnet dessen CO2-Fußabdruck und übersetzt ihn in CO2-Luftstöße, die in ein lebendes Biotop geblasen werden. Laut Biersteker entspricht zum Beispiel ein durchschnittliches Zoom-Meeting einer 140 Meter langen Autofahrt mit einem Benzinauto.

Sebastian Gyorgy: Voxelium

In seinem Projekt "Voxelium" untersucht Sebastian Gyorgy wie sich die Bauweisen der Natur auf Design und Architektur übertragen lassen könnte: "Im Gegensatz zum Menschen verwendet die Natur nur eine Handvoll Standardbausteine Bausteine, die Aminosäuren, aus denen dann Proteine, komplexe Moleküle, Zellen, Organe und schließlich Lebewesen. Sie sind vollständig modular und alle Teile werden wiederverwendet. Davon inspiriert habe ich untersucht, wie wir auf ähnliche Weise Strukturen aufbauen und wieder abbauen können. Ähnlich wie Pixel auf einem digitalen Bildschirm oder Zellen in einem Körper, stelle ich mir eine Welt vor, in der Materialien selbstorganisiert und digital werden. Laden Sie ein Modell aus dem Internet herunter und Ihr Stuhl würde sich in ein neues Design verwandeln. Wenn er nicht mehr zu gebrauchen ist, wird er zerlegt, damit er zu dem nächsten Gegenstand zusammengebaut werden kann, der gerade benötigt wird."

Tipp: Solarlix

Solarlix entwickelt gemeinsam mit DesignerInnen, ArchitektInnen und IngenieurInnen energieerzeugende Fassadenpaneele, die neben der Funktion eine große Varianz an Farben und Strukturen bieten. Mittels der ästhetischen Solarmodule für die Fassade wird ArchitektInnen und BauherrInnen mehr Möglichkeiten für eine Gestaltung nachhaltiger Gebäude geboten. Das Projekt wird als Teil des Secrid Talent Podiums vorgestellt.