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Ausstellungsansicht DVRZ Design Days

Gegen alle Widerstände

Die DVRZ Design Days in Kiew boten kürzlich DesignerInnen aus allen Teilen der Ukraine eine Plattform, um ihre Kreationen zu präsentieren sowie ein Umfeld der Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung zu fördern. Die Kuratorin Larysa Tsybina und die Architektin Anait Danielian berichten uns, was es braucht, um ihre kreative Arbeit inmitten des Krieges fortzusetzen, und was wir daraus lernen können.
31.10.2023

Anna Moldenhauer: Was war euer Fazit der DVRZ Design Days in Kyiv?

Larysa Tsybina: Es war absolut positiv und sehr wichtig für unsere lokale kreative Gemeinschaft und für die ukrainische Gesellschaft. Wir haben mit einer solchen Veranstaltung während des Krieges ein weiteres Mal unsere Widerstandsfähigkeit und unseren Glauben an die Zukunft gezeigt. Andererseits war es sehr interessant, die unterschiedlichen Ansätze der DesignerInnen zu sehen, handgefertigte Einzelstücke ebenso wie industrielles Design für die Massenproduktion. Nach dem Sieg hoffen wir, dass der Produktion, den Kreativen und der Kultur in der Ukraine mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wir haben jetzt wirklich verstanden, wer wir sind und dass wir uns von Russland sehr unterscheiden. Wir sind sehr aufgeschlossen, wir träumen von der Zukunft und davon, diesem Alptraum zu entkommen. Vor kurzem gab es zum Beispiel wieder einen Bombenanschlag in Kyiv, dieses Mal in der Nähe meiner Wohung, so dass in dieser jetzt so gut wie keine Fenster mehr vorhanden sind.

Wie organisierst du Ausstellungen wie die DVRZ mitten im Krieg?

Larysa Tsybina: Das Zeitgefühl und die Möglichkeiten, die wir in der Ukraine haben, unterscheiden sich derzeit stark von europäischen Standards. Wir haben gelernt, Projekte in sehr kurzer Zeit und unter schweren Bedingungen zu realisieren. Von der Idee bis zur Ausstellung haben wir nur eineinhalb Monate gebraucht. Vor unserer Ausstellung "Ukraine: Design for Real Time", die 2022 im Barcelona Design Museum gezeigt wurde und 2023 Teil des ukrainischen Pavillons auf der Londoner Design Biennale war, habe ich zwei Jahre lang daran gearbeitet, über ukrainisches Design anhand von Objekten und kreativen Gemeinschaften zu berichten, ich bin viel gereist. Ich spreche über die Ukraine durch Design. Als ich nach Kyiv zurückkam, wurde mir klar, dass wir auch mit den UkrainerInnen vor Ort über unsere Widerstandsfähigkeit und unseren Willen sprechen müssen. Selbst in der globalen Welt ist jedes Design eine sehr lokale Disziplin. Also schlug ich meinen FreundInnen vor, die einen Standort im Industriegebiet haben, ukrainische DesignerInnen und ukrainische Produktionen, Werkstätten, die aktuell noch arbeiten und produzieren, zusammenzubringen. Für die Gestaltung dieser Ausstellung konnten wir 18 TeilnehmerInnen gewinnen, die uns ein Budget für die Organisation zur Verfügung gestellt haben.

Ausstellungsansicht DVRZ Design Days

Anait, was war dein Konzept für die Ausstellungsarchitektur?

Anait Danielian: Ich war von der Idee, die Ausstellung in Kyiv zu organisieren, sehr begeistert, weil ich der Meinung bin, dass Designentwicklung in verschiedenen Phasen stattfindet und dass Entwicklung nicht möglich ist, ohne sich jeder Stufe zu stellen. Wir haben bereits die Ausbildung und die Praxis, nun brauchen wir das Feedback des Publikums und unserer NutzerInnen. Zur Architektur der Anlage: Die Fläche ist ein Industriegebiet und daher nicht ungefährlich. Die erste Aufgabe bestand also darin, den BesucherInnen verständlich zu machen, wie sie sich bewegen und wohin sie gehen sollten. Es ging viel um menschliche Psychologie und darum, wie Personen an diesem Ort handeln. Wir hatten keine Zeit für komplizierte Konstruktionen, wir mussten sehr schnell arbeiten. Es gab auch zwei Schutzräume auf dem Gelände für den Fall eines Angriffs – auch wenn die russischen Angreifer normalerweise nachts die Stadt bombadieren, meist gegen drei Uhr morgens.

Wie hast du die Kreativen für die Ausstellung ausgewählt?

Larysa Tsybina: Wir haben für die Auwahl klare Vorgaben gesetzt: Erstens, es musste eine ukrainische Produktion sein. Zweitens, dass der Artikel in Serie produziert werden kann. Drittens, dass die Gestalter nur Industriedesigner und professionelle Designer sind und dass das Material sinnvoll verwendet wird. Wir sind ein sehr reiches Land und haben viele Materialien und Ressourcen, aber ein Teil davon ist jetzt nicht zugänglich, weil er sich im Besatzungsgebiet befindet oder die Industrie teilweise zerstört ist. In dieser Situation müssen wir also neue Designmethoden entwickeln, um das zu schaffen, was wirklich gebraucht wird, und die Materialien nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben auch Meisterklassen und Workshops zum Thema Upcycling veranstaltet. Während wir die Ausstellung aufbauten, bereiteten wir auch die Objekte für die Londoner Design-Biennale vor: methamorphe Industrieformen aus sechs ukrainischen Materialien. Es war eine Art Designreflexion in Echtzeit. Designer sind nicht wie Künstler, sie müssen sich für eine Aufgabe entscheiden, nicht für ihre eigene Reflexion. Aber unsere heutige Zeit ist sehr hart, so dass persönliche Überlegungen zur Situation automatisch in ihre Arbeit einfließen. Deshalb organisieren wir Ausstellungen und Bildungsplattformen, auch Workshops zum Thema Upcycling.

EasyStory: "Easytable"
Joyf: "Lito"

Ihr steht in engem Kontakt mit den Kreativen der ukrainischen Design- und Architekturszene. Wie gehen eure KollegInnen mit der Situation um?

Larysa Tsybina: Unsere Inspiration unterscheidet sich derzeit. Wir erledigen die Aufgaben, die in Kriegszeiten notwendig sind, um die UkrainerInnen und das ukrainische Design trotz der schwierigen Bedingungen zu unterstützen. Dennoch arbeiten die Ateliers und Werkstätten in der Ukraine weiter, wenn sie nicht in den besetzten Gebieten sind. Sie produzieren im Moment mehr funktionale als emotionale Objekte.

Wie wird das Projekt finanziert?

Larysa Tsybina: Unsere PartnerInnen sind drei ukrainische Unternehmen und eines aus Kanada. Es reichte für die Ausstellung, und wir haben sogar einen Teil des Geldes an ein medizinisches Zentrum für ukrainische SoldatInnen gespendet.

„Wir sind stark, wir stehen zusammen und wir sind bereit zu arbeiten.“

Anait Danielian

Anait, kannst du mir ein wenig von deiner Sichtweise erzählen: Was ist die Botschaft, die du mit deiner Arbeit vermitteln willst?

Anait Danielian: Ich würde sagen, dass die wichtigste Kraft für die UkrainerInnen, wie für die ukrainischen DesignerInnen und die Gesellschaft im Allgemeinen, die Bewahrung ist. Wir sollten uns gegenseitig helfen, denn nur als ein Organismus können wir uns weiterentwickeln. Das ist der Hauptgrund für uns alle, zu arbeiten und Geld aufzutreiben, um ein solches Projekt zu diesem Zeitpunkt zu realisieren. Um gemeinsam voranzukommen haben wir als Team eineinhalb Monate lang ohne Urlaub, ohne Zeitplan und unter nächtlichen Angriffen gearbeitet. Ich denke, das ist die wichtigste Botschaft, die wir in die Welt senden wollen: Wir sind stark, wir stehen zusammen und wir sind bereit zu arbeiten. Arbeitet mit uns, wir sind lebendig.

Startet ihr gerade ein neues Projekt?

Anait Danielian: Zurzeit arbeite ich an einigen Innenraumprojekten hier in der Ukraine, natürlich nicht ganz so wie vor dem Krieg. Und ich entwickle mein neues Projekt – Projektdesign und Produktion für Objekte aus Keramik. Ich werde versuchen, sie in Europa und in der Welt zu zeigen, zum Beispiel bei der kommenden Maison et Object in Paris.

Panoptikum: "Breakfree"
Oitoproducts: "Bug"
FURN: "Barvinok"
Buro150: "Prosto chair"

Was ist mit dir Larysa, kannst du mir etwas über deine aktuellen Projekte erzählen?

Larysa Tsybina: Nach der erfolgreichen Ausstellung in der Ukraine werden wir ein Designsystem in unserem Land entwickeln. Wir werden es gemeinsam aufbauen, als ukrainische Gemeinschaft, und wir werden uns um einen internationalen, fortschreitenden Austausch von Wissen und Innovationen bemühen. Vielleicht wird es ein Bildungsprojekt sein, vielleicht ein Workshop-Cluster, vielleicht eine neue größere Veranstaltung. Aber ich denke, dass wir nächstes Jahr bei den Kyiv Design Days dabei sein werden, und natürlich werde ich weiterhin mit der progressiven Designwelt sprechen, um Botschaften über die lokale Situation zu gestalten.

Anait Danielian: Aktuell sind wir nur ein Beispiel für lokales Design, aber ich denke, dass es in Zukunft sehr interessant sein wird, die ukrainischen Entwicklungen im Design in die Welt zu tragen. Um einen anderen Weg zu zeigen, wie man Design entwickeln kann, wie man mitten im Krieg Orte der Freude und Kreativität schafft. Wir müssen zusammenhalten.

Joyf: "Tube bar set"
Danielian Bureau: "Amaze"
Noom: "Gropius armchair"
Küche von ReStyle