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Der Eingang der Ausstellung im Musée des Arts Décoratifs. Die kunstvoll durchbrochene Wand im Hintergrund greift die Formen der Kathedrale von Tarent auf, entstanden in den Jahren 1964-1970 nach Plänen von Gio Ponti.

Ponti total

Das Musée des Arts Décoratifs in Paris zeigt das Werk des Architekten und Designers Gio Ponti.
von Fabian Peters | 28.10.2018

Wenn heute vom Werk des großen Architekten und Gestalters Gio Ponti die Rede ist, dann meistens von seinen Entwürfen aus den 1950er und 1960er Jahren. Insbesondere seine Möbelkunst ist mit dem Mid-Century-Revival wieder zu hoher Popularität gelangt. So legt beispielsweise der italienische Luxuseinrichtungshersteller Molteni & C legt jährlich einen seiner Entwürfe aus dieser Zeit neu auf und wird dafür gefeiert. Ein wenig ist dabei aus dem Blick geraten, das Pontis Karriere bereits Anfang der 1920er Jahre begonnen hat. Das Musée des Arts Décoratifs in Paris schickt sich nun an, diese verengte Perspektive mit einer großen Ausstellung zu weiten.  

Wer Ponti bislang ausschließlich als Modernen wahrgenommen hat, wird überrascht sein; denn erst Mitte der 1930er Jahren werden Einflüsse des Razionalismo und des "Neuen Bauens" in seiner Arbeit als Architekt spürbar. In seinem kunstgewerblichen Schaffen beginnt er sich noch später von großbürgerlicher Schwere und Gediegenheit zu trennen. Die Kulturkatastrophe des Ersten Weltkrieges, den er als Offizier mitmacht, führt bei ihm anders als etwa bei den Bauhaus- und De Stijl-Künstlern nicht zu einer Radikalisierung der künstlerischen Positionen. Der Absolvent des Mailänder Polytechnikums, Sohn aus großbürgerlichem Hause, macht stattdessen schnell mit geschmackvollem und dekorativen Kunsthandwerk auf sich aufmerksam. Für seine in klassischer Tradition stehenden Keramikentwürfe gewinnt er 1925 auf der Pariser Weltausstellung des Kunstgewerbes einen ersten Preis. Er gestaltet Silber für Christofle, Glas für Venini und seit 1927 auch Mobiliar. Seine Entwürfe schöpfen aus der europäischen Kunstgeschichte, variieren die Vorlagen phantasievoll und schaffen es so vertraut und dennoch niemals altbacken zu sein. Ponti erweist sich als großer Meister im Umgang mit den unterschiedlichsten Materialien, die er von Beginn seiner Karriere an effektvoll einzusetzen weiß. Das bleibt auch so, als er sich in den 1930er Jahren formal einem recht gediegenen Art Decó zuwendet. 

Bett aus der Apta-Kollektion von Gio Ponti aus dem Jahr 1970.

Als Architekt prägt in den 1920er Jahren ein etwas manierierter Historismus seinen Bauten. Erst als er sich den Einflüssen der Moderne öffnet, wird seine Arbeit überzeugender. Ein Meisterwerk gelingt ihm mit der mathematischen Fakultät in der neu errichteten Città Universitaria in Rom, einem Prestigeprojekt Mussolinis unter der Federführung seines Hofarchitekten Marcello Piacentini. Während Piacentinis Bauten eine funktionale, vom deutschen Neuen Bauen beeinflusste Architektursprache sprechen, schafft Ponti einen Bau, der radikal moderne Elemente mit seinem ganz eigenen Sinn für das Dekorative vereint. Selbst der Grundriss scheint eine abstrakte Schmuckform zu sein. 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sucht (und findet) Ponti auch als Möbeldesigner wirklich den Anschluss an das fortschrittliche Industriedesign, das – hervorgegangen aus den Avantgardebewegungen der Zwischenkriegszeit – nun überall auf breiter Front an Boden gewinnt. Sein Genie besteht nicht zuletzt darin, dass er all das, was seine früheren Arbeiten auszeichnet, in seine neue Schaffensperiode mitzunehmen vermag: einen untrüglichen Sinn für Proportionen und für das Dekorative. Seine Entwürfe strahlen Selbstgewissheit aus, weil sie sich fest mit der italienischen und europäischen Kulturtradition verbunden wissen. So entsteht eine Aura des Luxuriösen, die nie zu Prunk verkommt. All diese Qualitäten erhalten mit der Hinwendung Pontis zur Moderne eine Leichtigkeit und Filigranität, die seinen Entwürfen zuvor noch oftmals fehlte. 

Rauminstallation zum Palazzo del Bo, dem Rektoratsgebäude der Universität Padua, das Gio Ponti von 1936 bis 1942 umgestalte.

Mit dem Pirelli-Hochhaus in Mailand gelingt ihm Ende der 1950er Jahre einer der bedeutendsten Hochhausbauten der Moderne. Zu den schönsten Arbeiten Pontis als Architekt zählen außerdem fraglos seine späten Kirchenbauten, die in den letzten Jahren wieder verstärkt Würdigung gefunden haben. Diese Sakralbauten sind keine Betonskulpturen á la Ronchamp, sie sind liturgische Räume. Pontis Sinn für Tradition, sein Geschick im Dekorativen, prädestinierten ihn in besonderer Weise für diese Bauaufgabe.

Die Kuratoren der Pariser Ausstellung werden dem Werk Gio Pontis gleich in mehrerlei Hinsicht gerecht: Sie widerstehen der Versuchung, das vielgestaltige Werk thematisch zu zergliedern. Stattdessen wählen sie – ganz konservativ – einen chronologischen Ansatz, in dem sie die langgestreckte große Ausstellungshalle des Museums in eine Art begehbaren Zeitstrahl verwandeln. Das kleinformatige Kunsthandwerk – Keramik, Glas, Silber – versammeln sie in drei Seitenkabinetten, wo es ebenfalls in zeitlicher Abfolge präsentiert wird. Diese Kabinette mit ihren schwarz gestrichenen Wänden unterstreichen die Pracht und den Luxuscharakter der dort gezeigten Objekte. Ein besonders gelungener Einfall der Kuratoren sind sechs Rauminstallationen: In diesen wird jeweils ein Innenarchitekturprojekt Pontis zu einer Collage aus Möbeln und Fotografien verdichtet, welche die Gesamtwirkung und Atmosphäre der Entwürfe verblüffend genau einfängt. Auch hier haben die Ausstellungsmacher versucht, mit Ihrer Auswahl gleichzeitig einen Gesamtüberblick über Pontis Lebenswerk mit seinen unterschiedlichen Facetten zu vermitteln. Der Bogen reicht vom Interieur der Villa "L'Ange Volant" in Garches bei Paris aus dem Jahr 1928 bis zur Einrichtung der Villa Planchart in Caracas, entstanden 1953 bis 1957, einer von Pontis letzten Arbeiten als Architekt. Die Präsentationsform der vollständigen Einrichtungsensembles verdeutlicht vielleicht am eindrücklichsten die Meisterschaft Pontis: Seine unvergleichliche Stilsicherheit und die Fähigkeit, höchst kultivierte Umgebungen zu schaffen, die ihn, über alle Moden und Zeitgeschmäcker hinweg, während seiner gesamten Schaffenszeit nie verlassen haben.

Tutto Ponti
Gio Ponti archi-designer
Musée des Arts Décoratifs
107 rue de Rivoli
75001 Paris
bis 10. Februar 2019

Öffnungszeiten:
Di., Mi., Fr., Sa., So.: 11-18 Uhr
Do.: 11-21 Uhr
Mo. geschlossen

Rauminstallation zum Hotel Parco dei Principi in Sorrent, einem Gesamtkunstwerk Gio Pontis aus dem Jahr 1960.

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