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Gottfried Böhm

NACHRUF
Für ihn war Bauen immer Baukunst

Zum Tod des Architekten Gottfried Böhm.
von Falk Jaeger | 10.06.2021

Noch im Februar 2020 konnte der Kölner Architekt Gottfried Böhm seinen 100. Geburtstag feiern. Die Stadt Köln, das Erzbistum – einer seiner wichtigsten Bauherren – und natürlich die Architektenschaft ehrten ihn mit vielfältigen Aktivitäten. Er konnte nicht überall dabei sein, aber er hat es still genossen. Der Ehrungen hat er viel erfahren. Neben Frei Otto war er der einzige deutsche Träger des Pritzker-Preises, des "Nobelpreises der Architektur". Die deutsche Architektenschaft sah ihn als ihren Doyen. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner eigenständigen Architektursprache, aber auch wegen seiner Persönlichkeit, genoss er im Kollegenkreis höchstes Ansehen. Anfeindungen kannte er nicht, doch ihm, dem feinsinnigen, fast scheuen Charakter lag es auch fern, sich mit harschen Worten in Fachdiskussionen einzubringen. Wer bei ihm studieren durfte, 1963-85 an der RWTH Aachen, war gehalten, seine Ideen zu erspüren und mehr in der zeichnerischen als in der verbalen Kommunikation von ihm zu lernen. Er war kein Mann der großen Worte, der Vorträge, der Symposien, des theoretischen Diskurses.

Gottfried Böhm: Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens", Neviges / 1963–68

Böhm stammte aus einer Baumeisterfamilie in Offenbach. 1926 zog die Familie nach Köln, das für Gottfried zur eigentlichen Heimat wurde. Sein Vater, der renommierte Kirchenbaumeister Dominikus Böhm, hat ihn stark geprägt. In dessen 1931 gebautem Haus arbeitet das Büro Böhm nunmehr in dritter Generation. Auch als Baumeister für die Kirche trat Gottfried in die Fußstapfen seines Vaters, um ihn alsbald an Statur und Bedeutung zu überragen.

Gottfried Böhm hat Heinrich Tessenow verehrt, aber auch Ludwig Mies van der Rohe. So unterschiedliche Leitbilder machten sich in seinem Werk bemerkbar, das sich in Zehnjahresphasen einteilen lässt. Baute er in den fünfziger Jahren eher kühl, rationalistisch, wie es in der kargen Wiederaufbauzeit geboten war, so trat er in den sechziger Jahren in seine skulpturale Phase. Eines seiner Hauptwerke ist das Rathaus Bensberg (1967), bei dem er eine mittelalterliche Burgruine "kongenial" weiterbaute. Er entwarf vor allem Kirchen als expressive Bauskulpturen, allen voran das eindrucksvolle Betongebirge der Wallfahrtskirche in Neviges. Keiner war wie er in der Lage, das geheimnisvolle Mysterium des Glaubens in Raum und Licht, in Architektur zu fassen. In den Siebzigern, nun kamen zu den öffentlichen auch kommerzielle Bauaufgaben hinzu, gab es technizistische und strukturalistische Tendenzen holländischer Prägung, arbeite er mit Stahlgerüsten und modularen Raumkompositionen. So etwa bei der Wallfahrtskirche in Wigratzbad mit ihrer Wabenstruktur aus sechseckigen, stählernen Pavillons. Oder beim großartigen Bürgerhaus "Bergischer Löwe" in Bergisch-Gladbach (1980) mit seiner stark tektonischen, aber modular strukturierten, kräftig bordeauxroten Fassade.

Zur Hochzeit der Postmoderne in den achtziger Jahren verknüpfte er diese Strukturen wieder mit historistischen Anklängen und dekorierte sie manchmal mit eigenen malerischen und bildhauerischen Arbeiten. Schließlich hatte er in München neben Architektur auch Bildhauerei studiert. In dieser Zeit entstand zum Beispiel die Züblin-Hauptverwaltung in Stuttgart-Möhringen (1984), ein zweischiffiger Verwaltungsbau aus ornamentierten, rosa eingefärbten Betonfertigteilen mit einer riesigen gläsernen Halle, wie sie damals aufkamen. Damals war er auch mit dem Umbau des Großen Hauses der Württembergischen Staatstheater befasst, für das er ein neues Bühnenportal entwickelte, das mehr bespielbare Raumstruktur als Portal sein sollte. Der runde Tempietto seines Pausenpavillons ist nur den Operngängern bekannt, weil er versteckt im Innenhof des Großen Hauses steht. Böhm konnte Dinge emotional übersteigern, die anderen zum Kitsch gerieten. Sogar eine Art Burgenromantik hielt er, zum Beispiel beim Maritim Hotel in Köln, in historischem Kontext für vertretbar. Immer jedenfalls rang er den Bauaufgaben trotz moderner Nüchternheit und zeitgemäßen Bauweisen kraftvolle Gestaltung ab, die viele seine Bauten zu Wahrzeichen werden ließen. Noch sein Spätwerk, das 2006 in Potsdam entstandene Hans-Otto-Theater, ein spektakulär am Havelufer gelegener, mit feuerroten Dachschalen auftrumpfender Bau, der entfernt an die Oper in Sydney oder an eine Orchidee denken lässt, wurde zum Wahrzeichen der agilen Landeshauptstadt.

Zeitgleich baute er die Stadtbibliothek neben dem Rathaus in Ulm. Auf die Idee, mitten in die Altstadt eine gläserne Pyramide zu setzen, kommt nicht jeder. Böhm legte Wert darauf, dass das Haus einsehbar ist, einladend wirkt, die Bürger ins Haus lockt. Heute zählt das signifikante Bauwerk, mit dem manch ein Ulmer anfänglich fremdelte, zu den drei, vier modernen Wahrzeichen der Stadt. Besonderes Einfühlungsvermögen legte er an den Tag, wenn es galt, Baudenkmale umzubauen, zu ergänzen. Mit seinen Umbauten der Godesburg bei Bonn, der Kautzenburg oder dem in eine Burgruine implantierten Rathaus in Bensberg lieferte er kongeniale Amalgame von alt und neu, die in keinem Lehrbuch für den Umgang mit historischen Bauten fehlen. Gottfried Böhm gehört zu jenen Baukünstlern, denen man den Niedergang der Moderne in einen fantasielosen "Wirtschaftsfunktionalismus" in den sechziger und siebziger Jahren am wenigsten anlasten kann. Er konnte rationalistisch, wenn es sein musste aber auch monumental bauen, ohne zu langweilen, eben weil es immer etwas zu sehen gibt an seinen ausdrucksstarken Werken. Für ihn geriet Bauen immer zu Baukunst. Zu einem langen Architektenleben gehört auch die merkwürdige Erfahrung, dass eigene Bauten wieder abgerissen werden, wie der Kindergarten in Köln-Riehl oder das Zentrum für Technologie in Düsseldorf. Manche sind bedroht, wie gegenwärtig das Rathaus in Bocholt (1970). Viel häufiger jedoch sind Bauten von ihm bereits unter Denkmalschutz gestellt worden, mehr als von jedem anderen zeitgenössischen Architekten.

Bis ins hundertste Jahr hat Gottfried Böhm täglich den Weg ins Büro gefunden, immer wieder zur Zeichenkohle gegriffen. Seine signifikanten Kohlezeichnungen sind legendär und vielfach ausgestellt worden. Am 9. Juni 2021 ist er im Alter von 101 Jahren in seiner Heimatstadt Köln verstorben.

BÖHM100 Der Beton Dom von Neviges Ausstellung + Kuratorengespräch