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Erzählung in Kirschrot

Ein Bekenntnis zur Farbe und Fassade: Mit der kürzlich fertiggestellten Wache Wilrijk der Feuerwehr Antwerpen gelingt dem Rotterdamer Studio Happel Cornelisse Verhoeven Architecten eine reizvolle Variante von "architecture parlante".
von Jeanette Kunsmann | 10.03.2020

Sobald ein paar Wolken vorbeiziehen, verändert sich die Fassaden der neuen Feuerwache in Antwerpen-Wilrijk. Diesen Effekt erzielen die Architekten durch die kirschrot glasierten Ziegel. Je nach Wetterlage spiegeln sie das Tageslicht wider – mal strahlen Steine in der Sonne, mal funkeln sie düster. Weil die Gegend rund um die Verkehrsachse Gaston Fabrélaan nicht besonders ansehnlich ist, wollte das Architektentrio einen starken Akzent setzen. In der typisch belgischen Hauptstraße reihen sich Ziegelbauten aneinander – der neue Nachbar integriert sich selbstbewusst in das Umfeld. "Eine Feuerwache ist ein sehr funktionales Gebäude, aber dabei darf man nicht die emotionalen und gesellschaftlichen Aspekte vergessen“, meint der Projektarchitekt Floris Cornelisse. Sonst entwerfen HCVA gerne stille, bescheidene und zurückhaltende Bauten. Hier ist es anders.

Im Portfolio von HCVA findet sich bisher noch keine Feuerwache. Die drei Partner Ninke Happel, Floris Cornelisse und Paul Verhoeven wollen sich bewusst nicht auf eine Bauaufgabe fokussieren. So kommt es, dass 2020 neben dem Brandweerpost auch ein Museum und eine Brücke der Architekten eingeweiht werden. Verbindendes Element bei diesen sehr unterschiedlichen Typologien sind weder Material noch Funktion, sondern die architektonische Grundauffassung: Ein Gebäude verstehen die jungen Niederländer als Erzählung. "Architecture parlante" nannte das Claude-Nicolas Ledoux (1736–1806): eine sprechende Architektur, bei der Form und Erscheinung die Funktion offensichtlich lesbar machen, mögen auch die drei jungen Architekten. Als Post-Superdutch-Generation entwerfen sie mit einem anderen Sound als Büros wie OMA, MVRDV oder Mecanoo. "Wir materialisieren nicht das Konzept – wir konzeptualisieren das Material", zitiert Cornelisse den Architekten Jan Peter Wingender.

Für das Rotterdamer Studio ist Antwerpen nicht weit entfernt, vor viereinhalb Jahren konnte es das geladene Wettbewerbsverfahren der Stadt für sich entscheiden. Das Programm war kompakt, das Grundstück klein. Antwerpen will jungen Büros eine Chance geben, sagt Floris Cornelisse. Der Entwurf von HCVA kombiniert in dem monochromen Solitär zwei Typologien als Hybridkonstruktion: Auf die Garage (Beton) stapelt sich eine Art Wohnhaus aus leichtem CLP-Holztragwerk. In dieser Etage befinden sich neben Büro, Küche und Aufenthaltsbereichen auch Schlafräume mit etwa 15 Betten. "Jeder der 56 Mitarbeiter hat seine eigene Matratze, gearbeitet wird im Schichtdienst mit jeweils acht Feuerwehrmännern und -frauen", erklärt der Architekt. Insgesamt 932 Quadratmeter Nutzfläche mussten auf dem 1.400 Quadratmeter großen Grundstück geplant werden.

Der markante Turm schafft den nötigen Platz für den Technikraum. In Versalien ziert der Begriff Brandwehr den Dachabschluss – eine belgische Bauvorschrift. Die Planer nutzen den Spielraum, der bei solchen Vorgaben bleibt, und beauftragen den befreundete Grafikdesigner Reynoud Homan: Er will mit der Verwendung der Type "Univers" von Adrian Frutiger den allumfassenden Charakter einer Feuerwache widerspiegeln.

Die Ziegel sind eine Sonderanfertigung, produziert von dem niederländischen Familienunternehmen St. Joris. Sie bestehen aus einer besonderen Tonerde und werden zusammen mit der Glasur einmal gebrannt. Die Inspiration für diese Farbigkeit fanden HCVA in London, als sie dort eine jahrhundertalte Mauer entdeckten, die dunkelrot glänzte. Ob man solche Ziegel noch heute herstellen kann, mussten sie zunächst erst einmal zusammen mit der Ziegelei untersuchen – um sie anschließend dort in zwei Formaten produzieren lassen.

Im Innern brechen die Architekten bewusst mit der kirschroten Fassade. Mit der strikten Trennung von Innen und Außen beziehen sich Happel Cornelisse und Verhoeven auf Sempers Bekleidungstheorie. Allein in den roten Spinden nehmen sie die expressive Hülle noch einmal auf, ansonsten soll durch die hellen Holzoberflächen eine wohnliche Atmosphäre entstehen.

Nach anfänglicher Skepsis zeigen sich die Anwohner mittlerweile begeistert von dem roten Solitär. Die Feuerwehrleute dagegen waren von Beginn an stolz. "Das Gebäude gehört jetzt ihnen", sagt Floris Cornelisse. Auch wenn sich HCVA nicht spezialisieren wollen – vielleicht könnte doch eine weitere Feuerwache folgen? Der Architekt überlegt und antwortet mit Bedacht. "Wenn, dann darf sie nicht rot sein."