top
Bio-technische Textilien

REVIEW – HEIMTEXTIL 2024
Digital und analog

Die Heimtextil in Frankfurt am Main bot den Auftakt in das Messejahr und zeigte die aktuellen Entwicklungen in der Textilbranche auf, von KI-Werkzeugen über nachhaltige Materialien bis zu Konzepten für transparente Lieferketten. Wir haben für Sie zehn Kreative und Unternehmen ausgewählt, die uns im Trendspace besonders aufgefallen sind.
11.01.2024

Augmented Weaving ist ein experimentelles Forschungsprojekt zur Technik des Jacquardwebens und digitalen Formen des Handwerks, dass der Erkundung physischer, digitaler und virtueller Werkzeuge zur Herstellung von Textilien und Formen dient. Für die Installation auf der Heimtextil haben Augmented Weaving ihre experimentellen Arbeitsmethoden auf den Stuhl "Suit" angewandt, der von Monica Förster Design Studio für Artifort designt wurde. Die Stoffe werden so direkt auf dem 3D-Modell des Stuhls entworfen, zahlreiche Optionen können digital getestet werden, ohne Material zu verschwenden. Das Beispiel bietet einen Einblick in die möglichen Arbeitsabläufe, die von der digitalen Konzeption bis zur physischen Herstellung von maßgeschneiderten Produkten auf Anfrage reichen.

Studio Pauline van Dongen und Tentech haben mit "Suntex" ein Solartextil entwickelt, das die Flexibilität, Taktilität und Designfreiheit von Textilien mit dem Energieerzeugungspotenzial der Solartechnologie verknüpft. Durch das Einweben von organischen Dünnschicht-Photovoltaik-Paneelen (OPV) in ein Textil wird ein smartes und leichtes Material erreicht. Die Struktur von "Suntex" ist modular und soll so ArchitektInnen eine besonders hohe Gestaltungsfreiheit bieten. Zur Leistung des Textils zeigt laut Studio Pauline van Dongen eine spekulative Designstudie zum Westraven-Gebäude in Utrecht, dass "Suntex" installiert auf drei der vier Fassaden die Energie für die gesamte Beleuchtung erzeugen könnte, die in den Räumen über dem Zeitraum von einem Jahr gebraucht wird.

Studio Sarmite ist ein Materialdesign- und Forschungsstudio, das sich auf die Umwandlung von Industrieabfällen und deren Nebenprodukten in neue Kreislaufkonzepte konzentriert. Die Designerinnen Sarmīte Poļakova und Mara Berzina zeigen in ihrer Arbeit die Umwandlung von Industrieabfällen und verschiedenen Nebenprodukten in neue Kreislaufkonzepte. "(Un)woven" ist so ein neues Bio-Textilkonzept aus minderwertigen Textilfasern, das als Alternative zum traditionellen Textilrecyclingprozess entwickelt wurde. Ein einzigartiges Produktionsverfahren verwandelt Textilmischungen in ein leichtes Biotextil, das sich für Mode-, Innenraum- und Produktdesignanwendungen eignet. Das robuste Material kann recycelt und immer wieder für neue Produktionszyklen verwendet werden. Gemeinsam mit Roua Atelier hat Studio Sarmite zudem eine Färbemethode für Mischgewebe entwickelt, die direkt in die Herstellung des Biotextils integriert wird.

Lederalternativen: Unternehmen wie Von Holzhausen ("Banbu"), Desserto oder Revoltech ("Lovr") entwickeln nachhaltige Textilien auf Pflanzenbasis, die in ihrer Haptik und Optik Leder ähneln. Bambus, Feigenkakteen oder Hanf bieten so den Rohstoff für textile Lösungen, die biologisch abbaubar sind und einen minimalen ökologischen Fußabdruck bieten. Dank der Möglichkeit das Ergebnis in Farbe und Struktur zu individualisieren und ihrer robusten Eigenschaften sind diese vom Interior Design bis zur Ausstattung von Fahrzeugen vielseitig einsetzbar.

Mannd: Inwiefern die künstliche Intelligenz als Werkzeug in der Textilindustrie dienen kann, zeigt ein Anwendungsbeispiel von Mannd auf der Heimtextil: Die in Kooperation mit Spott trends and business konzipierte KI-Installation bietet die Möglichkeit, mittels kurzer Fragestellungen seitens der KI – wie zum gewünschten Material, seiner Farbgebung oder dem Einsatzort – eigene Designs zu entwerfen. Ebenso können mittels einer interaktiven AI Chat Station Fragen zum Thema Heimtextil Frankfurt, zu Textil-Themen sowie digitalen Technologien wie AR, AI und ASMR beantwortet werden.

Radiant Matter ist ein designorientiertes Biomaterial-Startup und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Abhängigkeit der Textilindustrie von Kunststoffen, Metallen und Mineralien, die aus Erdöl gewonnen werden, als Farbmaterialressource zu verringern. Der Fokus liegt dabei auf nachhaltigen Verzierungskomponenten und Oberflächenbeschichtungen. Das erste Produkt ist ein BioSequin: biologisch abbaubare Pailletten, die aus erneuerbarer Zellulose hergestellt werden und brillant schimmernde Farben erzeugen, die sowohl ungiftig, farbecht wie pigmentfrei sind. Ihr glitzernder metallischer Glanz ist laut Radiant Matter frei von Mineralien, Metallen und dem damit verbundenen Bergbau.

Die Bioresine und technische Biokomposite von Pond Cycle basieren auf Kohlenhydraten aus Pflanzenmaterial. Sie sind nachhaltiger und haltbarer als herkömmlicher Kunststoff aus Erdöl. Die Produkte können in bereits bestehenden Industrieausrüstungen und Produktionsanlagen genutzt werden und sind sowohl als reines Harz wie als Vormischung mit ausgewählten Naturfasern erhältlich, die das Harz verstärken und diesem individuelle technische Eigenschaften verleihen.

Charlotte Werth ist Absolventin des Central Saint Martins MA Material Futures, arbeitet an der Schnittstelle von Textil- und Biodesign und hat sechs Jahre lang bakterielle Färbeverfahren erforscht. Während der Design Residency in Maison/0 entwickelte sie das Projekt "Automating Violacein", ein chemiefreies Nährstoffbad, dass die färbenden Eigenschaften eines Bakterium nutzt und anschließend den Stoff mittels einem energiesparenden UV-Beleuchtungssystem sterilisiert. "Als Designerin will ich von und mit der Natur lernen. Mein erster Schritt besteht darin, die natürliche Welt zu beobachten und neue Erkenntnisse für meine kreative Praxis zu gewinnen. So entdeckte ich Janthinobacterium lividum, ein wildes, im Boden lebendes Bakterium, das auf natürliche Weise Farbe produziert. Dieser Biomimikry-Ansatz ermöglicht es mir, neue biobasierte Färbeverfahren für Textilien einzusetzen", sagt sie.

Modern Synthesis: Das Biomaterialien-Startup Modern Synthesis entwickelt eine mikrobielle Textilplattform, die die Umwandlung von Abfällen aus der Landwirtschaft in Nanocellulose ermöglicht. Die Fasern können anschließend maschinell in die gewünschte Form und Struktur gebracht werden, Materialreste werden vermieden. Die ungiftigen und biologisch abbaubaren Textilien sind somit individuell in Haptik und Optik, ohne das hierfür tierische oder künstliche Ursprünge genutzt werden.

FibreTrace bietet Lösungen für eine transparente Textil-Lieferkette, wie das kostenlose, digitale Werkzeug "Mapped", das Unternehmen bei der Transparenz, der Lieferantenzuordnung und der Einhaltung internationaler Einfuhrbestimmungen unterstützt. Informationen können so in jeder Stufe der Produktion und Logistik zentralisiert und stetig abgerufen werden. FibreTrace möchte dazu beitragen, dass jede Person in der Textil-Lieferkette die Möglichkeit hat, direkt Verantwortung zu übernehmen, um die Umweltauswirkungen der globalen Industrie zu reduzieren, inklusive den VerbraucherInnen. Diese können über einen QR Code am Produkt die Hintergrundinformationen auszulesen und so ein Angebot mit einer transparenten und nachhaltigen Lieferkette zu wählen.

"Below the pattern" von Rebecca Milautzcki

Tipp: Der University Contest der Heimtextil gibt jungen Kreativen die Möglichkeit einer Plattform in der Halle 3.0 im New & Next-Areal: In diesem Jahr präsentieren die Finalistinnen Rebecca Milautzcki, Tasja Videmšek und Svenja Bremen ihre Arbeiten. Die Themen der textilen Konzepte reichen von unkonventionellen Musterdimensionen über funktionale modulare Elemente bis hin zu Stoffen als Kommunikationsmittel. Während Rebecca Milautzcki so Transluzenz, Materialität und eine Dreidimensionalität der Bindungsstrukturen kombiniert, hat Tasja Videmšek einen modularen Tuftingteppich entwickelt, der je nach den Bedürfnissen des Raums frei zu verschiedenen Kompositionen zusammengestellt werden kann. Svenja Bremen erforscht in ihrem Projekt das Potenzial von Textilien als Kommunikationsmittel, Bedeutungsträger und Gedächtnismedium.