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Hier kann man sein: Konstantin Grcic auf "Landen", einer freistehenden Struktur, die im öffentlichen Raum einen Ort definiert.

Stylepark-Special: Retrospektive: IM GESPRÄCH: KONSTANTIN GRCIC – TEIL 1
Hieronymus am Flughafen

Über "Panorama", den Flughafen als Wohnort, Seitwärtsblicke, digitale Tools, physische Modelle, wie man einen Stuhl konzipiert, und weshalb Designer nicht einfach von Programmen ersetzt werden können.
27.04.2015

Thomas Wagner: Weshalb haben Sie Ihrer aktuellen Ausstellung den Titel „Panorama“ gegeben?

Konstantin Grcic: Die Idee, die Ausstellung "Panaroma" zu nennen, kam auf, als wir die Vorstellung für den dritten Raum entwickelt haben, in dem es ja tatsächlich ein Panorama gibt. Das wirkte wie ein Schlüssel und hat am Ende zu dem Titel geführt. Bis dahin hatten wir das Projekt "Future Perfect" genannt. Diesen Arbeitstitel konnten wir ohnehin nicht nehmen, weil es in Lissabon plötzlich eine Architektur-Triennale mit eben diesem Titel gab. Mir war das ganz recht. Ich wollte Worte wie „Future“ oder "Zukunft" nicht im Titel haben, da hängt einfach zu viel dran. "Panorama" bezieht sich also konkret auf das Rundbild im dritten Raum, aber auch ohne diesen direkten Bezug ist es ein passender Titel für eine Werkschau: Ein Panorama beschreibt einen Blickwinkel, und zwar einen sehr offenen. Einen, bei dem man ringsherum und nicht nur nach vorne gerichtet schaut, bei dem man also auch Dinge einfängt, die nicht so wichtig sind. Ich mochte das sofort. Das Wort hat etwas Romantisches, etwas sehr Weiches.

Man denkt auch an die großen gemalten Panoramen der Vergangenheit, bei denen sich dem Betrachter innerhalb eines begrenzten Raumes ein grandioser Rundblick eröffnet, wie man ihn sonst nur von einem Kirchturm oder einem Aussichtsturm hat.

Konstantin Grcic: Ja, es ist interessant, dass eine derartige Vorstellung von Raum in den letzten Jahren wieder zu sehen ist, etwa in Berlin, wo es am Checkpoint Charlie eine rekonstruierte Berliner-Mauer-Szene von 1976 gibt, ein wahnsinniges Ding, wirklich großartig. Es gibt heutzutage so viele technische Möglichkeiten, doch dann taucht plötzlich wieder ein Panorama auf.

Was genau interessiert Sie an einem gemalten Panorama?

Konstantin Grcic: Ich mag das Physische oder Analoge. Ich hatte zunächst die Idee, ein Bild malen zu lassen, wobei ich an einen echten Maler gedacht hatte, an einen dieser Plakatmaler für Kinos. Es gibt Leute, die das immer noch können und machen. Ich dachte eher an so etwas, es gefällt mir: Das Malerische, die Bildfindung, während das Handwerk ausgeführt wird, finde ich sehr reizvoll. Natürlich macht man so etwas heutzutage nicht mehr mit einem Pinsel auf Leinwand, sondern am Computer und mit einem entsprechenden Programm.

Die Spannung zwischen analogem und digitalem Gestalten gehört heute zum Alltag. Sie ist auch Teil Ihrer Arbeit. Einerseits macht man das heute so, andererseits sagen Sie oft: Ja, aber vielleicht kann man es auch ganz anders machen?

Konstantin Grcic: Mich interessieren tatsächlich beide Seiten. Natürlich möchte ich wissen, wie man etwas heute macht. Aber ich fühle mich nicht unter Druck, immer auf der Höhe des neuesten Trends zu sein. Ich glaube, wir sind automatisch mit aktuellen Techniken vertraut; schlicht dadurch, dass wir heute arbeiten. Man kriegt diese Dinge einfach mit. Wenn man an bestimmten Projekten arbeitet, haben die neuen technischen Möglichkeiten immer eine Verhältnismäßigkeit, und die gilt es auszuloten: Was bietet sich als Technologie an? Was bringt das für das Projekt? Wir machen sehr unterschiedliche Dinge, und es gibt da keine Regel. Die einzige Regel ist, jedes Mal aufs Neue zu prüfen, welche Technologie der Sache angemessen ist. Die Welt des Analogen ist für meine Generation nach wie vor prägend, und deshalb ist sie mir wichtig. Für mich bedeutet es eine große Befriedigung, mit echten Dingen zu arbeiten. Die digitale Welt finde ich spannend ...

Aber?

Konstantin Grcic: Ja, genau, hier folgt ein "Aber". Ich hab diese Dinge nicht auf dieselbe Weise gelernt wie andere. Weshalb ich sie nicht ebenso selbstverständlich einsetze und als eine Art Partitur benutze, mit der ich spielen kann. Andererseits hätte ich es mir sicher angeeignet, wenn es mich wirklich interessiert hätte. Ich beobachte das, und manche Sachen verfolge ich weiter. Im Büro nutzen wir natürlich auch neueste digitale Tools.

Draußen wartet der Jet: Wohnen wir künftig an den Knotenpunkten eines weltumspannenden Netzes wie es zum Beispiel Flughäfen bilden?

Es gibt Leute, die behaupten, sie würden es einem Stuhl ansehen, mit welchem Programm er entworfen wurde. Stimmt das? Kann man das sehen? Ist es überhaupt wichtig, welches Werkzeug eingesetzt wurde? Früher hätte man ja auch nicht gesagt, der Designer hat ein Modell aus Pappe oder eine Stichsäge oder eine Bandsäge verwendet.

Konstantin Grcic: Nein, das ist kein Kriterium. Ich finde, Entwürfe müssen wertfrei betrachtet werden. Trotzdem kann es manchmal spannend sein, genau hinzusehen. Jeder Designer entscheidet für sich, wie er arbeitet. Digitale Tools bewusst einzusetzen und die Möglichkeiten zu erproben, etwas am Computer zu entwerfen, hat seinen Reiz. Für mich ist wichtig: Entscheidet man sich bewusst für eine bestimmte Technik oder geschieht es aus Faulheit? Leider ist es in der Industrie, über die wir sprechen – Mailänder Möbelmesse – so, dass vieles sehr schnell gemacht werden muss, und dann produziert eben der Computer ein schönes Bildchen. Ist das Bild gut genug, werden die Daten verschickt, dann wird etwas gebaut, und es gibt keine Gelegenheit mehr, das Ergebnis im Raum zu überprüfen und daran weiterzuarbeiten. Es geht mir gar nicht um das Handwerk, aber physisch an einem Modell zu arbeiten, bedeutet schlicht eine Verlangsamung innerhalb des Prozesses, die ich hilfreich finde. Was Möbel oder Objekte und deren Maßstab angeht, so arbeiten wir eins zu eins an irgendetwas, und zwar räumlich, und das ist dann eben selbst im frühesten Modellstadium etwas Gegenständliches, das in einem Kontext gelesen wird. Und das bedeutet einen enormen Unterschied zur Arbeit am Computer. Der Arbeitsraum im Computer ist ein entleerter, abstrakter Raum, und die Perspektive verschiebt sich. Hier passieren Fehler, die auch wir schon gemacht und für die wir Lehrgeld bezahlt haben. Wenn du in 3D-Programmen Dinge modellierst, baut sich deine Perspektive immer von ganz weit unten auf. Während du Möbel im Raum eher von oben, aus einer leichten Aufsicht, wahrnimmst. Beim Entwurf des Miura-Hockers mussten wir sehr viel am Computer modellieren, und das Ding sah irgendwann auch toll aus – auf dem Bildschirm. Als dann das gebaute Modell vor uns stand, mussten wir feststellen: Es war total kopflastig. Wir wussten erst gar nicht, was passiert war, ob die Daten falsch übertragen worden waren. Irgendwann haben wir das Modell dann auf den Tisch gestellt, und in dem Moment sah es genau so aus, wie es aussehen sollte. Plötzlich entsprach der Blickwinkel, aus dem wir den Hocker betrachteten, dem, den uns der Computer vorgegeben hatte – und das ist verrückt.

Entscheidet man sich bewusst für eine bestimmte Technik oder geschieht es aus Faulheit? Modellbau während der Arbeit an dem Barhocker "Miura".

Das heißt: Verschiedene Werkzeuge, ob digital oder analog, erzeugen unterschiedliche Perspektiven. Man sieht es einem Objekt an, aus welcher Perspektive es entwickelt wurde. Gilt das auch für "Panorama"? Aus welcher Perspektive haben Sie die Ausstellung entwickelt? Welchen Beobachterstandpunkt haben Sie eingenommen?

Konstantin Grcic: Was mir an der Panorama-Perspektive gefällt, ist, dass sie eine Rundumsicht darstellt, und das schließt den Blick nach links, rechts, vorne, hinten, oben und unten ein.

Der Betrachter steht also mittendrin?

Konstantin Grcic: Ja, man steht mittendrin. Es gibt nicht nur eine Perspektive, es gibt viele. Es ermöglicht auch Seitwärtsblick, sogar Blicke zurück, was nicht nur bedeutet, in der Zeit zurückzublicken, sondern auch auf Nebenschauplätze der eigenen Existenz zu schauen: Plötzlich erkennst du Zusammenhänge, und ich finde, das passt zu ... na ja, ich will jetzt nicht behaupten, das passt zu meiner Arbeit oder dazu, wie ich arbeite, aber ich finde das grundsätzlich spannend. Es gibt so vieles, was mich im Zusammenhang mit meiner Arbeit interessiert – und das schließt auch Dinge ein, die gar nicht dazu passen. Ich gucke ja nicht nur das an, was in mein eigenes Weltbild oder in meine eigene Vorstellung von Design passt, mich interessiert auch vieles andere. Wie ich das verarbeite, in welcher Form das eine Bedeutung bekommt, kann ich gar nicht explizit sagen, aber ich finde es wichtig, das zu sehen und im Blickfeld zu haben. Das war der Aspekt, der mir an dem Titel „Panorama“ besonders gefallen hat.

Schon unser Gesichtsfeld umfasst ja mehr als 180 Grad. Wir bekommen mehr mit als nur das, was vor uns liegt, ganz abgesehen davon, was wir uns vorstellen oder einreden und für die Zukunft erwarten.

Konstantin Grcic: Dass "Zukunft" Teil unserer Diskussion geworden ist, war während des Prozesses ein wichtiger Antrieb. Die Zukunft liegt nicht nur vor uns, sie ist auch verwoben mit dem, was hinter uns liegt. So manches, was in der Vergangenheit liegt, ist durchdrungen von Zukunft. Ich würde gern zu einem viel klareren Statement kommen, aber im Grunde genommen muss ich unverbindlich bleiben, weil das auch das Problem unserer Zeit ist. Unverbindlichkeit ist die Realität. Etwas könnte so sein, aber auch so, und deshalb ist es unmöglich, eine klare Aussage über "die Zukunft" zu treffen. In konkreten Szenarien ist es leichter, sich festzulegen. Wenn ich also sage, diese Unverbindlichkeit mag ich nicht, dann muss ich anfangen, konkret zu werden.

Wer ist drinnen und wer muss draußen bleiben? In der Ausstellung "Panorama" erscheint der öffentliche Raum als eingezäunter Bezirk.

Also einen ganz bestimmten "Live Space" entwickeln?

Konstantin Grcic: Zum Beispiel. Hier wird die Sache konkret, vielleicht sogar exemplarisch, wohl wissend, dass die Aussage, die ein solcher Raum darstellt, nicht für alle gelten kann. Ich behaupte ja nicht: So muss es sein. Ich frage: Was wäre, wenn ...? Also spielen wir diesen einen Fall mal so durch. Da gibt es einen konkreten Raum, wie können wir den anhand bestimmter Details beschreiben?

Was hat Sie besonders überrascht, als Sie sich damit beschäftigt haben, wie wir leben könnten?

Konstantin Grcic: Ich habe gespürt, dass der Ausblick auf den Flughafen das stärkste Element in diesem ganzen Bild ist, also die Verortung. Das ist der Moment, wo etwas nicht zusammenpasst. Aber ich behaupte: Das ist so. Da ist ein Fenster, und draußen vorm Fenster steht ein Flugzeug. Im Raum selbst befindet sich aber nichts, was einen total irritiert.

Im Raum selbst sind verschiedene Funktionen integriert, was uns nicht wirklich überrascht, oder?

Konstantin Grcic: Ja, Technologien sind selbstverständlich, auch die Module, das ist alles nichts Neues. Es ist allein der Blick aus dem Fenster, der das Szenario verändert. Mit einem anderen Foto von einem anderen Ausblick würde man die Szene abermals völlig verändern können.

Wie konkret und wie symbolisch ist der Blick auf den Flughafen für Sie?

Konstantin Grcic: Wir haben dieses Foto nicht gefunden, sondern gesucht. In meiner Vorstellung geht es um Aspekte, die man positiv oder negativ auffassen kann: Wo ist Raum zum Leben überhaupt noch verfügbar? In großen Städten erlebt man andauernd, an die Peripherie, an die Ränder, an Unorte gedrängt zu werden. Wenn ich beobachte, wo Bekannte, die in London wohnen – ich habe vor 20 Jahren selbst in London gelebt – heute leben, so hätte man sich das damals einfach nicht vorstellen können. Man hätte gesagt: Warum sollte ich dort leben wollen? Lieber ziehe ich sofort aus London weg. Aber heute ist es so, heute sind das Realitäten. Der Blick auf den Flughafen ist der plakative Versuch, dafür ein Bild zu finden. Das erkennen die Leute sofort, es ist etwas, was einen einfängt und weiterbeschäftigt.

Wo ist Raum zum Leben überhaupt noch verfügbar? An einem Ort, an dem es alles gibt, und in einer Wohnung mit eigener Infrastruktur und wenigen Möbeln?

Was wir als metaphorisch, vielleicht sogar als provokativ wahrnehmen, beschreibt eine konkrete Entwicklung in großen Städten?

Konstantin Grcic: Für mich ist der Flughafen bewusst gewählt. Deutet man ihn positiv, könnte er ja der Ort sein, den man aufgrund seiner idealen Infrastruktur wählt. 24 Stunden am Tag hast du alles – du hast Shopping-Center, Restaurants, Autovermietungen – sämtliche Facilities, die du brauchst. Der Flughafen ist ein funktionierender Organismus und überdies ein Knotenpunkt. Du bist dort erreichbar und kannst von dort aus an andere Orte reisen. Man könnte meinen, es gäbe plötzlich einen neuen Menschen, der denkt: "Für mich ist das kein Unort, und hier zu leben ist eine schiere Notwendigkeit, weil ich mir in der Stadt nichts mehr leisten kann. Ich will hier wohnen, weil ich hier ganz andere Möglichkeiten habe."

Ist der Flughafen in Ihrer Vorstellung heute das, was Orte wie das Chelsea Hotel in New York früher einmal für Künstler waren?

Konstantin Grcic: Ja, könnte sein. Ich hatte gar nicht an den Vergleich gedacht. Aber das Chelsea Hotel war ja in den siebziger Jahren auch so ein seltsamer Ort. Die Künstler sind dort eingezogen, weil es dort alles gab, was sie brauchten. Aber es hatte auch den Aspekt: "Ich muss mich nicht kümmern um den Mietvertrag und die Wohnung und all den Kram." Man bedient sich einer vorhandenen Struktur.

Der Gelehrte braucht eine Verbindung zur Welt: Antonello da Messina, "Der hl. Hieronymus im Gehäuse", 1474, National Gallery, London.

Und was hat der Hl. Hieronymus am Flughafen zu suchen? Als großer Bewunderer von Antonello da Messina war ich hoch erfreut, dass Sie dessen Gemälde in einen neuen Zusammenhang rücken. Hieronymus am Flughafen –sieht so unsere Zukunft aus? Sind wir allesamt Wissende, die an einem Knotenpunkt sitzen, an dem wir potenziell mit der ganzen Welt verbunden und trotzdem im eigenen Gehäus eingeschlossen sind?

Konstantin Grcic: Ja, denn der Gelehrte muss ja genau das leisten, Konzentration und Rückzug, sich aber trotzdem eine Verbindung zur Welt bewahren, zu all dem, was um ihn herum geschieht.

Hieronymus am Flughafen wäre als Beschreibung unserer Situation also okay?

Konstantin Grcic: Ja, großartig. Das Ganze ist irgendwie zusammengekommen: Geplant war das nicht, aber es hat sich so gefügt.

Und wie sieht es mit dem Arbeiten aus? "Work Space" hat mich weniger überrascht, in einigen Details oder Akzenten dann aber doch beschäftigt. Grob vereinfacht könnte man sagen: Eigentlich sind es nur die Server, die arbeiten. Der Arbeitsprozess spielt sich auf Bildschirmen ab, heraus kommen dabei Dinge, wie die, die Sie entwickelt haben. Hieronymus sitzt am Flughafen und versucht, die Dinge zusammenzukriegen. Und tief unten im Gestein, in der Höhle, arbeiten die Server. Ist das so?

Konstantin Grcic: Für mich gibt es in dem Raum schon noch den Menschen, und ich finde, er ist auch sichtbar, weil die Dinge dann doch analog bleiben. Dieser zweite Raum der Ausstellung diente ja dazu, meine Arbeit abzubilden, und meine Arbeit ist nun mal davon geprägt, dass wir so arbeiten, wie wir arbeiten. Es gibt Modelle, Prototypen und so weiter. Für mich persönlich muss ein Büro immer auch eine "Werkbank" sein. Zugleich gibt es aber auch Computer, Server und eine Rechenleistung, die uns dabei helfen, was wir tun. Mir ist natürlich bewusst, dass es diese Realität gibt und dass andere Designer diese Werkzeuge intensiver einsetzen als ich das tue. Manchmal denke ich auch: Wurde der Autor womöglich schon ersetzt durch einen Algorithmus? Spielt sich das Herstellen längst anderswo ab? Wandert die Produktion mehr und mehr ins Virtuelle ab? Es gibt viele solche Dinge. Mit denen hat man sich abgefunden. Und doch denke ich: Wir sind die Kreativen, uns kann man nicht so schnell ersetzen, auch wenn sofort wieder Zweifel aufkommen. Natürlich wird es irgendwann eine Mathematik und eine Software geben, die ersetzt, was wir zu tun versuchen.

Ideal wäre eine Werkbank, es gibt aber auch Computer, Server, Rechenleistung: Im "Work Space" kommen analoge und digitale Werkzeuge, virtuelle und reale Dinge zusammen.

Man ist fasziniert von den Möglichkeiten und erschrickt zugleich über deren Konsequenzen. Etwa, wenn einer sagt: Wieso schreibt jemand eigentlich noch Romane? Das kann ein Computerprogramm doch viel besser.

Konstantin Grcic: Ja, genau.

Es ist ja schon viel über den "Tod des Autors" gesprochen worden. Kehrt die Debatte unter technologischen und kommerziellen Aspekten zurück?

Konstantin Grcic: Im Designprozess gibt es mehr als nur den Autor. Auch hier gibt es Open Source. Das heißt: Alle am Designprozess Beteiligen verändern sich immer wieder. Es gibt für beide Seiten Beispiele, die überzeugend klingen. Natürlich erlaubt es die Rechenleistung heutiger Computer, etwas schneller und genauer machen zu können. Man kann alles durchspielen. Und viele Köpfe sind oft besser als nur einer. Gleichzeitig aber – und das ist für mich entscheidend – geht es bei alledem nicht darum, dass neue technische Möglichkeiten das Bestehende ersetzen und das Bewährte ablösen. Es kommt einfach eine Realität hinzu, die Möglichkeiten erweitern sich. Am Ende muss jeder für sich entscheiden, was er übernimmt. Der Autor muss sich in dem, was er leistet, neuen Technologien anpassen oder dort seine Nische finden, wo er wirklich unersetzbar bleibt oder aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten mehr zu leisten vermag als irgendein Programm.

Schön und gut. Aber wird die Sache nicht dadurch verschärft, dass heutzutage nicht nur jeder Autor sein möchte, sondern es auch sein kann?

Konstantin Grcic: Na ja, theoretisch schon.

Viele Köpfe und viele Möglichkeiten: Im Designprozess gibt es mehr als einen Autor.

In Zeiten von Open Source und 3D-Druck auch praktisch. Nach dem Motto: Wieso macht nur der Konstantin Grcic Stühle? Ich will auch einen Stuhl machen, also mache ich doch mal einen Stuhl.

Konstantin Grcic: Ja, eben. Klar kann jeder einen Stuhl machen, da habe ich auch gar nichts dagegen. Ich fühle mich dadurch überhaupt nicht bedroht. Ich glaube, was solche Entwicklungen angeht, an eine natürliche Form der Abnutzung.

Das schleift sich ab, das spielt sich ein, das wird irgendwie ausverhandelt?

Konstantin Grcic: Genau. Wir haben über Literatur gesprochen. Die erste Disziplin, die durch die Einführung von Personal Computer und Desktop Publishing bedroht war, war das Graphik-Design. Jeder kann das heute irgendwie selber machen, und so sieht es dann auch aus. Deshalb gibt es immer noch Graphik-Designer, die Spezialisten sind, weil sie zum einen ihr Fach besser und genauer kennen als der Laie und gleichzeitig noch viel mehr wissen. Ich mag die Idee des Spezialisten, aber nicht desjenigen, der diesen Tunnelblick oder Scheuklappen hat, sondern desjenigen, der, weil er Spezialist ist, so viel mehr weiß und kann als der Laie.

Spezifisches Wissen und Können werden nicht in der Demokratisierung aller Prozesse untergehen?

Konstantin Grcic: Keinesfalls. Spezialisten werden nach wie vor gebraucht, weil sie aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrung flexibler und vielseitiger sind – um durch die Hintertür auf das Profil oder Berufsbild des Designers, also meiner Liga, zurückzukommen. Es sind solche Fähigkeiten, die heutzutage von uns gefordert werden und die uns auszeichnen. Wir sind heute doch in der Lage, viel mehr zu leisten – wir sind nicht nur Entwerfer. Ich entwerfe nicht nur einen Stuhl, sondern ich konzipiere den Stuhl. Was für einen Stuhl brauchen wir für welche Situation? Im Zusammenhang mit einer bestimmten Firma, deren Geschichte, deren Möglichkeiten und deren Markt ich kenne. Unsere Arbeit beginnt schon viel, viel früher und ist viel breiter angelegt und hat mit vielen anderen Dingen zu tun, bevor es dann zu dem Entwurf kommt, um den es natürlich auch geht. Oder: All das andere ist heute notwendig, um überhaupt einen Entwurf von einem Stuhl machen zu können – für eine Firma mit einer eigenen Geschichte und so weiter. Ich glaube, in diesen Aspekten hat sich unsere Arbeit total verändert, und auch das sehe ich eher positiv.

Konstantin Grcic – Panorama
bis 24. Mai 2015
Z 33 House for Contemporary Art
Zuivelmarkt 33
3500 Hasselt / Belgien
www.z33.be

Konzipieren statt nur zu entwerfen: Der Designer braucht mehr als einen Schreibtisch.