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"Cream Light"

PORTRAIT
Das Designuniversum

Alles ist mit allem verbunden: llot llov entwirft, richtet ein, produziert, verkauft und hat sogar einen eigenen Laden. Das neueste Projekt des Berliner Studios: eine Upcycling-Leuchte.
von Jasmin Jouhar | 02.11.2020

Schick sehen sie aus, die Mini-Leuchten, die dutzendfach zur Lichtwolke geballt in einem Schaufenster in Berlin hängen. Lauter kleine Glaszylinder mit mattgoldenem Ring, an einem filigranen Metallkabel baumelnd. Jacob Brinck lächelt, als er eine der Leuchten auseinandernimmt, denn er ahnt den Aha-Effekt voraus. Die matten Glaselemente sind nämlich – Abfall! Unbenutzte Cremetiegel aus Überproduktion, die nicht mehr gebraucht wurden. Statt sie wegzuwerfen und damit Ressourcen zu verschwenden, hat die Kosmetikmarke cosnova beauty Jacob Brincks Designstudio llot llov beauftragt, ein neues Produkt daraus zu entwickeln. Der Entwurf "Cream Light" ist eine so einfache wie effektvolle Lösung: Das Gewinde der Glasgefäße verschwindet in einem Mittelstück aus Aluminium. Darin sitzen als Lichtquelle zwei ringförmige LEDs. Ein perfekt wirkendes, zeitgemäßes Produkt, weit entfernt von der selbstgebastelten, fehlerverliebten Ästhetik, die Upcycling-Projekte sonst oft haben. Nur wer genau hinschaut, entdeckt an jedem Tiegel eine im Boden eingeprägte Nummer, ein diskreter Hinweis auf die ursprüngliche Bestimmung.

Es ist nicht das erste Upcycling-Projekt, das llot llov für cosnova beauty entwickelt haben. 2018 stellten Jacob Brinck und seine Studiopartnerin Ania Bauer einen Terrazzo vor, in den Stücke von Nagellackflaschen als Zuschlag eingegossen worden waren. Die dicken Glasbruchstücke mit den farbigen Lackspuren erzeugen ein lebendiges Muster in dem hellgrau-samtigen Beton. llot llov vertreibt das Material unter dem Namen "Glacier" selbst, entweder in Form von Platten oder bereits weiterverarbeitet als Tisch oder Leuchte. Die kleinen Tiegel-Leuchten sind ebenfalls direkt über das Studio zu beziehen, im Moment arbeiten Bauer und Brinck an weiteren Varianten. Überhaupt ist das 2007 gegründete Berliner Studio eine gute Adresse für ungewöhnliche Entwürfe. llot llov hüllen Leuchten in Fransenkleider oder Strickschläuche, sie entdeckten Makramee wieder, bevor die Knüpftechnik ihr großes Revival feierte. Und Ania Bauer ließ sich von Seidenmaltechniken zu einer neuartigen Oberflächenveredlung für Holz inspirieren. Salzkristalle, auf noch feuchte Farbe gestreut, saugen sich mit den Pigmenten voll und hinterlassen so faszinierende Muster. Manche der Muster erinnern an Pfauenfedern, andere eher an mikroskopische Aufnahmen von Einzellern. Auch "Osis" gibt es direkt bei den Designer, als Platte oder bereits zu Möbeln weiterverarbeitet. llot llov gehörten zu den ersten jungen Designstudios, die nicht nur entwarfen, sondern auch Produktion, Vertrieb und Marketing in die eigene Hand nahmen – ein Modell, wie es mittlerweile in Berlin einige Labels verfolgen, etwa New Tendency, Bartmann oder Loehr.

Kennengelernt haben sich Ania Bauer und Jacob Brinck noch zu Studienzeiten in Berlin, Bauer studierte an der Universität der Künste, Brinck an der Fachhochschule Potsdam. Nach einem dreiviertel Jahr bei Tom Dixon in London war Brinck überzeugt, dass er sich selbständig machen will. Gleich ihr erster gemeinsamer Entwurf, die mit Wollstrick umhüllte Leuchte "Matt", entwickelte sich zum Erfolg. Übrigens zunächst eher im Ausland – bis heute haben llot llov mehr Kunden im Ausland als in Deutschland. Das "Osis"-Material etwa verkaufen sie häufig nach Asien. Ähnlich international funktioniert auch die Produktion: Die Strick- und Makramee-Objekte fertigt ein Frauenprojekt in Riga, andere Produkte werden in Indien, Portugal, Italien, Polen und auch Deutschland hergestellt – und von einem Lager in Frankfurt in die ganze Welt verschickt.

Doch damit nicht genug: Bauer und Brinck arbeiten auch als Innenarchitekten und betreiben zudem ihren eigenen Laden für Kleidung und Accessoires – "Baerck" in Berlin-Mitte, wo sie gerade "Cream Light" präsentieren. Baerck erklärt sich aus ihrer Gründungsgeschichte: Ursprünglich waren die beiden Teil einer Bürogemeinschaft in einem Ladengeschäft eine Straße weiter. Den vorderen Raum nutzten sie, um eigene Entwürfe und die befreundeter Designerinnen und Designer auszustellen. Daraus entwickelte sich die Idee für den Laden, der über die Jahre auch als Showroom von llot-llov-Produkten gute Dienste geleistet hat. Die Innenarchitektur wuchs ihnen ebenfalls nach und nach zu, über ihr Netzwerk bekamen sie erste kleinere Aufträge. Mittlerweile ist die Gestaltung von Innenräume zu einem wichtigen Arbeitsfeld geworden. Aktuell beginnen die Planungen für ein Hotel mit 155 Zimmern, dessen Interieur das Studio gestalten wird. Die Innenarchitekturprojekte sind auch ein wichtiger Absatzkanal für ihre Produkte – llot llov ist ein ganze Designuniversum, in dem alles mit allem verbunden zu sein scheint. Auch wenn Jacob Brinck mittlerweile ein wenig unter der damit verbundenen Arbeitslast ächzt und die 6-Tage-Woche die Regel ist – einen der Geschäftszweige zu kappen, kommt für die beiden nicht in Frage.

Jacob Brinck und Ania Bauer