top
Catharina Lorenz, Steffen Kaz

Portrait
Das große Plus

Lorenz + Kaz leuchten gerne in die Nischen des Designs. Dazu gehört ihr aktuelles Projekt: Mobile Miniappartments für ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter. Was Catharina Lorenz und Steffen Kaz planen, haben sie uns in Mailand erzählt.
von Anna Moldenhauer | 04.03.2020

Zwei weiße DINA4 Seiten, die jeweils eine Büroklammer zeigen. Auf den ersten Blick wirken sie identisch, bis man sieht: Die offenen Enden der Einen sind mit kleinen Kugeln versehen. Ein Detail, das dem geradlinigen Entwurf eine besondere Note verleiht. "Essential" und "Essential plus" lauten die Bezeichnungen der Klammergeschwister, die im Studio Lorenz + Kaz in Mailand eine der Wände zieren. Das gewisse Extra zu finden, ist ein Bestreben der Industriedesigner Catharina Lorenz und Steffen Kaz. Ihre Produkte, überwiegend Stühle, sind funktional gedacht und von einer Ästhetik, die man spontan in Skandinavien verorten möchte. Wäre da nicht der spielerische Bruch, das schwungvolle und lebenspraktische Plus, das den Entwürfen ihren individuellen Charakter verleiht. Wie bei "KATO" für Artifax, der stille Butler, der sich schnell in der Position versetzen lässt und sowohl als Tablett, Kleiderbügel und Sitzplatz dient. Oder "TRIA" für Colé, dessen Schale aus drei zusammengesetzten Elementen besteht und auf der man sowohl gerade wie seitlich Platz nehmen kann. Dynamische Linien in der Gestaltung ergeben eine Optik, die an die unmöglichen Figuren von M.C. Escher erinnert. "Wichtig ist, dass man eine Idee auf die Essenz destilliert und diese dann beseelt", so Steffen Kaz.

Der Durchbruch kam für sie kurz nach dem Schritt in die Selbstständigkeit mit "Aspetto" im Jahr 2002, eine Eigenproduktion, die das Designerduo für die Talentshow der imm cologne entwarf. Aus einem einzigen Aluminiumblech geschnitten und in kontinuierlicher Linie zur ästhetischen Form gebogen, lässt es sich auf "Aspetto" bequem sitzen. Eine kleine Arbeitsfläche sowie Stauraum unter dem Sitz runden die Idee ab. "Mit einfachen Entwürfen kann man auch ein großes Statement setzen", so Catharina Lorenz. Angesichts der gegenwärtigen, flexiblen Arbeitswelten war das multifunktionale Wartemöbel Anfang der Zweitausenderjahre seiner Zeit weit voraus. Kurz nach der Erstpräsentation bezogen Lorenz + Kaz auf der damaligen Orgatec mit "Aspetto" den kleinsten Stand. Entgegen der minimalen Präsentation auf gerade einmal sieben Quadratmetern erlangte das Modell die Aufmerksamkeit des US-amerikanischen Herstellers General Motors, der ihnen mit einer Bestellung von 4.000 Stück für den Cadillac Experience Corner den ersten Großauftrag bescherte.

Wohnen der Zukunft

Das sie in ihren Entwürfen den Menschen und dessen Lebensqualität stets mitdenken, zeigen auch die aktuellen Projekte: Gemeinsam mit dem Containerwerk Stuttgart und der Hochschule Esslingen feilen sie gerade an einem modularen Wohnraumkonzept für das Leben im Alter: Eine Einrichtung, die sich flexibel an die körperlichen Einschränkungen anpassen lässt, mit denen man sich in dieser Phase des Lebens meist konfrontiert sieht. Ausgangspunkt sind Miniappartments auf 22 Quadratmetern in umgebauten Containern, die sowohl freistehen wie an Bestandsgebäude angeschlossen werden können. In Wände, Böden und Einrichtungsgegenstände eingelassene Sensoren helfen den Gesundheitszustand des Bewohners zu überwachen. Praktische Griffe oder Anziehhilfen sind in die Möbel integriert. "Es geht um das Wohnen der Zukunft", so Catharina Lorenz. Besonderes Augenmerk liegt im Rahmen des Projekts auf der kompakten Badezimmereinheit: Ausgestattet mit Dusche, Waschbecken, WC, Beleuchtung, Stauraum und breiten Türen bietet sie trotz der Reduzierung auf das Wesentliche alle gefragten Funktionen. "Die Autonomiephase wird verlängert, in dem man eine barrierefreie Fläche schafft, die sich an die medizinische Versorgung des Bewohners anpassen lässt", erklärt Catharina Lorenz. Die wohnliche Optik gleicht dabei der eines modernen Badezimmers: Nichts erinnert an die kühl und abweisend wirkende Farbgebung in Mintgrün und Beige, der man in den gängigen medizinischen Einrichtungen doch allzu oft begegnet. Eine Nische, die Lorenz + Kaz ausfüllen möchten.

Kein Gemischtwarenladen

Gefertigt sind die Badezimmermodule aus Solid Surface, ein Mineralwerkstoff, der thermisch verformbar und somit einfach zu verarbeiten ist. Die 2,80 Meter lange und 1,10 Meter tiefe Einheit kann im Anschluss nahtlos in die Containerwohnungen eingesetzt und individuell angepasst werden. Für Durasein, einem der größten Hersteller von Solid Surface in China, gestalten Lorenz + Kaz parallel einen Showroom auf über 1.000 Quadratmetern in Zhuhai, im Süden der Volksrepublik. Die Projekte stehen exemplarisch für die flexible Arbeitsweise der Designer, in der sie ihre vielfältige Kompetenz vom Produkt bis zur Installation in einem Projekt vereinen. Der kreative Prozess der beiden basiert auf Kommunikation: "Wir besprechen alles miteinander und oft ergeben sich daraus neue Wege", so Steffen Kaz. Den Anstoß zum Dialog bot einer ihrer Lehrer, James Irvine. Zusammen mit Steffen Kaz besuchte dieser Anfang der Neunziger Jahre das Studio von Ettore Sottsass, in dem Catharina Lorenz zu diesem Zeitpunkt arbeitete. Mailand ist für den gemeinsamen Weg von Lorenz + Kaz ein Hafen geblieben, auch wenn es nicht immer einfach war, in den bestehenden kreativen Zirkeln der Designmetropole Italiens anzukommen. "Das Leben hier ist ein wenig improvisierter, aber sehr human, was wir zu schätzen wissen", so Steffen Kaz. Der italienische Einfluss hat zudem in ihre Entwürfe Eintritt gefunden: "Das weite Spektrum der Farben und Materialien des Landes hat uns auf jeden Fall geprägt", so Catharina Lorenz.

Für ihr Studio haben sie eine Wohnung im Mailänder Stadteil Cittá Studi umgebaut – inklusive kleiner Werkstatt und zwei Büroräumen. Zum Sitzen stehen viele der Entwürfe aus eigener Feder parat, unter anderem "Calu", ein solider Holzstuhl und das Ergebnis der ersten Zusammenarbeit mit Zeitraum. Analog und digital gehen im kreativen Prozess von Lorenz + Kaz Hand in Hand, das zeigt sich auch auf den Schreibtischen der Designer: Skizzen stapeln sich neben dem Grafiktablet, handgebaute Prototypen stehen neben den Versionen aus dem 3D-Drucker. Die Kleinigkeiten vom Notizbuch bis zur Materialprobe werden in der "Piu Console" gesammelt, einst entworfen für De Padova sowie in den Regaleinheiten "Cling", erdacht für Colé. Die Designsprache des italienischen Labels Colé haben Lorenz + Kaz von Beginn an mitgeprägt. Ausgearbeitet, in welche kreative Richtung die junge Marke gehen sollte, die der Architekt Matteo De Ponti zusammen mit Laura Macagno im Jahr 2011 gegründet hatte. "Für uns ist es wichtig, dass ein Unternehmen einen Stil verfolgt und keinen Gemischtwarenladen anbietet", so Catharina Lorenz. Natürlich immer in der Bestrebung das Plus zu erreichen, welches das Ergebnis besonders werden lässt. Sei es mit dem ausgefallenen Paravent "Opto Folding Screen" oder dem "Secreto Coffee Table", der mit zwei Ebenen den Spagat zwischen Café- und Büchertisch schafft. Flexibel und multifunktional, das sind zwei Eigenschaften der Designs von Lorenz + Kaz. "Autorendesign ist nicht unsere Sache, der Mensch und die Lebensqualität muss mitgedacht werden", so Catharina Lorenz. Von diesen Qualitäten konnte sich auch die hochkarätige Politikerrunde des G7-Gipfels überzeugen, die im Jahr 2015 auf einem leicht abgewandelten Entwurf des Sessels "Coco" von Lorenz + Kaz debattierte.

Ihre Philosophie und die Ermutigung einen eigenen Weg zu finden, geben die Designer mittlerweile an die kommende Generation weiter: Steffen Kaz hat viele Jahre als Dozent an der Universität Bozen gelehrt, aktuell unterrichtet er an der Nuova Accademia di Belle Arti in Mailand und gibt regelmäßig Workshops. "Man sollte nie aufhören in sich hineinzuhören, um die Themen zu finden, die einen selbst bewegen", sagt er.

"Autorendesign ist nicht unsere Sache, der Mensch und die Lebensqualität muss mitgedacht werden", so Catharina Lorenz.