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Federico Palazzari ist seit 2012 geschäftsführender Gesellschafter von Nemo. Bald nach dem Jura-Studium in Venedig und Rom entdeckte er seine Begeisterung fürs Licht.

SALONE DEL MOBILE 2017
Glück folgt Leidenschaft

Die Leuchtenmarke Nemo, einst zusammen mit Cassina gegründet, steht heute unter der Ägide von Federico Palazzari. Im Gespräch mit Thomas Edelmann erzählt der Unternehmer von der Kunst der Mischung von Klassikern und Experimenten im Programm.
24.04.2017

Thomas Edelmann: Wie kommt ein Jurist zu einer bekannten Leuchtenfirma?

Federico Palazzari: Ich stamme väterlicherseits aus einer Familie von Juristen und von Antiquitätenhändlern aus der mütterlichen Linie. Als junger Jurist war ich zwar einigermaßen zufrieden, aber nicht wirklich glücklich mit meiner Arbeit, ohne mir dessen richtig bewusst zu sein. Vermutlich hat der eher eklektische Ansatz meiner Mutter damit zu tun, dass ich begierig bin, neue Felder zu entdecken. Nach dem Abschluss meines Studiums arbeitete ich für eine Anwaltskanzlei, die Artemide beriet. So traf ich eines Tages in einem Meeting auf Ernesto Gismondi, den Gründer der Firma. Heute sind wir gut miteinander befreundet. Nach einiger Zeit sagte er mir im Verlauf des Meetings: „Federico, du kannst nur eines von beidem machen: Entweder kümmerst du dich um die Verträge oder um die Produkte des Unternehmens. Du musst dich schon entscheiden!“ Das war ein wichtiger Moment für mich. Von Leuchten wusste ich noch kaum etwas. Aber in mir wuchs die Leidenschaft.

Wie ging es weiter?

Federico Palazzari: Für einige Jahre war ich ein Jurist, der sich für Licht interessiert. Und heute stelle ich auf der Euroluce aus. Als ein befreundeter Architekt 2001 eine kleine Leuchtenfirma gründete, bat er mich mitzumachen. Inzwischen haben wir einiges erreicht, Nemo misst sich mit den Besten der Branche.

Ihre Firma Omikron Design, die hauptsächlich Lichtsysteme für Shopeinrichtungen, aber auch Wohnraumleuchten, etwa von Vico Magistretti herstellte …

Federico Palazzari: Mit Omikron übernahm ich 2012 Nemo. Seither habe ich beide Marken miteinander verschmolzen. Für die Entwicklung der Firma ist dies ein wichtiger Moment.

Wie viele Mitarbeiter hat Nemo heute?

Federico Palazzari: Es sind um die 50 bis 60, die meisten davon in Italien. Wir haben ein Zweigunternehmen in Frankreich. Unsere neueste Erwerbung ist ein Unternehmen in New Jersey in den Vereinigten Staaten, das früher unsere Produkte vertrieben hat. Wir sind dennoch immer noch eine kleine Firma. Im vergangenen Jahr erreichten wir einen Umsatz von rund 15 Millionen Euro. Dies resultiert aus einem konstanten Wachstum von 30 Prozent über die letzten drei Jahre.

Sind Sie denn heute glücklich?

Federico Palazzari: Ich bin glücklicher. Dabei sind die Zahlen nur ein Aspekt. Es macht Spaß für ein Unternehmen zu arbeiten, das an Ausstrahlung gewinnt. Das wiederum hängt stark mit unseren neuen Produkten zusammen.

Strenge Akzente: Die Lampenfamilie „Spigolo“ von Studiocharlie aus Rovato ist seit 2014 in Produktion.
Schwarm von Lichtpunkten: Zu den Neuheiten 2017 gehört die Hängeleuchte „Titia“ des in Helsinki lebenden Japaners Arihiro Miyake.

Heute müssen Sie aber doch wieder beides tun: auf die Verträge und das Portfolio achten, oder?

Federico Palazzari: In gewisser Weise ist das so, allerdings unterstützen mich Menschen dabei, die entweder das eine oder das andere machen.

Die Lichtbranche hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Das hängt zunächst mit der neuen LED-Leuchtentechnik zusammen.

Federico Palazzari: In der Tat, das ist etwas, mit dem wir lernen mussten umzugehen. Wie man das in angemessener Weise macht, lernten wir erst im Zuge der Einführung neuer Technologien. Manchmal wundert es mich, wie wenig sich die Menschheit lange Zeit um die Bedeutung von Licht gekümmert hat. Wir waren uns viel zu wenig bewusst, dass Licht sich aus Farben zusammensetzt. Erst während der letzten zehn Jahre wuchs das Verständnis. Wie sich kaltes und warmes Licht auswirken, wissen wir inzwischen sinnvoll einzusetzen. Zuvor bemerkte man vielleicht, dass man sich in manchem Licht unwohl fühlt, ohne zu begreifen, woran das lag. Das allein ist eine revolutionäre Veränderung, die von der LED-Technologie angetrieben wurde. Denn die Leuchtdiode brachte alle dazu, sich intensiver mit dem Licht zu beschäftigen.

Noch einmal zurück zu Nemo und seiner Entstehung: 1993 wurde es von dem Unternehmer Franco Cassina und dem Architekten Carlo Forcolini gegründet. Was waren die Intentionen der Gründer? Und was hat sich seit Ihrer Übernahme verändert?

Federico Palazzari: Franco Cassina wollte als Ergänzung der Möbelmarke Cassina eine herausragende Leuchtenfirma etablieren. Anfang der 1990er Jahre gab es in Italien bereits einige davon: Artemide, Arteluce, Flos, Fontana Arte waren die bereits etablierten, Luceplan war einige Jahre jünger. Nemo war Bestandteil der Cassina-Gruppe bis ich es übernahm – Ende 2012 zunächst die Mehrheit der Anteile. Als Cassina 2014 von der amerikanischen Firma Haworth übernommen wurde, entschied ich mich, auch den Minderheitsanteil zu übernehmen, den Cassina bis dahin behalten hatte. Noch immer haben wir eine fantastische Beziehung zu Cassina. Licht ist etwas, dem ich meine Arbeit vollständig widme. Wir suchen nicht nach Produkten, die sich besonders leicht verkaufen. Unser Ziel ist es, Meilensteine zu schaffen. Wenn man so arbeitet, zahlen sich nicht nur gelungene Projekte aus, auch Fehler haben große Auswirkungen.

Haben Sie ein Beispiel?

Federico Palazzari: Ich zögerte zu lange, unser amerikanisches Vertriebsunternehmen zu übernehmen. Dadurch verloren wir auf dem wichtigen US-Markt zwei Jahre. Das war allein mein Fehler. Ein anderer war es, zu spät einen wirklichen Lichtexperten in das Entwicklungsteam zu holen. Beides ist inzwischen behoben. Es war ein schmerzhafter Lernprozess.

Cassina entdeckte bereits in den Sixties die Bedeutung der Designgeschichte und legte Möbel bekannter Architekten und Designer in der Reihe „i Maestri“ neu auf. Auch Nemo folgt seit 2008 diesem Vorbild, zunächst mit Entwürfen von Franco Albini und Franca Helg, inzwischen mit einer ganzen Reihe von Leuchten von Le Corbusier und Charlotte Perriand. Weshalb ist die leuchtende Vergangenheit so wichtig?

Federico Palazzari: Wir nennen das die "Master Collection". Wenn Sie sich auf unserem Stand umsehen, gibt es da keine besondere Unterscheidung. Denn so wichtig das gestalterische Erbe für uns ist, so bedeutsam ist es, daraus heute stimmige Produkte zu entwickeln.

Prinzip in veränderter Gestalt: Von Jean-Marie Massaud stammt „Orbit“ mit zahlreichen projizierenden und streuenden Micro-LED. Als Pendelleuchte kann sie bausteinartig ergänzt werden. Etwa mit einem Korbgeflecht.

Was nicht immer leicht ist, denn etwa Le Corbusiers „Borne Béton“-Leuchte war ursprünglich kein Serienprodukt, sondern ein dreidimensionales Objekt als Bestandteil seiner Architektur.

Federico Palazzari: So ist es. Man muss eine Menge an Recherche betreiben, um so etwas zu realisieren. Zugleich sendet es eine starke Botschaft an den Markt, eine solche Ikone erstmals in Serie aufzulegen. Welchen Einfluss wir damit ausüben, sieht man bei Flos

… wo Designer Vincent Van Duysen mit „Casting Concrete“ beinahe eine Kopie von Le Corbusiers Beton-Leuchte präsentiert…

Federico Palazzari: … nein, sie haben sich stark inspirieren lassen. Aber es macht mich stolz zu sehen, dass wir Erfolg haben mit unserem Ziel, den Weg zu markieren und diesem Weg dann auch zu folgen. Zugleich haben wir den Anspruch, mit unseren Ideen führend zu sein. Wir werden immer ein Mittelstandsunternehmen bleiben. Diese Arbeit gut zu machen, erfüllt mein Team und mich mit Stolz. Wir sind klein genug, um Dinge auszuprobieren, wie die neuen Leuchten von Martino Gamper, die eine Nische in der Wand definieren.

Bei der Inspiration hat das Original aber doch auch seine Bedeutung: Kanye West sagt, ihn habe Le Corbusiers Betonleuchte zu einigen seiner Alben angeregt. Aus historischem Design resultieren also Musik und populäre Kultur…

Federico Palazzari: Zu Kanye West haben wir eine wundervolle Beziehung. Er hat längst nicht nur antiquarische Stücke gekauft, er lebt mit unseren Leuchten.

Sie selbst haben sich auch als Designer betätigt…

Federico Palazzari: … meine Leuchte „Ellisse“ war mehr ein Versehen. Ich wollte eine industriell gefertigte elliptische Form in der Kollektion haben und daher suchte ich nach einer Technik, mit der man sie ohne mechanische Verformung herstellen kann. Ich hatte eine klare Vorstellung und habe mir daher für ein Projekt das Design selbst angeeignet. Mehr war das nicht.

Historie als Gegenwart: Im Auftrag von George Pompidou und dessen Frau Claude Pompidou, einer bekannten Förderin von Kunst und Design, schuf Paul Paulin 1970 die Smoking-Lounge im Elysée-Palast.
Nun legt Nemo die dafür entworfenen Leuchten neu auf.

Laden Sie Designer ein, Ihnen ihre Ideen zu präsentieren?

Federico Palazzari: Da bin ich sehr zurückhaltend und vorsichtig. Ich glaube nicht, dass Designfirmen so etwas wie eine demokratische Umgebung verkörpern. Letztlich braucht man jemanden, der bereit ist, die Entscheidung zu übernehmen, der dafür einsteht. Dann hole ich meine Kollegen dazu, ihre Arbeit zu tun. Wir mögen die Suche nach dem Neuen. Auch, weil es dabei keine vorgegebenen Regeln gibt, sondern unendlich viele Möglichkeiten, charismatische Ideen zu finden.

Welche der neuen Produkte sind Ihnen besonders wichtig?

Federico Palazzari: Die Zusammenarbeit mit Jean-Marie Massaud bringt uns weiter. Er ist sehr gewissenhaft und professionell. Als Teamplayer hilft er der Industrie, noch besser zu werden. Das ist schon sehr ungewöhnlich.

Objekt in und aus der Kiste: „Arca-Archa“ von Martino Gamper ist eine kompakte Nische mit winzigen Leuchtelementen.
Rückschau mit Zukunft: 2015 inszenierte Nemo seine Forschungsbemühungen um Charlotte Perriand und Le Corbusier mit der Ausstellung „La Luce“ im Mailänder Showroom.
Geschichte wird gegenwärtig: „Bourne Béton“ von Le Corbusier begeistert nicht nur Kayne West, sondern verleiht Nemo ein neues Image.
Innenansicht: Im Showroom von Nemo in Mailand stehen Martina Gampers „Arca-Archa“ und Le Corbusiers "Parliament"