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Irmel Kamp, Bruxelles Brussel / Villa Berteaux (Louis Herman de Koninck, 1936) Avenue du Fort-Jaco Laan 59, Gelatinesilber- Abzug auf Baryt-Papier, 50 x 60 cm, 1996/97

Der klare Blick

Irmel Kamp gehört vielleicht nicht zu den prominentesten Namen in der Architekturfotografie. Nun zeigt das erste Buch über das Werk der 85-jährigen Deutschen, dass es sich lohnt, ihre Arbeit zu kennen. 
von Florian Heilmeyer | 09.01.2023

Eigentlich wollte Irmel Kamp Architektin werden, aber das war aufgrund der finanziellen Situation ihres Elternhauses 1956 nicht möglich. Stattdessen ließ sich die gebürtige Düsseldorferin an der RWTH Aachen zur Metallografin ausbilden. Zur Ausbildung gehörte auch die Arbeit mit der Fotokamera zur präzisen Dokumentation und Analyse von Metallen sowie deren Bearbeitung – inklusive der Laborarbeit zur eigenständigen Entwicklung der Filme. In dem ausführlichen Interview in diesem Buch betont Kamp, wie wichtig diese Ausbildung für ihren Werdegang war und man meint, es in ihren Bildern sehen zu können: Den nüchternen, kühlen Blick der Metallografin, die sich speziell für die Strukturen und Bearbeitungen der fotografierten Objekte interessiert. Als "freie Fotografin" aber bezeichnete sie sich erst ab 1977, als erste Bilder von ihr in Gruppenausstellungen in Leverkusen, Kiel und Aachen gezeigt wurden. Ein wenig schade, dass auch in diesem 165 Seiten starken Buch keine Kamp-Fotos vor 1977 zu sehen sind, etwa solche, die sie vielleicht noch als Metallografin anfertigte. Es hätte einen interessanten Vergleich mit den folgenden "Architekturbildern" geben können. Das Buch, das als Ausstellungskatalog erschien, konzentriert sich stattdessen auf vier Werkgruppen von Kamp: "Zink" (1978-1982), "Tel Aviv" (1987-1992), "Bruxelles – Brussel" (1996/1997) und "Moderne in Europa" (1998-2006).

Blick ins Buch

Gleich in der ersten dieser Foto-Serien ist es Kamp gelungen, auf kongeniale Weise ihr Interesse an der Metallografie und Architektur zusammen zu bringen: Ihr waren in Belgien die kleinen, profanen Wohnhäuser aufgefallen, die von ihren Eigentümern an den freiliegenden Wetterseiten liebevoll in eine schützende Hülle aus Zinkblech-Schindeln gewickelt worden waren. Wie eine Pilze-Sammlerin hat Kamp diese Häuser aufgespürt und in knochentrockenen, hinreißenden Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentiert. Immer vor einem bedeckten, gleichmäßig grauen Himmel aufgenommen, bekommen diese leicht schimmernden Blechmuster – und mit ihnen die Häuser – eine skulpturale Qualität, die ihnen im Alltag sicher kaum je beigemessen wird. Insofern stimmt der Vergleich mit den ungleich bekannteren Aufnahmen von Hilla und Bernd Becher, der Kamp im Interview nahegelegt wird, und den sie vehement ablehnt. Sie habe sich in den Jahren, in denen sie an "Zink" arbeitete, noch nicht als Fotografin in irgendeiner Szene gesehen und so hätten ihr die Arbeiten von den "echten" Fotografen auch keine Orientierung geboten.

Kamps Werdegang als Fotografin bleibt von zufälligen Entdeckungen geprägt. So, wie sie eher zufällig Metallografin wurde und die Zinkfassaden belgischer Häuser entdeckte, so zufällig kam sie – als Begleitung ihres Mannes – 1987 nach Tel Aviv und war, fast ohne Vorkenntnisse, völlig überrascht von den vielen klassisch modernen Häusern der "White City". Zurück in Deutschland begann sie mit umfangreichen Recherchen zur Architekturgeschichte, und anschließend nahm sie in Tel Aviv systematisch jede Straße und jedes in Frage kommende Gebäude mit der Kleinbildkamera auf. Danach suchte sie sich dann die Häuser für ihre Dokumentation aus und legte die beste Tageszeit fest, um diese noch einmal mit der Mittelformatkamera aufzunehmen. Insgesamt hat sie 650 Gebäude fotografiert und zu 850 Bauten recherchiert.

Irmel Kamp, Tel Aviv / House Shulman (Beni-Ami Shulman, 1941) Sheffer Street, Gelatinesilber-Abzug auf Baryt-Papier, 60 x 50 cm, 1989
Irmel Kamp, Bruxelles Brussel / Maison de Verre (Paul-Amaury Michel, 1935/36) Rue Jules Lejeune Straat 65, Gelatinesilber-Abzug auf Baryt-Papier, 60 x 50 cm, 1996/97

Die Fotografien, die für "Tel Aviv" entstanden sind, zeigen – ähnlich wie die für "Zink" – die Gebäude als bereits gealterte, offensichtlich benutzte und pragmatisch umgebaute Häuser. Wieder begleitet die Aufnahmen ein monolithischer, hellgrauer Himmel, der die Alltags-Szenen in ein fast unnatürlich gleichmäßiges Licht taucht. Obwohl keine Menschen auftauchen, werden die Gebäude doch immer in ihrem Kontext gezeigt, sodass man die Straßenzüge im Anschnitt sehen kann: Autos und Bäume, Buschwerk und Hecken oder seltsam schäbige Nachbargebäude aus Wellblech. Es sind Häuser, die eher von einer Schönheit erzählen, die sie einmal hatten oder die sie wenigstens theoretisch einmal hätten haben können. Sie erzählen aber auch von einem Altern in Würde, auch wenn offensichtlich keines von ihnen eine besondere Pflege bekommen hat. Im Interview weist Kamp darauf hin, dass sie bei ihrer jahrelangen Arbeit oft erstaunt oder belustigt angesprochen wurde, warum sie denn diese Häuser so akribisch fotografiere. Die Erkenntnis, dass Tel Aviv gerade wegen dieser "weißen Häuser" etwas weltweit Einzigartiges ist, setzte sich erst später durch. Sicher haben Kamps Fotografien, die in einer Ausstellung und einem inzwischen gesuchten Katalog 1993 veröffentlicht wurden, dazu beigetragen.

Irmel Kamp, Bruxelles Brussel / Immeubles (Architekt, Jahr unbekannt) Boulevard Lambermont Laan 179/177, Gelatinesilber- Abzug auf Baryt-Papier, 60 x 50 cm, 1996/97
Irmel Kamp, Moderne in Europa / Utrecht (NL), Huis Schröder I (Gerrit Rietveld, 1924) Prins Hendriklaan, Gelatinesilber-Abzug auf Baryt-Papier, 60 x 50 cm, 2001

Dieses Interesse an einer gebrauchten, gealterten Architektur der Moderne brachte Kamp aus Tel Aviv zurück nach Europa – und erneut wandte sie sich Belgien zu, wo sie in der mehrsprachigen Hauptstadt Brüssel die modernen Gebäude wieder in ihrem städtischen Alltag besuchte. Dabei nahm sie die einfachsten Wohn- und Geschäftsgebäude auf und blieb immer ihren harten Schwarz-Weiß-Aufnahmen und dem einfarbigen Himmel treu. Zuletzt weitete Kamp diese Beschäftigung mit moderner Gebrauchsarchitektur über alle Ländergrenzen Europas aus und sammelte in ihren Aufnahmen Häuser aus Belgien, den Niederlanden, der Tschechei, Polen, Deutschland und Italien. Diese Serie verknüpft ikonische Gebäude wie die Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam oder das Kornhaus-Restaurant in Dessau, mit Unbekanntem – etwa ein Ledigenwohnheim, verschiedene Wohngebäude oder Tankstellen. In der Art und Weise, wie diese Gebäude fast ohne Kontext in der Bildserie aufeinander folgen, entstehen gestalterische Verbindungen: Motive wie Treppen, Fenster, Türme oder Flächen treten in den Vordergrund als offensichtlich grenzüberschreitende Gestaltungsthemen dieser zunehmend globalisierten Moderne – eine Internationalisierung, die allerdings in diesen Bauten aus der Zeit zwischen den Weltkriegen noch in den Kinderschuhen steckte. "Architekturbilder" ist ein insgesamt wunderbar aufgeräumtes, ebenfalls von vorne bis hinten in Schwarz-Weiß gehaltenes Fotobuch geworden, in dem das beeindruckende Werk von Irmel Kamp ganz unaufgeregt vor uns ausgebreitet wird. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre in unseren aufgeregten Zeiten.

Irmel Kamp. Architekturbilder
Hrg. von Museum für Photographie Braunschweig und Leopold-Hoesch-Museum
Kartoniertes Buch, 165 Seiten
Sprache: Deutsch und Englisch
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2022
ISBN/EAN: 9783753302928
39 Euro

Tipp:
Irmel Kamp. Architekturbilder
29. Jan 2023 – 23. Apr 2023


Eröffnung:
Sonntag, 29.1.2023, 12 Uhr
in Anwesenheit der Künstlerin

Leopold-Hoesch-Museum
Hoeschplatz 1
52349 Düren

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Montags geschlossen