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"Hammering Man" von Jonathan Borosfky, 2001, Frankfurt am Main

Der Klang im Bild

1949 kam die Fotografin Ursula Edelmann nach Frankfurt am Main, kurz nachdem sie bei Max Baur in Potsdam ihre Gesellenprüfung mit Auszeichnung abgelegt hatte. Mit der Kamera dokumentierte sie über Jahrzehnte den Wiederaufbau der Stadt und den wirtschaftlichen wie kulturellen Aufschwung – fotografierte Architektur, Design, Kunst, Industrieobjekte und Messestände. Anlässlich ihres 95. Geburtstags haben die Fotografen und Galeristen Rudi Feuser und Stefanie Wetzel im KunstRaum Bernusstraße eine Retrospektive kuratiert. Einen Einblick in ihr Lebenswerk gibt sie uns im Interview.
14.06.2021

Anna Moldenhauer: Frau Edelmann, was fasziniert Sie an der Fotografie?

Ursula Edelmann: Ich wollte eigentlich Musik studieren, Pianistin werden und in einem Orchester spielen. Dazu hatte ich schon recht früh ein Interesse für Fotografie, auch durch meinen Vater geweckt. Er war Generaldirektor einer Versicherung, fotografierte und filmte mit Begeisterung. Als ich meinen Vater nach Kriegsende 1945 das letzte Mal gesehen habe, hat er mir noch davon abgeraten, Fotografie zum Beruf zu machen. Trotzdem bin ich kurz darauf zu dem Potsdamer Fotografen Max Baur gefahren, um mich als Auszubildende vorzustellen. Wir haben uns eine Weile unterhalten und dann sagte er plötzlich "Am Montag kannst du anfangen", obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Referenzen vorzuweisen hatte. Drei Jahre habe ich bei ihm gelernt.

Während der Vorbereitung zu diesem Interview habe ich gelesen, dass Sie durch die Lehre bei Max Baur besonders gut für die Architekturfotografie ausgebildet waren. Warum war das der Fall?

Ursula Edelmann: Bevor Potsdam im Krieg zerstört wurde, hat Max Baur die Stadt fotografiert und von den Motiven Postkarten angefertigt. Sein Postkartenvertrieb war für ihn eine wichtige Einnahmequelle. Während meiner Lehre bei ihm dokumentierten wir Potsdam im zerstörten Zustand, in dieser Zeit habe ich viel über die Architekturfotografie gelernt.

Max Baur, 1948
Ursula Edelmann, Selbstportrait, 1952

Das Licht war für Max Baur in der Fotografie essentiell. Wie kann ich mir Ihre Arbeit dahingehend vorstellen?

Ursula Edelmann: Er sagte immer, es gibt nur eine Sonne. Wenn wir Skulpturen fotografiert haben, dann gab es ein Hauptlicht und der Rest wurde nur aufgehellt, beispielsweise mit einer Pappe. Max Baur nannte sich selbst auch "Lichtbildner". Seine Aufnahmen waren sehr ruhig und präzise, entsprachen der Neuen Sachlichkeit. Das Handwerk zu verstehen, war wichtig. Wenn ich Architekturfotografien angefertigt habe, bin ich immer erst zu dem Standort gefahren, um abschätzen zu können, wann das Tageslicht am besten ist. Auch das Wetter musste stimmen. Erst wenn alles perfekt war, habe ich die Fotos gemacht – also ein langwieriger Prozess. In Frankfurt am Main habe ich im Auftrag des Hochbauamts fotografiert, da bekam ich jeweils nur einen Zettel, auf dem das gewünschte Gebäude notiert war, die Art und Weise der Fotografie stand mir frei.

Wie sind Sie von Berlin nach Frankfurt gekommen?

Ursula Edelmann: Durch eine Anstellung, die im RIAS Berlin ausgeschrieben war. Gesucht wurde ein/e Fotograf/in für Aufnahmen der Messestände in Frankfurt am Main. Das war mein Ausgangspunkt. Ich hatte das Glück, einen amerikanischen Interzonenpass zu bekommen, musste allerdings auf der Strecke von Berlin-Steinstücken nach Frankfurt am Main schwarz über die Grüne Grenze. Während meiner Angestelltenzeit in Frankfurt habe ich dann nachts die Messestände fotografiert und meine Freundin Liselotte, die ich in der Lehre kennengelernt hatte, und die auch von Potsdam nach Frankfurt gekommen war, hat die Filme abgeholt, entwickelt und die Vergrößerungen angefertigt. Dann konnten wir die Fotos direkt am Morgen zu den jeweiligen Messeständen bringen. Nach einiger Zeit habe ich mich als Fotografin selbstständig gemacht. Wenn ich heute darüber nachdenke, war das völlig verrückt. Ich hatte keine Dunkelkammer, nur ein möbliertes Zimmer und eine Kamera, eine Rolleicord, die mir meine Mutter spendiert hatte sowie eine alte Holzkamera, die schon in meiner Ausbildungszeit völlig obsolet war. Mein Vermieter hat mir glücklicherweise eine Ecke im Keller überlassen, wo ich einen Vergrößerungsapparat aufstellen konnte, und in der Waschküche habe ich die Aufnahmen gewässert. Dazu konnte ich eine kleine Dunkelkammer von der Waschküche abteilen und dort habe ich gearbeitet.

Welchen Rat hat Ihnen Max Baur gegeben, als Sie sich selbstständig gemacht haben?

Ursula Edelmann: Das hat er erst gar nicht gewusst. Er ist ja noch einige Zeit in Potsdam geblieben. Ich habe ihn dann später besucht und ihm einige meiner Fotografien gezeigt. Er hat mich in der Folge auch noch sehr unterstützt, mir zum Beispiel teure Objektive geliehen, die ich mir nicht leisten konnte.

IAA, Porsche-Messestand, 1955, Frankfurt am Main

Sie haben in der Anfangszeit in erster Linie in Schwarz-Weiß fotografiert, ist das richtig?

Ursula Edelmann: Zu Beginn ja, aber für einen Auftrag des Städel Museums wurden dann Ektachrome gewünscht, also großformatige Farbdias. Die Herangehensweise habe ich mir selber beigebracht, in meiner Ausbildung bei Max Baur kam das Thema nicht vor. Er hat die Farbfotografie abgelehnt, nur einige seiner Schwarz-Weiß-Fotografien mit Buntstiften nachkoloriert, das gefiel mir aber nicht. Mein letztes Farbdia mit einer Großformatkamera war eine Aufnahme des Olivetti-Hauses in Frankfurt.

Schwarz-Weiß oder Farbfotografie, welches Verfahren ist Ihnen lieber?

Ursula Edelmann: Ich kann mich da nicht entscheiden. Die Fotografin Barbara Klemm, die ich sehr schätze, hat mal gesagt "Schwarz-Weiß ist Farbe genug". Das ist sicher richtig, aber ganz ausschließen möchte ich die Farbe nicht.

Für Ihre Arbeit war eine umfangreiche Ausrüstung von Nöten, was gehörte dazu?

Ursula Edelmann: Die Kameras, dazu Stative und Leuchten – das habe ich anfangs noch jeweils alles von Ort zu Ort getragen oder auf dem Fahrrad transportiert. Während der Auftragsarbeiten im Städel Museum konnte ich zum Glück meine Leuchten in einem Raum unterstellen und auch im Goethehaus gab es dafür eine Möglichkeit. Für die unterschiedlichen Formate hatte ich jeweils entsprechende Kameras, das kleinste Format, das ich verwendete, um Gebäude zu fotografieren war 6 x 9, die größeren waren 9 x 12 und 13 x 18.

Und dann zurück ins Labor.

Ursula Edelmann: Genau, um die Schwarz-Weiß-Filme zu entwickeln und Vergrößerungen anzufertigen. Und immer bei Musik. Die Dunkelkammer war mein Rückzugsort, da konnte ich Musik hören und es durfte mich keiner stören.

Gab es einen Komponisten, den Sie besonders gerne gehört haben?

Ursula Edelmann: Na, Mozart natürlich. Und Beethoven. Ich habe ganze Opern durchgehört. Meine Vergrößerungen sind alle mit Musik entstanden. Auch in meiner Lehrzeit bei Max Baur in Potsdam haben wir oft Konzerte besucht, im Neuen Palais im Park Sanssouci.

Ich finde das einen sehr schönen Bezug, denn Ihre Fotos klingen durch die Tiefe beim Betrachten in einer Art und Weise. Sie sind sehr plastisch, die Details sind so fein herausgearbeitet, dass man sie schon fast greifen kann.

Ursula Edelmann: Das freut mich, dass Sie das sagen.

War es Ihnen von Beginn an ein Anliegen, dass die Details präzise sind?

Ursula Edelmann: Es war mir ein Anliegen, die Fotografien so gut wie möglich anzufertigen, jedes Motiv, von der Architektur bis zur Technik. Diese Varianz zu beherrschen, hat mir auch Max Baur beigebracht. Es gab nichts, was er in der Fotografie nicht konnte.

Die Ausbildung war Ihre Basis, aber die Kenntnisse in der Folge haben Sie sich selbst erarbeitet.

Ursula Edelmann: Das stimmt. Max Baur hat als Lehrmeister allerdings das Können geweckt, was in mir vorhanden war. Als selbstständige Fotografin habe ich dann natürlich viel dazugelernt.

Gibt es ein Motiv in Frankfurt am Main, zu dem Sie immer wieder zurückkehren?

Ursula Edelmann: Ja, durchaus. Zum einen das Dominikanerkloster, im Mittelgang der zerstörten Kirche habe ich meinen Mann kennengelernt. Das Gebäude fotografierte ich für das Hochbauamt und mein zukünftiger Mann war damals Student der Kunstgeschichte und hatte den Auftrag bekommen, die kunsthistorisch bedeutsamen Objekte, wie Grabsteine, fotografisch zu dokumentieren. Im Karmeliterkloster konnte ich Skulpturen und Metallplastiken fotografieren und dort 2002 auch zum ersten Mal eine große Auswahl meiner Fotografien ausstellen. In dem Zusammenhang ist ein Bildband entstanden – "Ursula Edelmann Fotografien: Architektur und Kunst in Frankfurt von 1950 bis heute". Damals noch unterstützt vom Inhaber der Adox Fotowerke Dr. C. Schleussner GmbH, da die Aufnahmen auf Adoxfilmen entstanden sind. Das Dominikaner- und das Karmeliterkloster, diese Orte möchte ich in Frankfurt am Main nicht missen.

Rathaus Römer, Treppe vor den Sitzungsräumen des Magistrats, Frankfurt am Main, 1962

Die Stadt Frankfurt am Main hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert, was halten Sie von der aktuellen Architekturentwicklung?

Ursula Edelmann: Einiges finde ich wunderbar, anderes nicht – aber ich war ja nicht dazu da, um über Architektur zu reden, sondern sie zu fotografieren. Gefallen hat mir, dass beim Wiederaufbau ein Anteil der Bausumme für KünstlerInnen offen war, so sind einige Werke an den Bauten entstanden. Ich habe in der Zeit viele Künstlerinnen und Künstler kennengelernt, wie den Metallbildhauer Hans Oskar Wissel, und ihre Arbeiten fotografiert.

Neben der Kunst in Museen und Ateliers haben Sie auch Arbeiten im öffentlichen Raum fotografiert – können Sie mir ein Beispiel geben?

Ursula Edelmann: Am bekanntesten sind sicher die Aufnahmen des "Hammering-Man", eine Skulptur von Jonathan Borofsky, die die Silhouette eines Arbeiters zeigt, der mit einem Hammer gegen ein Werkstück schlägt. Auch die liegende Frauenfigur von Willi Schmidt auf der Fressgass habe ich fotografiert. Einige der Werke existieren leider heute nicht mehr, wie die wunderbaren Wandmalereien von Benno Walldorf.

Sie haben zudem auch viel in Spanien, Frankreich und Italien fotografiert, wie kam es dazu?

Ursula Edelmann: Mein Mann hat für seine kunsthistorische Doktorarbeit über romanische Madonnen und Kruzifixe geforscht, dafür sind wir viel in diese Länder gefahren. Später hat er eine Anstellung bei der damaligen Bundesstelle für Entwicklungshilfe (BfE) angenommen, und dort eine umfangreiche Bibliothek und ein Archiv aufgebaut. Seine kunsthistorischen Recherchen existieren noch, allerdings gab es bisher leider keine Möglichkeit diese vollständig aufzuarbeiten.

Auch die Designfotografie gehört zu Ihrem Portfolio, wie die Aufnahmen von Radioprototypen des Architekten Walter Schwagenscheidt aus der Kronberger Werkstatt für Gestaltung. Die Entwürfe haben damals einige Diskussionen ausgelöst, was war der Grund dafür?

Ursula Edelmann: Die Formen der sechs Entwürfe von Walter Schwagenscheidt, Tassilo Sittmann und Helmut Dornauf waren außergewöhnlich modern, sie hatten Gehäuse entworfen, die futuristisch aussahen, bunt und in abstrakten Formen. Zur Funkausstellung 1953 wurden sie aufgrund dessen nicht zugelassen, sie waren für die Zeit zu radikal. Bald darauf kam dann ein erfolgreicher Entwurf von Braun auf den Markt (Anmerk. d. Redaktion: Die Radio-Plattenspieler-Kombination SK 4, auch "Schneewittchensarg" genannt, Design von Hans Gugelot, Herbert Lindinger und Dieter Rams). Meine Fotos zeigen in dem Sinne auch ein Stück der Entwicklung in dieser Zeit.

Radioprototypen der Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann, 1953

Was würden Sie NachwuchsfotografInnen raten?

Ursula Edelmann: Das richtige Licht und die Befassung mit dem Gegenstand, den man fotografiert, ist die Hauptsache. Das Handwerk ist die Grundlage für eine gute Fotografie.

Gibt es ein aktuelles Werkzeug, analog oder digital, dass Sie mit Blick zurück gerne für Ihre Arbeit zur Verfügung gehabt hätten?

Ursula Edelmann: Nein, ich war mit dem was es gab vollauf zufrieden. Zudem entwickelt man mit der Zeit auch ein Gespür, ich kann heute noch unterscheiden, ob ein Foto digital oder analog aufgenommen wurde.

Haben Sie selbst auch digital fotografiert?

Ursula Edelmann: Ja, mit einer digitalen Leica. Eine der Aufnahmen hängt in der Bauaufsichtsbehörde. Der damalige Leiter der Frankfurter Bauaufsicht, Dr. Michael Kummer, hat viele meiner Arbeiten erworben und mich mit Aufnahmen neuer Bauten beauftragt.

Gibt es ein Motiv, das Sie noch gerne fotografieren würden?

Ursula Edelmann: Nein, ich fotografiere nicht mehr.

Gibt es Arbeiten von damaligen KollegInnen, die Sie sich noch heute gerne anschauen?

Ursula Edelmann: Durchaus, es sind viele. Ich nenne nur die Arbeiten von Barbara Klemm oder von Georg Christian Dörr, mit dem ich 2015 gemeinsam ausstellte.

Ursula Edelmann
Ein Leben für die Fotografie


16. Juni bis 10. Juli 2021

KunstRaum Bernusstraße
Bernusstraße 18
60487 Frankfurt am Main

Donnerstag: 14:30 bis 20 Uhr
Freitag: 14:30 bis 18:30 Uhr
Samstag: 11 bis 14 Uhr

Kuratoren: Rudi Feuser und Stefanie Wetzel, Pangallery, Frankfurt am Main

Ursula Edelmann, Selbstportrait, 1951