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Rotterdam: "Tanz der Brücke"

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"Dynamik ist Licht"

Was passiert, wenn zwei PionierInnen der Lichtbranche zum gemeinsamen Interview eingeladen werden, um über dynamische Beleuchtung im urbanen Raum zu diskutieren? Ulrike Brandi und Prof. Dr. Thomas Römhild im Gespräch.
10.06.2025

Andrea Mende: Frau Brandi, kommen wir gleich zur zentralen Frage: Wie lässt sich dynamisches Licht im urbanen Raum am besten umsetzen, um alle Aspekte mit einbringen zu können? Es gibt viel zu beachten – Energieverbrauch und Nachhaltigkeit, die Erhaltung des Nachthimmels, "Dark Sky", Schutz der Biodiversität, aber auch Sicherheit, Orientierung sowie die Verbesserung der Aufenthaltsqualität von städtischen Bereichen.

Ulrike Brandi: Gerade wenn wir über dynamisches Licht sprechen und tendenziell über Lichtvernetzung, dann hat das diese ganzheitliche Seite – dass Tageslicht dynamisch ist. Als Menschen sind wir durch die Evolution auf den Rhythmus von Tag und Nacht eingestellt. Gleichzeitig sind wir geprägt vom Zug der Wolken, dem Licht- und Schattenspiel der Sonne. Wir haben viele Möglichkeiten, dynamisch mit Licht umzugehen. Es geht nicht darum, dass wir eine starre Kunstlichtsituation planen, sondern eine, die veränderlich ist. Denn das hat direkte Auswirkungen auf unser Wohlbefinden. Wir brauchen die Abwechslung, die wir in der Natur vorfinden.

Thomas Römhild: Das ist ein sehr guter Einstieg. Ich habe mich intensiv mit Wahrnehmungstheorien beschäftigt, wobei immer wieder diese Frage aufgekommen ist: Warum wird Licht je nach Kulturkreis anders bewertet? Unsere Erwartungen an das Licht sind am stärksten durch das Tageslicht geprägt. Das ist auch daran gut erkennbar, warum Lichtformen, etwa gewisse Lichtfarben, präferiert werden. In Skandinavien ist es eher das wärmere Licht, in südlichen Ländern das eher kältere Licht. Das hat sicher mit dem Spektrum des jeweiligen Tageslichts zu tun. Und die Prägung, die wir durch das Tageslicht erleben, ist sehr stark. Diese Dynamik in den urbanen Raum zu übertragen, ist eine schöne Herausforderung. Mit einem weiteren Aspekt der dynamischen Beleuchtung haben wir speziell in dem EU-geförderten Interreg-Projekt "Dynamic Light" gearbeitet. Denn die Art der Beleuchtung ist verbunden mit einer spezifischen Nutzung, die sich auch kulturell entwickelt. Die nutzungsspezifische Dynamik kennen wir vom Innenraum – dort gibt es Szenen, die sich über den Lichtschalter oder eine App auswählen lassen. Ich glaube, dass ein sehr großes Potenzial darin liegt, auch die Außenräume so zu gestalten, dass sie im Laufe des Abends wie in der Nacht verschiedene Nutzungen unterstützen können.

Herr Römhild, das EU-Interreg-Projekt "Dynamic Light" wurde im Zeitraum von 2016 bis 2019 gefördert, mehrere Länder waren involviert, mit der Hochschule Wismar als Partner. Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?

Thomas Römhild: Unser Fokus lag auf der Planung von dynamischem Licht im Außenraum. Dabei haben wir diese Kopplung der Beleuchtung an Nutzungssituationen in ersten Schritten simuliert und auch erforscht, wie sich das technisch umsetzen lässt. Wir haben Planungshinweise gegeben, wie die Situationen erfasst und analysiert werden können, welche Beleuchtung erforderlich ist; wie sich diese in Qualitätskriterien und in Beleuchtungslösungen aufzeigen lassen. Nicht in jedem Fall konnte das gesamte Spektrum abgebildet werden, aber wir haben eine gute Methodik erreicht, mit der wir die Studierenden zu Entwürfen führen können, die nutzungsspezifische Lösungen für den Außenraum beinhalten.

Frau Brandi, Sie erstellen auch Masterplanungen für Städte, wie für Rotterdam oder die Hafencity in Hamburg. Können Sie Beispiele aus Ihrer Praxis geben?

Ulrike Brandi: Masterplanungen sind sehr umfangreich und werden über eine lange Zeit realisiert. 2014 hatten wir die Masterplanung in Rotterdam beschlossen, das Projekt soll aber bis 2030 im Rahmen einer "Urban Vision" umgesetzt werden. Das betrifft neben dem Licht auch Baumbestände oder Stadtmobiliar. Nicht nur das Licht sollte daher dynamisch sein, sondern auch die Masterplanungen – und durch beruflich vielfältig aufgestellte Gremien über den Zeitraum hinweg begleitet werden. Während des Prozesses erleben wir parallel eine enorme technische Entwicklung. In den Niederlanden wird das bedarfsgerechte Licht bereits stark genutzt, speziell auf Fernfahrradwegen. Es ist dort üblich, dass Menschen täglich um die 30 Kilometer mit dem Rad pendeln. Das funktioniert, weil es sehr schnelle Fahrradrouten gibt. Dort muss nicht durchgehend eine Norm erfüllt werden, sondern die Situation wird dem Bedarf angepasst. Die Ausgangslage ist gedimmt und das Licht wird wie eine Bugwelle vor den RadfahrerInnen eingeschaltet. Wenn mehrere Personen auf der Strecke unterwegs sind, ist es länger aktiviert. Solche Lösungen finde ich faszinierend. Wir haben darüber gesprochen, was Menschen an Lichtdynamik benötigen – ohne unsere Umwelt können wir aber nicht existieren. Dynamik ist Licht. Unser Wohlbefinden wie unsere Gesundheit und die der Umwelt hängt im Wesentlichen davon ab, wie sparsam wir mit Licht umgehen.

Herr Römhild, wie schätzen Sie das ein?

Thomas Römhild: Eine ganz wesentliche Frage, die immer wieder aufkommt, wenn man Masterpläne erstellt, ist: Wie lässt sich Beleuchtung so gestalten, dass die Schönheit des Nachthimmels erhalten und der Tag-Nacht-Rhythmus möglichst wenig gestört wird? Wir arbeiten an der Hochschule Wismar mit dem französischen Lichtplaner Roger Narboni zusammen, er ergänzt die Licht-Masterpläne um Dunkel-Masterpläne. Es ist interessant zu sehen, welche Bereiche können, sollten oder müssen dunkel bleiben, um eine andere Spezies zu schützen oder auch dem Menschen das Erlebnis der Dunkelheit zu ermöglichen. Es geht darum, Licht und Dunkelheit abzugrenzen. Ich glaube, da hilft die dynamische Beleuchtung sehr stark. Wir haben in unseren Projekten festgestellt: Um eine Zugänglichkeit von öffentlichen Räumen zu ermöglichen, muss ein Angebot von Beleuchtung gegeben sein. Da gibt es eine ganze Reihe interessanter Forschungen, wie dieses Angebot aussehen müsste, um den Eindruck zu gewinnen, man befinde sich in einer permanent beleuchteten, sicheren Situation. Das ist also nicht adaptive Beleuchtung, sondern eine eher proaktive Beleuchtung. In unserem EU-Interreg-Projekt "Dynamic Light" haben wir versucht das herauszustellen – dass es diese beiden Sichtweisen gibt. Ein proaktives Licht, was sich anbietet und bestimmte Nutzungen zulässt und ein adaptives Licht, das auf bestimmte Nutzungen reagiert und sich entsprechend anpasst.

Frau Brandi, wie sehen Sie das?

Ulrike Brandi: Ich arbeite genau an diesem Punkt: Wir müssen einerseits Lichtverschmutzung vermeiden und auf der anderen Seite Sicherheit schaffen. Für die Hafencity in Hamburg haben wir zum Beispiel im östlichen Teil die Leuchten bei den Sportangeboten mit Buzzern ausgestattet, die aktiviert werden können. Nach einer halben Stunde geht die Beleuchtung automatisch aus und kann durch das erneute Betätigen des Buzzers wieder eingeschaltet werden.

HafenCity, Hamburg

Wäre das in Ihrer Begrifflichkeit proaktiv, oder eher bedarfsabhängig?

Thomas Römhild: Das wäre im ersten Sinne bedarfsabhängig, weil es nur ein Sensor ist, den man betätigen muss. Aber es hätte insofern den Vorteil, dass man weiß, wie man zu dem Licht kommt. Dann folgt der Punkt, wie dieses Angebot erstellt wird. Das wäre wiederum proaktiv. Man entwickelt das Angebot und kann es durch die Nutzung entsprechend anpassen. Es gab auch im Projekt "Dynamic Light" Diskussionen wie Tests, ob man bei einem Radweg das Licht ganz ausschaltet oder eine gewisse Grundhelligkeit benötigt wird, die signalisiert, dass dieser Weg beleuchtet ist. Unser Ergebnis war, dass man nicht den gesamten Radfahrweg erkennen muss, aber der Bereich, in dem man sich aufhält und den man in absehbarer Zeit erreichen wird, hell sein sollte. Das Licht sollte vor einem "herlaufen", in einem ausreichenden Abstand. In Schweden wurde das bereits an Autobahnen ausprobiert. Im Laufe der Entwicklung von KI werden wir wohl zu Steuerungen kommen, die gerade diesen proaktiven Charakter stärker berücksichtigen können, weil sie in der Lage sein werden, viel mehr Einflussfaktoren zu verarbeiten. Wir hatten im Interreg-Projekt eine Idee beschrieben, Licht mit Busfahrplänen zu kombinieren oder mit Schulferienterminen. Das und noch viel mehr ließe sich alles aus Masterplänen heraus entwickeln. Diese Dinge brauchen aber sicher noch eine Weile, bis sie in den Städten ankommen.

Frau Brandi, können Sie uns in diesem Zusammenhang von Ihrem EU-Interreg-Projekt "Darker Sky" berichten?

Ulrike Brandi: Tatsächlich brauchen wir keine absoluten Lichtwerte, sondern diese stehen immer in Abhängigkeit zum Umgebungslicht, das betonen wir LichtplanerInnen immer wieder. Ein weiteres spannendes Thema ist die Partizipation. Als wir damals das Projekt in Rotterdam planten, war das noch kaum im Gespräch. Heute gibt es viele geförderte Beispiele, die auf Partizipation bauen, sodass die NutzerInnen mit ihrem Wissen einbezogen werden, wenn es etwa um Stadtteile geht. In dem Zuge werden auch das Wissen und Verständnis für Licht vorangebracht. In dem EU Interreg-Projekt "Darker Sky" haben wir zum Beispiel zu einem Nachtspaziergang im Wald im Westen von Hamburg eingeladen, wo die Lichtverschmutzung geringer ist als in der Innenstadt. Ohne künstliches Licht dauerte es eine Weile, bis sich unsere Augen wieder langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich bringe das gern mit ein, um zu zeigen, dass wir diese Momente brauchen, die positiv auf unsere Psyche wirken und dass es auch um Ästhetik und Schönheit geht. Das kann ein dunkler Wald sein, wo nur Baumsilhouetten zu erkennen sind und man wieder mehr Sterne sehen kann. Wo man den eigenen Schatten beobachten kann, der durch das Mondlicht entstanden ist. Diese Sensibilisierung ist wichtig und auch der Austausch darüber. Das betrifft nicht nur die NutzerInnen, sondern auch die genehmigenden Behörden. Alle, die mit dem Thema zu tun haben, müssten mit einbezogen sein. Dann würden auch solche Anlagen, die Herr Prof. Römhild gerade beschrieben hat, genauer geplant und verstanden werden.

Thomas Römhild: Das kann ich nur unterstreichen. Wir müssen wieder lernen, den eigenen Augen zu vertrauen. Es geht darum, das Licht angemessen zu den Situationen zu schaffen. Zum Gefühl der Sicherheit gehört beides dazu – dass man gesehen wird und sehen kann. Das ist keine Frage der Beleuchtungsstärke, sondern vielmehr, wie Sichtbeziehungen ermöglicht werden. Ebenso geht es darum, wie sich der abendliche Raum vom Tag unterscheidet.

"Darker Sky Lightwalk"

Was ist in diesem Kontext Ihre Erfahrung als Lichtplanerin, Frau Brandi?

Ulrike Brandi: Damit bin ich bei meinen Planungen häufig konfrontiert. Standards müssen eingehalten werden, aber eine zarte, sanfte Beleuchtung einer Fassade wird oft als Luxus verstanden. Dabei ist der Aspekt des Sicherheitsgefühls bei der Orientierung zentral. Statt alles berechnen und bewerten zu wollen, sollten wir uns vielmehr fragen: Wie fühlen sich Menschen wohl? Wenn sie eine schöne Fassade sehen oder bemerken, da geht es zum Rathaus, da ist der Eingang zur Kirche – auf diese Weise wird die Stadt vertraut.

Herr Römhild, können Sie uns ein Beispiel nennen?

Thomas Römhild: Ich hatte jetzt das Glück, dass ich einen Park im Zentrum einer Stadt beleuchten konnte. Die Ausgangssituation war dunkel, die Leute empfanden es als sehr unangenehm, dort durchzugehen. Der Park war eigentlich beleuchtet, aber die Wahrnehmung war eine andere. Ich wollte keine weiteren Leuchten in den Park stellen, stattdessen boten sich zwei Pavillons auf dem Gelände an. An diese habe ich dekorative Leuchten angebracht und sie von außen noch etwas beleuchtet, das wurde in die Straßenbeleuchtung integriert. Ansonsten wurden nur Leuchten am Rand des Parks aufgestellt. Das Ergebnis ist, dass der Park beleuchtet wahrgenommen wird, es gibt einen Übergang von den beleuchteten Straßen durch die Leuchten am Eingang, die den Augen die Adaption ermöglichen. Die optischen Ziele sind die Pavillons. Die BewohnerInnen erleben diesen jetzt besser ausgeleuchtet als vorher.

Viele Faktoren sind bei einer Lichtplanung im urbanen Raum zu beachten: Es geht um die Finanzierung, um die Nutzung eventueller Förderprogramme et cetera. Neben der
Anforderung an Funktionalität und dem Wunsch nach Ästhetik existieren noch Normen, die es einzuhalten gilt. Wie verhielt sich das mit den Pavillons im Park?

Thomas Römhild: Der Park gehört nicht zu den zwangsweise beleuchteten Flächen, sodass die Normung relativ offen war und ich nicht jeden Weg in diesem Park beleuchten musste. Wir haben uns dann reduziert auf die Hauptverbindung und Bänke fokussiert, um die geforderte Beleuchtung zu garantieren. Das Erleben des Parks war davon unabhängig.

Projekt Thomas Römhild: Beleuchtung der Parkanlage "Kamp" in Bad Doberan

Frau Brandi, wie sehr beeinflussen Sie solche Regularien bei Ihrer Arbeit?

Ulrike Brandi: Im städtischen Bereich gibt es viele derartige Vorgaben, gerade wenn es Verkehrswege betrifft, die zwangsweise genutzt werden. Da müssen wir bestimmte Beleuchtungsstärken erreichen. Leider kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Mit LEDs stehen in der Regel viel stärkere Lichtquellen zur Verfügung, doch oft werden die alten Mastabstände weiter eingehalten. So erleuchten wir unsere Städte immer mehr, weil es eben günstiger ist, alte Maststandorte beizubehalten und dort ein neues Leuchtmittel einzusetzen. Besser wäre zwischen diesen Abständen eine stärkere Gleichmäßigkeit zu erzeugen und direkt im Bereich der Masten auch niedrigere Beleuchtungsstärken beizubehalten – und nicht weit über die Norm hinausschießen, wie es stellenweise noch passiert.

Thomas Römhild: Da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Brandi. Um die Vorteile der LED zu nutzen, werden andere Leuchtenabstände benötigt. Wir brauchen im Grunde eine andere Beleuchtungsanlage und andere Ideen, auch für das dynamische Licht. Das ist, glaube ich, auch ein Hauptgrund, warum diese Dinge sehr zögerlich angegangen werden.

Frau Brandi, ich möchte noch einmal zurückkommen auf den Licht-Buzzer, den Sie am Sportplatz in Hamburg eingesetzt haben. Wie kam es zu dieser schlichten, aber sehr effektiven Lösung?

Ulrike Brandi: Die ist gemeinsam mit dem LandschaftsarchitektInnen entstanden. Es ist eine Besonderheit, eine kleine Möglichkeit, mit der man zeigen kann – so etwas funktioniert, spart Energie und kostet nicht viel mehr Geld.

Welche Maßnahmen wären für Kommunen in Bezug auf dynamisches Licht als Einstieg gut umsetzbar?

Ulrike Brandi: Wir planen aktuell ein Projekt in Bremen, das zeigt, dass dynamisches Licht auch in kleinerem Umfang eingesetzt werden kann. Unser Vorschlag bezieht sich auf die Bildung einer Lichtung, mitten auf einem großen Platz. Dort soll das Licht mal heller, mal dunkler werden, womit wir auf die Natursituation zurückgreifen. Es soll ein anheimelnder Ort mit sozialem Charakter entstehen. Zu Hause haben wir tendenziell die multifunktionalsten Räume und aus der Nutzung des nnenbereichs wie mit Blick auf neue Technologien und gesellschaftliche Veränderungen können wir viel lernen, um anders mit unserem Lebensraum umzugehen.

Thomas Römhild: Das war eine schöne Zusammenfassung, wo es in der Lichtplanung generell, aber speziell im öffentlichen Raum hingehen sollte: dass man diesen Raum auch als Lebensraum begreift. In der Stadtplanung wird bereits einige Zeit versucht, städtische Räume so zu gestalten, dass sie Begegnungen und eine gemeinsame Nutzung ermöglichen. Das lässt sich mit einer guten Beleuchtung deutlich verbessern. Genau wie Sie es beschrieben haben, Frau Brandi, kann die Orientierung innerhalb des Ortes gestärkt werden. Wir können auch ein gewisses Identitätsgefühl, einen Stolz auf die Stadt dadurch erzeugen – nicht, dass man sie in ein Scheinwerferlicht taucht, sondern dass man mit dem Licht durch die Bereiche, durch die Stadt führt und so ein gemeinsames Erleben und auch ein gemeinsames Erinnern schafft. Der Stadtraum kann das Gemeinschaftsgefühl der Gesellschaft stärken.

Trident Park & The Brewhouse, Malta