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Alpine Grandezza

In Andermatt entsteht im Rahmen des von Unternehmer Samih Sawiris initiierten Projekts auf einem ehemaligen Militärgelände ein modernes "Dorf im Dorf". Teil dessen ist "Mira", ein Apartmenthaus mit 18 Maisonette-Wohnungen, das bis 2023 von Ilg Santer Architekten und atelier 522 fertiggestellt werden soll.
von Linda Pezzei | 13.06.2022

Als der ägyptische Investor Samih Sawiris 2005 auf Einladung der Urner Regierung als Berater in den Schweizer Alpenort Andermatt kam, fand er ein krisengeplagtes Bergdorf vor. Schnell war klar: nach dem Teilabzug des Militärs fehlte es zwar an Arbeit sowie an zeitgemäßen touristischen Angeboten, nicht aber an Potenzial. "Think big" lautete daher die Devise Sawiris für das landschaftlich eindrucksvolle Urserental im Kanton Uri. Seine Idee von sechs neuen Hotels, 42 Apartmenthäusern, einem großen Golfplatz sowie der Modernisierung des Skigebiets fand bei der Bevölkerung große Zustimmung und so rückten 2009 die ersten Baumaschinen an. Im Dezember 2013 konnte mit The Chedi Andermatt das erste Hotel eröffnen.

Der neu geschaffene Ortsteil Andermatt Reuss blüht seitdem kontinuierlich auf: Um einen eigenen Dorfplatz gruppieren sich bereits eine attraktive Konzerthalle, 15 fertiggestellte und bezogene Apartmenthäuser und vier weitere, derzeit im Bau befindliche – eines davon ist "Mira" von Ilg Santer Architekten und atelier 522. Den Wettbewerb für das Apartmenthaus in dem neuen Tourismus Resort hatten Ilg Santer Architekten mit Sitz in Zürich dank eines unkonventionellen Entwurfs, der auf einem sechseckigen Grundriss beruht, für sich entscheiden können. Die Gestaltung der Fassade ist von Sgraffito inspiriert, einer historischen Putztechnik, die ab der Renaissance mittels Ritz- oder Kratztechniken zur Gestaltung eingesetzt wurde. In Anlehnung an die "Grandezza" vereint "Mira" typisch schweizerische und klassisch italienische Elemente auf virtuose Weise. Kein Wunder, dass die 18 Mezzanin-Wohnungen mit 2,5 und 3,5 Zimmern sowie das repräsentative Penthouse im obersten Stockwerk bereits innerhalb der ersten Woche verkauft waren: die neuen BewohnerInnen dürfen sich auf jede Menge Komfort und ein Design freuen, bei dem vom Löffel bis zum Lichtschalter jedes Detail durchdacht ist. Die einzige dem Kreativteam von atelier 522 auferlegte "Beschränkung" bestand in einer Architektur ohne rechte Winkel, was die InnenarchitektInnen als spannende Herausforderung annahmen, um völlig losgelöst von bekannten Mustern zu denken.

So verlangt das Raumkonzept seinen NutzerInnen durchaus einen künstlerischen Lebensansatz ab. Alles ist offen, fließt ineinander, bietet ungewohnte Perspektiven. Die hochwertigen und natürlichen Materialien wie Terrazzo, Lehmputz, Stein und Holz verleihen den Wohnungen ein gemütliches und elegantes Ambiente. Dazu kommen Gemeinschaftsbereiche wie ein Spa mit Sauna und Ruheinseln, ein Fitnessraum, ein Skikeller, eigene Abstellflächen und eine Tiefgarage, die von allen BewohnerInnen genutzt werden kann. Der Info-Point im Zentrum der neuen Siedlung dient zudem als Anlaufstelle für alle Apartmenthäuser in diesem sehr dichten Konglomerat. Die Apartments im MIRA funktionieren für sich analog zum "Dorf im Dorf" nach dem Prinzip "Haus im Haus", sodass die BewohnerInnen individuelle Rückzugsorte vorfinden, aber jederzeit mit den Nachbarn in Kontakt treten können. Zu dem Aspekt der Exklusivität gehört auch, dass die Wohnungen mit dem gesamten Inventar verkauft wurden. Neben ausgesuchten Kunstobjekten definieren so bekannte Möbelklassiker in extrovertierter Ausführung den Look der Wohneinheiten.

Drei Fragen an Ilg Santer Architekten

Linda Pezzei: Wie kam es zu diesem Projekt?

Ilg Santer Architekten: 2008 hatte Andermatt Swiss Alps einen interessanten Wettbewerb ausgeschrieben. Im Masterplan, der auf einem städtebaulichen Entwurf der Büros Miller Maranta, Miroslav Sik und Fickert Knapkiewicz basiert, konnte ein Standort, und damit ein grobes Gebäudevolumen, ausgewählt und dafür eine Typologie entwickelt werden. Die Jury fügte die passendsten Typologien und Entwürfe der GewinnerInnen des Wettbewerbs in einer mit Workshops begleiteten Vorprojektphase zu einem Ganzen zusammen. Das war für alle eine äußerst spannende Erfahrung. Unser Vorschlag war zum Glück bereits nach dem Wettbewerb gesetzt.

Warum haben Sie eine so spezielle Formensprache gewählt?

Ilg Santer Architekten: Andermatt befindet sich an der Schnittstelle zwischen nord- und südalpinen baulichen Einflüssen. Holz ist im Urserental aufgrund der Nähe zur Baumgrenze seit jeher knapp. Daher hat die Gegend die größte Dichte an Steinbauten im Kanton Uri vorzuweisen und ist geprägt vom baulichen Erbe zugewanderter Baumeister, wie etwa der bekannten Barockbaumeisterdynastie Schmid aus dem Val Sesia im Piemont. Im Kontrast zu den typologisch sehr homogenen ruralen Holzbauten findet man im Kanton Uri eine breite Palette an Massivbauten – von wehrhaften Türmen und Festungsarchitektur über Patrizierhäuser bis zu repräsentativen Tourismusbauten der Jahrhundertwende. Uns hat es sehr gereizt, aus diesen Einflüssen eine zeitgemäße, aber sehr spezifische, alpine Architektursprache für diesen Ort zu entwickeln – fernab des international gefärbten alpinen Schick. Aufgrund der baulichen Position haben die Erkertürme geholfen, interessante Perspektiven und charakteristische Blickpunkte zu schaffen.

Was zeichnet das "Mira" mit Sicht auf das Gesamtkonzept und die Nachbarbebauung aus?

Ilg Santer Architekten: Im Westen des Neubauquartiers Andermatt Reuss schafft das Haus "Mira" im Stile eines Patrizierhauses eine identitätsstiftende Fassade zum vorgelagerten Platz. Dadurch erfüllt es eine ähnliche Funktion wie die Häuser Enzian und Edelweiß am Hauptplatz. Die moderne Interpretation einer Sgraffitofassade verleiht dem Haus auf der Fußgängerebene ein kunsthandwerkliches und haptisch geprägtes Erscheinungsbild. Die schneeflockenartigen Grundrisse erlauben im dichten Gefüge der umgebenden Häuser mit den zweigeschossigen, gewinkelten Wohnräumen vielfältige Aus- und Durchblicke.