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Leicht und schwer

Die Villa Weidendall in Luxemburg von Rodolphe Mertens Architects zieht ihre Inspiration aus der industriellen Vergangenheit des Landes und changiert zwischen filigraner Leichtigkeit und skulpturaler Schwere.
von Alexander Russ | 19.08.2020

Luxemburg, das ist das Steuerparadies zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien. Zumindest fällt das vielen als Erstes ein, wenn sie an das kleine Land denken. Allerdings kann man dort nicht nur Geld sparen, sondern auch gelungene Architektur besichtigen. Zum Beispiel die Philharmonie von Christian de Portzamparc oder die gerade fertig gestellte Nationalbibliothek von Bolles+Wilson. Imposante Bauten gibt es zudem nicht nur im repräsentativen Bereich: Das Großherzogtum hat einige Industriedenkmäler vorzuweisen, die auf den Abbau von Eisenerz zurückgehen. Obwohl viele Minen schließen mussten, sind einige der dazugehörigen Stahlwerke immer noch in Betrieb oder wurden in beeindruckende Museen umgewandelt, wie die Hochöfen in Belval. Referenzen an das architektonische Erbe des Bergbaus finden sich auch in der Villa Weidendall. Dort wünschten sich die Bauherren ein Haus im Stil der klassischen Moderne mit einer ungeschliffenen Industrieästhetik, die an die Geschichte der Stahlerzeugung erinnern sollte. Um das zu erreichen, entwarfen Rodolphe Mertens Architects ein Gebäude, das sich der Gegensätze bedient: Die großzügig verglaste Fassade holt die Natur einerseits in die Villa hinein und verleiht den Innenräumen eine luftige Offenheit. Andererseits sorgen die grob geschalten Sichtbetonwände und Decken, die das Volumen als gefaltetes Band umschließen, für eine gewisse Erdung.

"Die Bauherren wollten einen Ort schaffen, der Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Deshalb entwarfen wir eine Betonschale als schützende Hülle, die das Gebäude ummantelt", sagt Rodolphe Mertens über das räumliche Konzept. Die dreigeschossige und 970 Quadratmeter große Villa sitzt auf einem von Buchen und Kiefernbäumen umschlossenen Grundstück am Ende einer Sackgasse. Für den Neubau musste ein Bestandsbau weichen, der laut Architekt keinerlei Verbindung zur Umgebung und Topografie hatte. Das wollte er mit dem neuen Haus ändern und richtete es deshalb nach dem Sonnenverlauf aus: Die Fassade öffnet sich nach Süden, Westen und Osten zum Garten. Nach Norden und zur Straße gibt sie sich geschlossen. Um das große Volumen besser in das Grundstück zu integrieren, modellierte Mertens das Gelände entsprechend. Das Kellergeschoss mit Swimming Pool sitzt nun halb eingegraben als Sockel im Hang, die beiden anderen Geschosse als L-förmige Volumen etwas zurückversetzt darüber.

Im Erdgeschoss sind Wohn- und Esszimmer mit einer offenen Küche auf unterschiedlichen Ebenen angeordnet und über Treppenstufen miteinander verbunden. Beim abgesenkten Wohnbereich entschieden sich die Bauherren für das modulare Sofa Extra Wall von Living Divani, das passgenau eingefügt ist. Darüber ordnete der Architekt die Akustikelemente Soft Cells von Kvadrat an, um die harten Oberflächen der Betondecken zu dämpfen. Die gleichmäßige Ausleuchtung wird durch die Deckenleuchte Spock von Modular Lighting Instruments gewährleistet.

Im ersten Obergeschoss befinden sich vier Schlafzimmer, die als Raumspange an einen durchlaufenden Balkon andocken. Die Haupttreppe verzahnt sich über zwei Lufträume mit dem Erdgeschoss. Sie erhält Tageslicht über einen Patio, der dank der beiden Lufträume auch den zweigeschossigen Eingangsbereich belichtet. Um die Vertikalität zusätzlich zu betonen, kam die Lampenkollektion 14 von Bocci zum Einsatz, die das Treppenauge ausleuchtet. Der daran angrenzende Arbeitsbereich ist mit den Tulip Chairs und dem Saarinen Table von Knoll möbliert. Den notwendigen Stauraum stellt das Möbelsystem USM Haller bereit. Der deutlichste Bezug zum industriellen Erbe findet sich in den maßgefertigten Einbauten, die sich als Regal, Treppengeländer oder Raumteiler durch das Erdgeschoss und erste Obergeschoss ziehen. Die filigranen und zugleich rohen Stahlmöbel binden die einzelnen Bereiche gestalterisch zusammen. Sie lassen aber trotzdem genügend Luft, um das offene Raumkontinuum nicht zu stören. Zusammen mit den Betonwänden und Decken verknüpfen sie die Villa nicht nur mit ihrem Ort, sondern auch mit einem Stück Geschichte.