top
Hans Hansen (*1940) O.T., 2024 Foto: Hans Hansen, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Stuhl: Vico Magistretti (1920–2006) Stackable chair "Selene", 1969

Ins Bild gesetzt

Worauf beruht unsere Wahrnehmung von Design? Wie werden Objekte inszeniert? Dies ist Thema der Ausstellung "Hello Image – Die Inszenierung der Dinge" im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg. Das Konzept erklären uns die Kuratorinnen der Ausstellung Esther Ruelfs und Viktoria Lea Heinrich im Interview.
23.05.2025

Thomas Edelmann: Die Ausstellung, die Sie kuratiert haben, rückt neben Designobjekten deren Inszenierung durch Fotografie, Film und Werbung ins Zentrum. Was erwartet die BesucherInnen?

Esther Ruelfs: Die Ausstellung bringt Fotografie, Grafik-, Produktdesign und Mode zusammen. Sie fragt: Wie wurden Designobjekte zur Zeit ihrer Entstehung inszeniert? Was geschieht, um ein Bild dieser Objekte zu schaffen? Mein Zugang ist die Fotografie. Am Anfang der Recherche hatte ich erwartet, dass wir neben Dieter Rams’ Sessel für Vitsoe auch die zugehörigen Werbegrafiken von Wolfgang Schmidt oder Fotos von Ingeborg Kracht-Rams in unserer Sammlung finden würden. Schnell wurde klar, dass oft nicht medienübergreifend gesammelt wurde – wir benötigten viele Leihgaben.

Üblicherweise werden Artefakte nach Medium getrennt gesammelt, schon weil die verwendeten Materialien sich bei Möbel, Plakat und Fotografie unterscheiden. Wie haben Sie diese Logik durchbrochen?

Viktoria Lea Heinrich: Uns geht es darum, Designgeschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen. Etwa bei der "Valentine"-Schreibmaschine von Ettore Sottsass und Perry A. King für die Firma Olivetti: Wir zeigen nicht nur das Objekt, sondern auch seine ikonische Inszenierung und die Entstehung des Erscheinungsbildes des Unternehmens. So entsteht eine Objektbiografie, die Disziplinen wie Werbung, Fotografie und Grafik einbezieht – ein neues Narrativ.

Untersucht Ihre Ausstellung Kooperation als zentrales Prinzip?

Esther Ruelfs: Genau. Anfänglich wollten wir wenige Beispiele vertiefen. Doch viele SammlungsleiterInnen wirkten mit eigenem Input mit – so wurden es am Ende 400 Exponate. Mit Viktoria Lea Heinrich haben wir 18 Fallstudien zu acht thematischen Kapiteln verdichtet.

Viktoria Lea Heinrich: Bei Firmen wie Pelikan oder Erco war AutorInnenschaft zentral. Die Unternehmen luden bewusst bekannte FotografInnen und GrafikerInnen ein, um das jeweilige Erscheinungsbild zu gestalten. Wir zeigen, wer welche Inhalte oder gestalterischen Merkmale beigetragen hat.

Esther Ruelfs: Uns geht es darum, Designgeschichten umfassend darzustellen.

Viktoria Lea Heinrich: Mal steht das Erscheinungsbild eines Unternehmens im Fokus, mal die Rolle der Fotografie für die Inszenierung, mal die Einbindung künstlerischer und handwerklicher Strategien.

Das Schlusskapitel heißt "Neue Werkzeuge". Worum geht es?

Viktoria Lea Heinrich: Wir zeigen, wie Social Media und digitale Tools die Objektinszenierung beeinflussen. Etwa ein Clip von Ian Padgham für das Modelabel Jacquemus: Überdimensionale Handtaschen fahren scheinbar durch Paris – tatsächlich ist es ein 3D-Video, das auf der Plattform Instagram viral ging. Mit Konstantin Grcic sprach ich für den Katalog über die Re-Inszenierung seiner Leuchte "Mayday". Heute inszeniert die Community sie auf Instagram – wie auf dem Account made_my_mayday der Journalistin Jasmin Jouhar mit über 500 Beispielen. Auch die Modemarke Telfar nutzt die sozialen Medien zum Austausch mit der eigenen Community: KäuferInnen laden eigene Videos hoch, die auf der Website und im New Yorker Shop des Labels erscheinen.

Die Fotografie verdrängte ab Mitte der 1920er-Jahren die Gebrauchsgrafik. Was passierte damals?

Esther Ruelfs: Am Beispiel von Kaffee Hag zeigen wir diesen Wandel. Großformatige Plakate dominierten im Stadtraum, geprägt durch die Architekten Runge & Scotland, die das Markenbild schufen. Doch mit dem Aufstieg der Zeitschriften übernahm die Fotografie in den Anzeigen. Gezeigt wurde nun der Versuch einen Faden einzufädeln in Nahaufnahme, wofür eine ruhige Hand nötig ist. Nicht mehr das Produkt, sondern der wissenschaftlich-medizinische Diskurs, den man drumherum spinnt, wird ins Bild gerückt. In den 1920er-Jahren wird zum Thema, wie der nervöse Großstadt-Mensch durch koffeinfreien Kaffee wieder zur Ruhe kommt. Das Versprechen ist eine gesündere Lebensweise.

Die 1920er Jahre sind Anlass vieler aktueller Designausstellungen. Das, was wir retrospektiv Design nennen, kam vor 100 Jahren auf und ist nun in die Jahre gekommen. In der Gegenwart gibt es Strategien, die NutzerInnen stärker an der Gestaltung zu beteiligen. Geht darüber die Professionalität von Gestaltung, die zur Genese der Moderne gehört, ein Stück weit verloren?

Viktoria Lea Heinrich: Ich sehe sowohl Ähnlichkeiten wie Veränderungen. Im Kapitel "Eine neue Form finden" zeigen wir, wie sich neue Materialien auf Form und Darstellung auswirken – von Wilhelm Wagenfeld und Marianne Brandt am Bauhaus der 1920er Jahre bis heute. Parallel etablieren FotografInnen und GrafikerInnen veränderte Methoden der Darstellung. Produktinnovation und Bildsprache sind eng verknüpft. Auch deshalb stellen wir dem Objekt die Bildebene an die Seite.

Esther Ruelfs: Zeitgenössisch arbeitet Telfar etwa mit Aufnahmen von AmateurInnen, doch die Rahmung dieser Bilder auf der Website oder die Erfundung des Formats des Telfar TV bleibt hochprofessionell.

Ein Beispiel ist JW Andersons Modemarke, die während der Pandemie Mode mit Keramiken von Magdalene Odundo verband.

Esther Ruelfs: Wir besaßen bereits Objekte von Odundo sowie ein Kleid von Anderson. Juergen Teller fotografierte während der Pandemie Werke Odundos und von Shawanda Corbett, die ebenfalls Keramikerin sowie Performerin ist. Die Fotos entstanden in den Studios der KünstlerInnen – eine neue Bedeutung entstand durch diese Zusammenführung.

Ettore Sottass (1917–2007) Perry A. King (*1938) Typewriter “Valentine” for Olivetti, 1969 Plastic, metal H. 10,5 cm, w. 34 cm, d. 33 cm Collection Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) Table lamp (glass version MT 9/ME 1), 1925 (draft from 1923–24) Glass, steel, metal, nickel-plated H. 37,5 cm, dia. 17 cm Collection Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg Wilhelm Wagenfeld Foundation
Charles and Ray Eames, Eames Office Chair “DCM”, 1945 Steel, wood H. 74,5 cm, w. 49 cm, d. 51 cm Collection Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Dieter Rams (b. 1932) Armchair from the “620” programme, 1962 Shell: hot-pressed shield-molding compound made of polyurethane lacquer, cover: linen H. 65.5 cm, w. 89 cm, d. 75 cm Collection Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

1982 wurde das MK&G mit der Ausstellung "Möbel perdu" zum Impulsgeber der Designszene, inszeniert von den ArchitektInnen Claudia Schneider-Esleben, Michel Feith und Rouli Lecatsa. In Hamburg gründeten die drei anschließend eine Produzentengalerie. Wäre ein solcher Impuls heute noch denkbar?

Viktoria Lea Heinrich: Heute können Museen gezielt junge Kreative fördern – etwa über Residencies. Das schafft Möglichkeiten und neue Zugänge zu Sammlungen. Ich sehe das Museum heute noch immer als Möglichkeitsraum, von dem aus Neues starten kann.

Esther Ruelfs: Früher hatten Museen und Medien mehr Gewicht. Heute gibt es viele Öffentlichkeiten – durch Plattformen, Blogs oder Social Media.

Viktoria Lea Heinrich: Ich sehe das Museum heute als Möglichkeitsraum, von dem aus Neues starten kann.

Klaus Wille (*1932) Hans Roericht, fotografiert vor den Prototypen des Stapelgeschirrs TC 100 (Detail), 1960 Vliestapete HfG-Archiv Museum Ulm

Frau Heinrich, Sie forschen über Hans (Nick) Roericht. Was ist wichtig an seinem Stapelgeschirr vom Ende der 1950er Jahre?

Viktoria Lea Heinrich: Es wirkt vertraut, als stamme es aus der Mensa. Doch es steht für die Suche nach neuen Formen: robust, schlicht, stapelbar. Ähnliche Entwürfe gab es in der DDR, etwa das "Rationell"-Geschirr von Jahny und Müller. Beide Designs wurden ähnlich fotografiert – nüchtern, fast skulptural. In der Vitrine zeigen wir sie nebeneinander – Unterschiede erkennt man erst beim genauen Hinsehen.

Was hat Sie bei der Recherche überrascht?

Esther Ruelfs: Wie sehr wir von dem abhängig sind, was andere aufbewahrt haben. Viele Informationen waren nicht mehr auffindbar.

Viktoria Lea Heinrich: Mich erstaunte, wie wenig Archive deutscher Unternehmen aufgearbeitet sind und welche Möglichkeiten diese für designhistorische Forschung bieten. So entdeckte ich zum Beispiel zufällig Wilhelm Wagenfelds Gipsmodelle seines gläsernen Tintenfläschen im Archiv von Pelikan.

Die Ausstellung rückt Werbefotografie ins Zentrum. Wird deren Bedeutung oft unterschätzt?

Viktoria Lea Heinrich: Inszenierung geschieht durch Bilder – sei es auf Plakaten oder Instagram. Die Mittel ändern sich, die Wirkung bleibt.

Esther Ruelfs: Die Bedeutung eines Fotos sehe ich nicht als gemindert, weil es im Auftrag entstand. Albert Renger-Patzsch fotografierte für Jenaer Glas. Eine Aufnahme davon, die wir zeigen, wählte er selbst für sein Fotobuch "Die Welt ist schön" – in den Zwanziger Jahren hatte man keinen Zweifel, dass die Bilder gleichwertig sind. Daran können wir uns als Museum immer noch orientieren und sollten den Blick entsprechend weiten.

Dr. Esther Ruelfs ist Leiterin und Kuratorin der Sammlung Fotografie und Neue Medien des Museums für Kunst & Gewerbe Hamburg.

Viktoria Lea Heinrich ist Designhistorikerin und Kuratorin und Promovierende am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin.


"Hello Image – Die Inszenierung der Dinge/The Staging of Things"
Bis 12. April 2026

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steintorplatz
20099 Hamburg

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr
Donnerstag an Feiertagen 10 – 18 Uhr

Hello Image. Die Inszenierung der Dinge