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NACHRUF
Von Dämmerung bis Mitternacht

Neues ausprobieren – und wenn man scheitert, einen neuen Anlauf nehmen. Das war das Erfolgsrezept von Arper-Gründer Luigi Feltrin. Vor kurzem ist er gestorben. Von seiner rastlosen Gelassenheit können wir lernen.
von Thomas Edelmann | 14.04.2020

Am 5. April starb Luigi Feltrin im Alter von 85 Jahren. Dass der spätere Unternehmer, der mit seinen Söhnen Claudio und Mauro Feltrin das Unternehmen Arper gründete, als eines von neun Kindern in bitterer Armut aufwuchs, ist nur wenigen bekannt. Und doch prägte diese Erfahrung Feltrin ein Leben lang, half ihm Entscheidungen zu treffen, neue Wege zu beschreiten und ein gesuchter Ratgeber zu sein. Individuelle Beweglichkeit, Interesse am Wandel selbst sowie an der Schaffung von Bedingungen, unter denen Menschen ihre Fähigkeiten optimal entfalten konnten, gehörten zu grundlegenden Motiven im Leben von Luigi Feltrin. Anlässlich seines 80. Geburtstages entstand ein Buch, in dem der Schriftsteller Gian Domenico Mazzocato nicht nur "Leben und Erfahrungen von Luigi Feltrin" aufzeichnete, sondern zugleich die Erfahrungen einer Generation festhielt. Denn neben dem Protagonisten befragte Mazzocato nicht nur Geschwister und Söhne – Claudio und Mauro Feltrin – sondern Mitschüler, Wegbegleiter, Mitstreiter, nahe und entfernte Verwandte.

In seinem Geburtsort Monastier, nordöstlich von Venedig musste er als Jugendlicher noch vor dem morgendlichen Schulbesuch die Kühe melken und die Milch auf einem wackeligen veralteten Fahrrad mit Vollgummirädern zur Milchgenossenschaft bringen. Dass es zu einem Sturz kommen musste, war logisch. Mitten in seiner Verzweiflung über dieses Erlebnis verfestigte sich Feltrins Entschluss aufzubrechen. 1952 wanderte er in die Schweiz aus und arbeitete in St. Gallen. Hier war die Arbeit nicht weniger anstrengend, aber abwechslungsreich. Feltrin war Hilfskoch, später Konditor, er hackte Holz, schippte Schnee, arbeite im Straßen- und Kanalbau sowie als Stuckateur. In St. Gallen fanden Exilschweizer zusammen. Luigi Feltrin lernte Giovanna Casagrande kennen, aus einem nördlichen Nachbarort. Die beiden heirateten, zwei Söhne wurden geboren. Hunderte von Jobs hat Luigi Feltrin praktiziert und erlernte dabei, was zu tun war. „roba coi oci“ – „stiehl mit den Augen“, riet ihm ein Auftraggeber. Denn für das reguläre Anlernen war bei den meisten Jobs keine Zeit, so blieb nur sich selbst gründlich und schnell mit den Gegebenheiten vertraut zu machen. Auch als Händler sammelt er Erfahrungen, bringt Hühner, Holzkohle und Spitze zunächst nach Hause und dann unter die Leute. Anfang der 1960er Jahre macht er sich als Stuckateur selbständig, wieder und immer wieder arbeitete er von der Dämmerung bis Mitternacht. Pausenlos. Seine Frau, eine geschickte Handwerkerin, die erste Berufserfahrungen in einer Seidenspinnerei sammelte – darf nicht selten seine Geschäftsideen umsetzen. Von häuslicher Weinproduktion bis zum Nähen vorkonfektionierter Gardienen.

Für Luigi Feltrins Biografie "I wanted to be a cowboy" fotografierte Giovanni Gastel dieses beziehungsreiche Titelbild.

1967 kehrt er ins Veneto zurück. Zusammen mit der Familie, die bis dahin gewohnt war, ihn nur gelegentlich zu sehen, zog er nach Preganziol, nahe Treviso, wo er ein Haus gebaut hatte. Zusammen mit seinem ältesten Sohn Claudio beginnt er die Auftragsfertigung für Möbelhersteller, denen die Feltrins Lederbezüge liefern. Hohe Kosten und geringe Erträge kennzeichnen die Arbeitsweise. Als Resultat entsteht ab 1986 eine eigene Fertigung. Auch eigene Möbelentwürfe von Claudio Feltrin wurden vermarktet. Doch noch immer war die Familie nicht unabhängig, hatte keine Marke mit eigenen Produktions- und Vertriebswegen. Arper – zusammengesetzt aus den ersten beiden Buchstaben von „Arredamento“ (Möbel) und der Präposition „Per“ (für…) brachte 1989 den Ausweg. Durch Zusammenarbeit mit dem Architekten Alberto Lievore entstand daraus eine Marke mit Präsenz und gelassener Selbstverständlichkeit, die kontinuierlich wächst. Heute hat Arper 260 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 72 Millionen Euro sowie einem Exportanteil von 92 Prozent und 12 Showrooms weltweit. Lievore empfahl der Gründerfamilie, ihre Marke nach den eigenen Werten auszurichten: „Das seid ihr, ihr müsst dieses Gefühl von Familie, Gelassenheit, Harmonie vermitteln.“

Zu Beginn des Buches von Mazzocato kommt Luigi Feltrin mit einer Ermutigung zu Wort: „Ich sage jungen Menschen, dass wir auf unserem Lebensweg vielleicht ein paar Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden haben. Sie sollten nicht bei der ersten Hürde niedergeschlagen sein, sondern innehalten und die Dinge überdenken – nicht zu lange, höchstens eine Viertelstunde. Und noch einmal von vorn anfangen und das Beste aus allen Fehlern machen. Noch einmal von vorn anfangen und die Dinge besser machen. Lasst Euch nicht entmutigen, überdenkt die Dinge.“

Die Stuhlserie Catifa, entworfen von Lievore Altherr Molina, brachte für Arper 2001 den Durchbruch.