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Pfeiler und Bögen im Zeichen des Eis

Im Herzen der irischen Stadt Limerick haben Níall McLaughlin Architects ein Gebäude realisiert, das gleichermaßen dem Nationalsport Rugby ein bauliches Denkmal setzt, wie die darbende Innenstadt wiederbeleben soll.
von David Kasparek | 03.01.2024

Wer schon einmal ein Rugbyspiel live – oder am Bildschirm – verfolgt hat, weiß, was das für ein energetischer Sport ist. In der verbreitetsten Form treffen 15 Spielende auf beiden Seiten aufeinander – und etwa bei der Wiederaufnahme des Spiels nach Unterbrechungen ist dieses Aufeinandertreffen ganz wörtlich zu nehmen. Beim Gedränge (engl. scrum) stehen sich fast alle Spielenden der Teams gegenüber und versuchen, in einer präzisen Anordnung und Aufstellung, ihren Hakler durch Schieben und Drücken so in Position zu bringen, dass er dem eigenen Team den eiförmigen Ball sichern kann. Auch die Gasse (engl. line-out) ist ein solcher Moment spontaner Kraftentladung und energetischen Miteinanders: Von der Seitenlinie wird der Ball in eine aus Spielenden gebildete Gasse geworfen, die versuchen, das Spielgerät für die eigene Mannschaft zu erobern, wofür die Fangenden von ihren Team-Mitgliedern in atemberaubende Höhen gehoben werden.

Oscar Wilde wird ein Zitat zugeschrieben, nachdem Fußball "eine von Raufbolden gespielte Gentleman-Sportart und Rugby eine von Gentlemen gespielte Raufbold-Sportart" sei. Das bezieht sich auch darauf, dass der Rugby in vielen Teilen der Welt bis heute vor allem ein Sport des Establishments ist. Nicht so in Irland, wo Rugby über die Grenzen sozio-ökonomischer Milieus hinweg beliebt ist. In Limerick, wo sich mit dem Shannon der größte irische Fluss aufmacht, alsbald in den Atlantik zu münden, ist nun ein Gebäude fertiggestellt worden, das versucht, eben diese energetischen Momente des Rugby-Spiels in Architektur zu übersetzen. Vollständig von einer gemeinnützigen Stiftung des in Limerick geborenen Geschäftsmanns John Patrick McManus finanziert, wurde der rund 19,5 Millionen Euro (17,3 Millionen Pfund) teure Bau von Níall McLaughlin Architects entworfen.

McLaughlin, in Dublin ausgebildeter irischer Architekt mit Büro in London, schreibt mit dem "The Rugby Experience" betitelten Haus eine bemerkenswerte Reihe von Projekten fort, die mit tradierten architektonischen Themen ebenso umgehen, wie mit fein säuberlich und handwerklich gefügten Materialien. 2021 etwa wurde die neue Bibliothek des Magdalene Collage fertiggestellt, deren Reihung giebelständiger Einzelhäuser und Kaminschlote die historischen Bildungsbauten Cambridges kongenial ergänzt, ebenso feinfühlig schreiben sich die Bauten für das Balliol Collage in Oxford in die gewachsene Umgebung der Universitätsstadt ein.

In Limerick nun translozieren Níall McLaughlin Architects die Energie des Rugby-Spiels in Form und Raum – und das inmitten der Haupteinkaufsstraße der 57.000-EinwohnerInnen-Stadt. Wie so vielen Zentren ist Limerick ebenfalls anzusehen, dass sich der Einzelhandel gewandelt hat. An der Ecke O’Connell und Cecil Street, nur zwei Häuserblocks vom Ufer des Shannon entfernt, reckt sich der Neubau empor, der nicht nur dem Sport ein Denkmal setzen sondern die gesamte Innenstadt wiederbeleben will, und der hiesigen Rugby-Community eine Heimstatt vor und nach den Spielen des lokalen "Munster Rugby"-Clubs sein soll. Die AnhängerInnen des, martialisch "The Red Army" genannten Clubs, so der Plan, können sich hier vor den Spielen auf ein paar (Dutzend) Kaltgetränke treffen und gemeinsam zum zwei Kilometer weit entfernten Thomond Park aufbrechen, wo der Verein einen Teil seiner Heimspiele austrägt. In einem Shop sollen lokale Erzeugnisse verkauft, Räume im Gebäude können für Feiern wie Hochzeiten und dergleichen von allen BewohnerInnen der Stadt gemietet werden. Das alles wird zusammengehalten von einer Ausstellung rund um den Sport selbst, die sich, konzipiert von der Londoner Agentur "Event", entlang der Begriffe Leidenschaft, Disziplin, Integrität, Solidarität und Respekt durch das Gebäude windet.

Denn in der Tat ist das Innere des Hauses nachgerade labyrinthisch. Äußerlich nimmt es die Traufhöhen der vier- bis fünfgeschossigen Nachbargebäude ebenso auf wie deren Backstein als bestimmendes Material der Stadt. Unterschiedlich breite Rücksprünge, die mal mit Fenstern geöffnet, mal mit Mauerstein verfüllt sind, werden vertikal durch sich zur Straße hin verjüngende Pfeiler und Pfeilervorlagen rhythmisiert, horizontal durch fein gesetzte Bogensegmente aus Betonfertigteilen begrenzt. Zur O’Connell Street springt die nördliche Hälfte des Baukörpers ab dem zweiten Obergeschoss zurück, sodass sich eine Art Stadtbalkon bildet – wie gemacht, um den Fans von dort gewonnene Trophäen zu präsentieren. Dahinter ragt ein Turm auf, merklich höher als die meisten der umliegenden Bauten, gekrönt von einem über zweigeschossig überhöhten und auf drei Seiten verglasten Stockwerk, das, einem piano nobile gleich, die Stadt überragt. Die Gebäudeecke schreibt die Traufkante des Blocks wiederum fort und definiert den Straßenraum dem Ort entsprechend. Recht urwüchsig türmen sich die Baumassen auf, wie die Leiber der Spielenden während eines line-outs.

Derart erdverbunden geht es auch im Innern weiter. Níall McLaughlin sieht das Gebäude als innenräumliche Inszenierung eines Theaterstücks oder einer Erzählung. Räume wie einzelne Episoden reihen sich über die Stockwerke nach oben aneinander, dunkle Bereiche folgen helleren, immer wieder gibt es merklich inszenierte Ausblicke in den nächsten Ausstellungsbereich oder in die Straßenräume. Dabei wechseln sich die teils mit Virtual Reality bespielten Bereiche der Ausstellung mit Räumen ab, die scheinbar ganz der Backsteinästhetik des alten georgianischen Limericks frönen. Am eindrücklichsten wird das sichtbar in der Eingangshalle, der rückwärtigen und sich nach oben unter Kappendecken verjüngenden Ausstellungshalle und dem, die Dächer der Stadt überblickenden Abschluss dieser in Backstein und rotbraun-gefärbtem Sichtbeton gefassten Raumfolge. Die Konstruktion wird hier durch die Materialien geprägt, ihre prägnante Form macht den Raum an sich spürbar. Und so wird auch klar, warum dieses Haus formal mehr darf als seine Nachbarn: Seine Räume bieten der Gemeinschaft etwas an. Das piano nobile ist nicht nur Teil der Ausstellung, es kann für Hochzeiten und private Feiern genutzt werden, mit seinem Stadtbalkon kann das Haus jene Szenerie werden, vor der sich Fans und Mannschaft treffen und gegenseitig feiern. Wer hiesige Sportmuseen und sogenannte Fan-Welten kennt, kann nur neidisch nach Limerick blicken.