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Ole Scheeren

Der Grenzgänger

Ole Scheeren ist mit Projekten wie dem CCTV-Hochhaus und dem Guardian Art Center in Peking sowie dem Wohnungsbau The Interlace in Singapur bekannt geworden. Nun zeigt das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe bis zum 4. Juni 2023 eine Einzelausstellung über das Werk des deutschen Architekten.
16.03.2023

Unter dem Titel "ole scheeren: spaces of life" dokumentiert die Schau dessen Arbeit und bietet BesucherInnen mit Hilfe von Augmented-Reality direkte Einblicke in die Stadt- und Innenräume seiner Gebäude. Wir sprachen mit Ole Scheeren über die Ausstellung und seine Arbeit als international tätiger Architekt.

Alexander Russ: Sie haben sich schon sehr früh international aufgestellt, haben im Ausland studiert, bei OMA in Rotterdam gearbeitet und 2010 Ihr eigenes Büro in Peking gegründet. Mittlerweile gibt es weitere Büros in Hongkong, Berlin und London. Momentan scheint sich die Welt weg von der Globalisierung zu bewegen. Wie erleben Sie das?

Ole Scheeren: Das ist eine interessante und sehr komplexe Frage. In der Tat, die Welt ist nicht mehr die Gleiche. Ich bin sicher ein extremes Beispiel dafür, was mit dem Glauben an eine internationale Zusammenarbeit möglich ist. Es ging ja in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren nicht nur darum, Geschäftsbeziehungen in der ganzen Welt zu unterhalten, sondern um die Möglichkeit, voneinander zu lernen, miteinander zu arbeiten und an andere Orte zu gehen, um zu sehen, was dort möglich ist. Für mich war es immer wichtig, zu einem Teil der Kultur zu werden, in der ich gelebt und gearbeitet habe. Aber trotz aller Schwierigkeiten, die es gerade auf der politischen Ebene gibt: Ich glaube immer noch daran, dass ein Miteinander produktiver und interessanter ist, als eine Abschottung. Natürlich hat die Globalisierung Probleme erzeugt. Zum Beispiel indem spezifische Antworten eine allgemeine Gültigkeit erlangt haben. Als Folge wurden sich die jeweiligen Lösungen immer ähnlicher.

Als Argument für die Globalisierung galt auch, dass dadurch Demokratisierungsprozesse in autoritären Regimen angestoßen werden könnten. Wie würden Sie das aus heutiger Sicht bewerten?

Ole Scheeren: Natürlich muss man sich als ArchitektIn immer genau anschauen, in welchem Kontext man arbeitet und welche Zusammenhänge es dort gibt. Allerdings werden die damit verknüpften Fragen und Probleme oft so polemisiert, dass sie der gesellschaftlichen und politischen Komplexität nicht gerecht werden. Die Entwicklung einzelner Länder ist nun mal kein linearer Prozess und das Gleiche gilt für die Globalisierung. Wir sind alle ein Teil dieser Dynamik.

Wie wirkt sich diese Dynamik auf Ihre Arbeit aus?

Ole Scheeren: Meine Bürostruktur ist eine Art Abbild der Globalisierung, da es ja, wie Sie schon sagten, Büros an vier unterschiedlichen Orten gibt. Hinzu kommt eine sehr kollaborative Struktur mit MitarbeiterInnen, die über die ganze Welt verteilt sind. Das heißt, die jeweiligen Büros sind keine unabhängigen Satelliten, sondern arbeiten zusammen an den jeweiligen Projekten. Außerdem ist es uns sehr wichtig, möglichst nah an den Projekten dran zu sein. Unser Modell hat sich als sehr krisensicher und effizient erwiesen. Wir arbeiten oft an großen Projekten, sind aber im Grunde genommen ein sehr kompaktes Büro mit etwa 100 MitarbeiterInnen. Andere Büros, die ähnliche Projekte stemmen, sind um ein Vielfaches größer. Durch unsere Größe bleiben wir agil und können flexibel auf die jeweilige Situation reagieren.

Der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff hat kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Die Zeit ein Ende des chinesisches Wachstumsmodels prognostiziert. Als einen der Gründe nannte er den Immobiliensektor, dessen Wachstum sich abschwächt, da das Land mittlerweile überbaut wäre. Wie nehmen Sie das als ein in China tätiger Architekt wahr?

Ole Scheeren: China ist schon oft falsch eingeschätzt worden. Das hängt damit zusammen, dass es ein sehr komplexes Land ist, das von außen betrachtet nicht immer leicht zu verstehen ist. Meine Arbeit als Architekt hat mir diesbezüglich bestimmte Einblicke verschafft und ich würde sagen, dass China durchaus in der Lage ist, Strategien zu entwickeln, die auf einen längeren Zeitraum angelegt sind. Um ein Beispiel zu nennen: Vor zehn Jahren wurde klar, dass Shenzhen nicht mehr der Sweatshop der Welt sein kann, wo billig produziert wird. Deshalb gab es eine Umorientierung hin zum Creative Business und heute ist Shenzhen eine der großen Tech-Metropolen der Welt. Wir bauen dort jetzt zwei große Firmengebäude. Aber es stimmt schon: In den Nuller Jahren wurde China wirtschaftlich sehr stark durch den Boom im Immobiliensektor geprägt. Das Land ist sich dessen durchaus bewusst. Gleichzeitig ist China ein Teil des Weltgefüges und wenn es der Welt nicht gut geht, wird das auch in China spürbar.

Riverpark Tower by Ole Scheeren, Frankfurt/ Main

Eines ihrer aktuellen Projekte ist das Wuliang Interstice, ein Campus und Erlebniszentrum für Wuliangye, einen der führenden Weinhersteller Chinas. Das Projekt beschäftigt sich sehr stark mit der Geschichte und Kultur des Ortes. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Ole Scheeren: Das Ganze geht auf einen Wettbewerb zurück und ist eine Mischung aus einem Museum für Weinkultur, einem Showroom und einem Hotel für die BesucherInnen. Die Aufgabe ist unter anderem deshalb interessant, weil es bei Wein um kulturelle Zeitschichten geht. Gleichzeitig sind landwirtschaftliche Aspekte damit verknüpft. Der Bauplatz liegt direkt an einem gewundenen Fluss, der sich in die Landschaft eingegraben hat. Die vorhandene Topographie hat den Entwurf stark beeinflusst, weshalb die neuen Gebäude den Verlauf des Flusses aufgreifen und so eine Verlängerung der Landschaft darstellen. Ein dadurch entstehender Zwischenraum soll landschaftlich so gestaltet werden, dass er Auskunft über den Weinanbau gibt und zu einem Ort des Geschichtenerzählens wird. Außerdem gibt es dort einige historische Relikte wie etwa eine Pagode, eine Buddhaskulptur oder einen Teil der alten Stadtmauer. Das gehört ebenfalls zum architektonischen Konzept: Dass man sich als BesucherIn räumlich durch die unterschiedlichen Zeitschichten bewegt und den Ort auf vielschichtige Weise erfahren kann.

Sie haben 2015 ein Büro in Berlin eröffnet. Was war der Auslöser dafür?

Ole Scheeren: Der Auslöser war kein konkretes Projekt. Es ging mir vielmehr darum, einen Standort in unsere internationale Bürostruktur zu integrieren, der ein gewisses Potenzial besitzt – sei es mit Hinblick auf mögliche Projekte oder auf das Implementieren neuer kollaborativer Strukturen.

Eines Ihrer Projekte in Deutschland ist der Riverpark Tower, ein Wohnhochhaus in Frankfurt am Main.

Ole Scheeren: Spannend an dem Projekt ist, dass es sich um einen Umbau und nicht um einen Neubau handelt: ein zentral am Mainufer gelegenes Bürohochhaus aus den 1970er-Jahren. Es stammt aus der Ära des Brutalismus, weshalb beim Bau entsprechend viel Beton zum Einsatz kam. Es gibt dort acht auf die Gebäudeecken verteilte Stützen, die frei spannende Betonplatten tragen. Daraus hat sich die Möglichkeit ergeben, eine durchlaufende Fensterfront von 15 Metern zu entwerfen. Gleichzeitig haben wir den Gebäudekern umstrukturiert und so noch mal zusätzlich fast 2.000 Quadratmeter Wohnfläche hinzu gewinnen können. Der Entwurf beschäftigt sich also mit der Frage, wie man sich mit dem Vorhandenen intelligent auseinandersetzen kann, um eine Lösung zu finden, die über das banale Anfügen einer neuen Fassade hinausgeht. Neben dem Nachhaltigkeitsaspekt durch die Bewahrung der Bausubstanz, ging es uns darum, qualitativ hochwertigen Wohnraum zu schaffen. Nachhaltigkeit wird ja oft über Zahlen definiert, aber wenn dabei keine qualitätsvolle Architektur entsteht, ist das Ganze eine Katastrophe.

DUO by Ole Scheeren, Singapur

Sie haben viele große Projekte und Hochhäuser in Ihrem Portfolio. Wie erleben Sie das Bauen in Deutschland?

Ole Scheeren: Natürlich haben wir einige große Projekte in unserem Portfolio, die in einem Maßstab gebaut wurden, der so in Deutschland nicht umsetzbar wäre. Es gibt bei uns aber auch kleinere Projekte und Projekte die horizontal und nicht vertikal strukturiert sind. Das sieht man sehr gut in der Ausstellung "ole scheeren: spaces of life", die gerade im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe gezeigt wird.

Trotzdem nimmt man Sie eher als einen Architekten für große Projekte wahr.

Ole Scheeren: Ja, das stimmt, aber ich wollte einfach nicht jedes kleine Projekt medial verwerten, sondern mich auf bestimmte Bauten fokussieren.

Ein Beispiel für ein kleines Projekt ist das Archipelago Cinema, ein temporäres schwimmendes Kino in Thailand.

Ole Scheeren: Ja, das ist ein Projekt, das eher einen Installationscharakter hat. Ich habe schon immer gerne mit KünstlerInnen oder FilmemacherInnen zusammengearbeitet. Neben der Architektur gibt es viele andere Bereiche, die mit der Architektur interagieren. Diese Schnittstellen interessieren mich sehr. Das wird auch in der Ausstellung im ZKM in Karlsruhe deutlich.

Sie kommen selbst aus Karlsruhe und haben dort teilweise Architektur studiert. Was bedeutet Ihnen die Ausstellung?

Ole Scheeren: Ich habe als Student immer die Ausstellungen im ZKM besucht. Medien als Kunstform anzuerkennen war damals eine sehr fortschrittliche Position und das hat mich interessiert. Ich habe mich während des Studiums unter anderem mit dem Verhältnis von physischem und virtuellem Raum beschäftigt und Konzepte entwickelt, die man heute vermutlich als Co-Living-Strukturen bezeichnen würde. Die Verbindung von Medien und Architektur wird in der Ausstellung deshalb auch aufgegriffen: Es gibt im Zentrum einen Bereich, den ich als "Media Dump", als "Mediendeponie" bezeichne. Dort sind Bildschirme platziert, auf denen wahllos alles aus dem Internet gezeigt wird, das mit unserer Arbeit zu tun hat. Wir haben ja mitunter Gebäude verwirklicht, die eine gewisse mediale Präsenz haben. Das sind Erlebnisräume, die mit den individuellen Erlebnissen von Menschen verknüpft sind. Diese Verknüpfung von medialem und architektonischem Raum wollten wir in der Ausstellung zeigen. Das ist mittlerweile ein Teil der Realität von Architektur.

ole scheeren: spaces of life
Bis 4. Juni 2023
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien

Lorenzstraße 19
76135 Karlsruhe
Tel.: +49 (0) 721 810 00