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Arnout Van Vaerenbergh und Pieterjan Gijs (v.l.n.r.)

Verborgene Qualitäten

Pieterjan Gijs und Arnout Van Vaerenbergh schaffen Werke, die sich zwischen Architektur und Kunst bewegen und die BetrachterInnen vor die Herausforderung stellen, ihre bisherige Wahrnehmung von Bauwerken zu hinterfragen.
08.04.2022

Anna Moldenhauer: Arnout, was war euer Ziel, als ihr 2007 Gijs van Vaerenbergh gegründet habt?

Arnout Van Vaerenbergh: Pieterjan Gijs und ich haben Architektur studiert und begannen parallel zu Praktika in Architekturbüros an freien, künstlerischen Projekten zu arbeiten. Es war ein Versuch, unabhängiger und direkter über Formen, Räume und Orte nachzudenken, ohne uns auf die Disziplin der Architektur im engeren Sinne festlegen zu müssen. Wir waren daran interessiert durch die Kombination von künstlerischer und architektonischer Arbeit neue und experimentelle Arbeiten zu schaffen, die mit den bestehenden räumlichen Gegebenheiten interagieren und sie herausfordern.

Die Atmosphäre eurer Werke im öffentlichen Raum schwankt zwischen offen und geschlossen, einladend und mystisch. Auf Grundlage welcher Aspekte legt ihr diese fest?

Arnout Van Vaerenbergh: Historisch gesehen gab es immer starke Verbindungen zwischen Kunst und Architektur. Wir wollen an diese Tradition anknüpfen und unsere Arbeiten von beiden Seiten her angehen. Unsere Arbeiten thematisieren grundlegende architektonische Themen wie Konstruktion, Schutz, Verbindung, Perspektive. Auf der anderen Seite sind sie aber auch skulptural, in dem Sinne, dass sie autonome, grundlegende und elementare Formen angenommen haben. Die Projekte reichen von Pavillons, Labyrinthen, Brücken und Toren bis hin zu Skulpturen und Landschaftsprojekten. Ich glaube, dass diese doppelte Herangehensweise, sowohl künstlerisch als auch architektonisch, die von dir erwähnte Fluktuation hervorruft. Oft beginnt ein neuer Auftrag mit einer eingehenden Untersuchung des Kontexts, historisch und ökologisch beispielsweise. Wir suchen immer nach einer verborgenen Qualität, die wir hervorheben oder konterkarieren können. Bei unserer Arbeit "Arcade" fanden wir zum Beispiel heraus, dass es eine jahrhundertealte Straße zwischen dem Dorf und den Poldern gab, die durch einen neuen Deich verdeckt wurde. Wir reagierten auf diese Veränderung, indem wir an der Kreuzung von Straße und Deich ein neues Tor errichteten, das die ursprüngliche Verbindung in Erinnerung rief und eine neue Beziehung zwischen beiden Größen herstellte.

"Reading Between the Lines"

Neben der Interdisziplinarität eurer Arbeiten finde ich zwei Aspekte besonders interessant: Zum einen wirken diese oft illusionär – ihre ganze Komplexität offenbart sich erst, wenn man alle Perspektiven in die Betrachtung miteinbezieht. Zum anderen verwendet ihr für viele Werke architektonische Fragmente, die wir in unserem visuellen Gedächtnis mit einer Funktion verknüpfen, wie die Grundstruktur einer Kirche oder einer Windmühle. Die BetrachterInnen erkennen diese wieder, gleichzeitig bietet sie aber nicht die bekannte Funktion. Ihre Identität muss also neu definiert werden.

Arnout Van Vaerenbergh: Ich denke diese beiden Punkte sind für uns grundlegend. Die Werke sind keine Architektur im klassischen Sinn, da ihnen kein formaler Auftrag und kein Verwendungszweck zugrunde liegt. Wir experimentieren mit der architektonischen Identität von Bauwerken und der räumlichen Erfahrung, die sich bietet. Wo beginnt Architektur? Wir sehen unsere Projekte gerne als maßstabsgerechte Modelle in Originalgröße. Das hängt natürlich mit unserem Atelier zusammen, in dem wir physische Modelle in kleinem Maßstab erforschen, die von Natur aus vereinfachte Versionen von etwas sind, das sie darstellen. Dann übersetzen wir das Konzept in das fertige Werk. Das Ergebnis bezieht sich auf etwas kollektiv Bekanntes, aber auf eine fast abstrakte und vereinfachte Art und Weise, vielleicht wie eine Skizze. Wir erforschen, wie wir das Erkennen einer bekannten Struktur bei den BetrachterInnen auslösen können und wie ihre Kategorisierungsmechanismen durch abstrakte Elemente herausgefordert werden können. Je nach Perspektive verändert sich das Ergebnis in seiner Form und somit auch in seiner Bedeutung. Für die Installation "The Upside Dome" in der St. Michiel-Kirche in Belgien haben wir zum Beispiel aus hunderten Metern Metallkette eine kopfüber hängende Kuppel als Gegenstück zur unvollendeten Kuppel geformt und diese in das Kirchenschiff gehängt. Die Installation beleuchtet so die Architektur einer der repräsentativsten Barockkirchen der Niederlande aus einer zeitgenössischen Perspektive und fügt ihr gleichzeitig eine neue Struktur hinzu. Zudem ergründen wir jeweils die Grenzen des Materials, wie für das Labyrinth im C-Mine Arts Center in Genk, dessen Wände in ihrer Stärke so weit wie möglich reduziert wurden.

Wann ist ein Projekt euch perfekt?

Arnout Van Vaerenbergh: Das können wir nicht im Voraus festlegen, es ist eher ein Prozess und die Art und Weise, wie wir etwas erreichen. Manchmal ist ein Projektkontext so schwierig, dass selbst die einfachste Ergänzung viel bedeuten kann. Die größeren Projekte sind keine einzelnen Ideen, sondern oft ein längerer Prozess, in dem das Projekt Gestalt annimmt. Im Studio entsteht dieser Prozess durch interne Gespräche. Hinzu kommen die Vorgaben bei der Planung, die Verwaltung, die Kundenkriterien, die technischen Aspekte, die wir alle berücksichtigen müssen.

Wird der Prozess schwieriger, wenn der Dialog nach außen geöffnet wird?

Arnout Van Vaerenbergh: Nein, im Gegenteil, denn unser eigener Dialog ist bereits eine Sammlung von verschiedenen Ansätzen. Außerdem wollen wir uns inhaltlich nicht wiederholen. Wenn man die gegebenen Bedingungen auslotet, wird schnell klar, welche Ideen realistisch sind. Bei bestimmten Entscheidungen kann es sogar sein, dass wir parallel an verschiedenen Varianten arbeiten, so wie wir es beim Labyrinth im C-Mine Arts Center gemacht haben: Eine Holzversion wäre billiger und größer gewesen, aber die Lebensdauer wäre begrenzt gewesen. Die Version aus Stahl war teurer und kleiner, aber auch robuster. Am Ende erwies sie sich als die beste Lösung, die von allen Projektbeteiligten mitgetragen wurde.

Woran arbeitet ihr gerade?

Arnout Van Vaerenbergh: Wir bereiten unsere 3. Einzelausstellung in der Galerie Valerie Traan in Antwerpen im Mai 2022 vor. Außerdem beenden wir gerade die Arbeiten an unserem "Inselgarten", einer 500 Meter langen, dynamischen Brücke, die über Wassergärten in Pont im Nationalen Botanischen Garten von Belgien führt. Ebenso bereiten wir gerade zwei verrückte Projekte im Park Huis Doorn in den Niederlanden vor.