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Gebauter Spaziergang über dem Steinbruch

Bäume und Flüsse als Auftraggeber

Daniel Baroš und Marcel Šípka sind die Gründer von Henkai Architekti. Beeindruckt von ihrem unkonventionellen architektonischen Ansatz für Gebäude des öffentlichen Raums, wollten wir mehr über das tschechische Atelier erfahren.
von Elisabeth Bohnet | 20.09.2024

Als Daniel Baroš and Marcel Šípka ihr Studio gründeten, war es ihr vorrangiger Wunsch, Häuser für ihre Familien und FreundInnen zu bauen. Schnell jedoch kontaktierten sie auch öffentliche Behörden und fingen an, immer größere Projekte zu realisieren. Heute arbeiten bei Henkai Architekti insgesamt sieben KollegInnen an zwei Standorten, in Prag und in Rožnov. Im Portfolio befinden sich mittlerweile alle Arten von Bauaufgaben: Neben Wohnhäusern zeigen sie sich verantwortlich für Ladengeschäfte, Bürogebäude, Campinghütten sowie zahlreiche Gebäude des öffentlichen Sektors wie Schulen, Informationszentren – oder Aussichtspunkte im Wald. Auch wenn sie betonen, dass ihre Projekte alle eine eigene Individualität aufweisen, eint sie eine gewisse spielerische Poesie und klare Ästhetik. Ein Merkmal, das die Projekte zudem verbindet, ist Holz als Baumaterial. Marcel Šípka erläutert: "Wir versuchen, lokale Materialien, lokale Layouts und zeitgenössische Perspektiven zu verwenden. Das ist unser Hauptansatz."

Besonders stechen dabei die Aufträge für die Kommune Prostřední Bečva heraus. Wo an den meisten Orten Gebäude in öffentlicher Hand wie Bushaltestellen oder Sportplätze in einem utilitaristischen Stil ausgeführt werden, der den ästhetischen Anspruch vernachlässigt, haben die Menschen in der Region Prostřední Bečva mehr Glück: Henkai Architekti verfolgte bei diesem Projekt einen unkonventionellen Ansatz. Das Ergebnis sind Bushaltestellen, die in modularen, kastenförmigen Strukturen an "Blumentöpfe auf Beinen" erinnern. Durch die Vervielfachung der Module kann die Größe der Bushaltestellen beliebig erweitert werden. Da sich die große Gemeinde Prostřední Bečva über mehrere Täler erstreckt, ist der öffentliche Nahverkehr ein wichtiger Bestandteil der Mobilität. Zur Verbesserung von Komfort und Sicherheit sind weitere Bushaltestellen in einer ähnlich vernetzten architektonischen Form angedacht. Damit aber nicht genug: "Mit den beiden Projekten, mit Pustevny Gateway und den Bushaltestellen, wurde ein Anfang gemacht. Allerdings möchten wir alle Teile der Infrastruktur gestalten und ArchitektInnen für die Gesamtheit in unserem lokalen Umfeld sein", erklärt Marcel Šípka. Als nächstes steht ein weiterer Parkplatz samt dazugehörendem Gebäude auf der Agenda.

Prostřední Bečva Bushaltestellen
Pustevny Gateway

Ob diese Offenheit für ihren Ansatz typisch für die Region sei, verneinen die beiden. "Dass das hier möglich ist, hängt vor allem mit unserer Beziehung zur Gegend und zum Bürgermeister von Prostřední Bečva zusammen. Ich denke nicht, dass es in der Tschechischen Republik oder in Mähren generell üblich ist", meint Marcel Šípka und erklärt weiter: "Aufgrund der verhältnismäßig dünnen Besiedelung steht uns viel Landschaft zur Verfügung, deswegen glaube ich nicht, dass es in Prag oder in größeren Städten einfach möglich wäre, aber wer weiß? Wir wären selbstverständlich bereit, so etwas in größerem Maßstab durchzuführen." Ihren Ansatz beschreibt Marcel Šípka als rational: "Unsere Objekte sind zuverlässig und erschwinglich." Eigentlich genau die richtige Kombination für öffentliche Gebäude, wie ein Projekt in Vigantice zeigt: Bei der Gestaltung des Außengeländes eines Kindergartens und einer Grundschule legten Henkai Architekti Wert auf Kompaktheit und Multifunktionalität. Das Zentrum des Gartens besteht aus einem Klassenzimmer im Freien mit einem Schulhof, der als Versammlungsraum oder als Bühne für Veranstaltungen dient und auch außerhalb der Schulzeiten genutzt werden kann. Das Außenklassenzimmer trennt auf natürliche Weise den Spielbereich des Sportplatzes und den Pausenhof. Zur Einheit gehört auch ein Lehrgarten in der südöstlichen Ecke, der im Wesentlichen aus Hochbeeten besteht zum Kennenlernen von Nutz- und Zierpflanzen. Damit wird ein inspirierender und funktionaler Raum für Bildung und Freizeit geschaffen, ein Ort der Entdeckung, des Spaßes und der Entspannung im Einklang mit der Natur – es könnte so einfach sein.

Tatsächlich ist es auf dem Land jedoch gar nicht so einfach, zeitgenössische Architektur zu realisieren betont Daniel Baroš: "Die Menschen sind sehr konservativ. Es ist amüsant, denn sie denken, dass die Gebäude, die dort gebaut werden, lokale Parameter haben. Aber das ist nicht der Fall: Die bestehende Architektur ist vielmehr eine Mischung aus den Alpen, aus Rumänien oder aus Deutschland. Sie denken, dass dies lokal ist, weil es ihre Heimat ist." Und Marcel Šípka ergänzt: "Ich glaube nicht, dass es die tschechische Architektur als Solches überhaupt gibt. Sie ist ein Teil der europäischen Architektur und des christlich kulturellen Erbes. In der Vergangenheit war die Architektur in Mähren, wo wir hauptsächlich arbeiten, eine venezianische Architektur mit Einflüssen aus Rumänien, sie ist eine lokale Mischung aus Traditionen. Deswegen ist es schwer zu sagen, ob unsere Architektur etwas Tschechisches oder Mährisches hat. Wir versuchen, uns in den Kontext der Umgebung einzufügen und gleichzeitig unverwechselbar zu sein, auch wenn das nicht unser Hauptziel ist." Und Daniel Baroš fügt hinzu: "Wir haben keine Liste von Zielen, die wir bei jedem Projekt abhaken müssen, vielmehr gehen wir sehr intuitiv vor."

Garten des Kindergartens und der Grundschule in Vigantice

Marcel Šípka hat ein Konzept für die Wiederbelebung eines Bergbaugebiets in der Nähe des Zusammenflusses von Moldau und Berounka in Prag entwickelt. In zwanzig bis dreißig Jahren wird der Bergbau dort eingestellt werden, danach wird die zerstörte Landschaft wieder aufgebaut werden müssen. "Soutok" ist eine erste Visualisierung, die der Öffentlichkeit einen Vorschlag unterbreitet, wie dieses Gebiet in Zukunft aussehen könnte. Seine Faszination bei der Gestaltung von Landschaften liegt darin, zum Regisseur für das Naturerlebnis der BesucherInnen zu werden: "Wir möchten Räume schaffen, die die Art und Weise beeinflussen, wie die Menschen auf die Landschaft blicken und sich in ihr bewegen. Wenn die BesucherInnen die von uns geschaffenen Räume mit unseren Augen sehen, bereitet mir das viel Freude." Der gestaltete Spazierweg oberhalb eines Steinbruchs von Horní Bečva ist ein gutes Beispiel hierfür. Für Daniel Baroš spielt noch eine andere Sache eine bedeutende Rolle: "Wir gestalten gerne öffentliche Räume und vor allem Landschaften, weil es ein anderer Ansatz ist, als für Menschen zu planen. Anstatt über die Wünsche eines Bauherrn für sein neues Haus zu diskutieren, darf man bei der Landschaftsgestaltung mit Bergen, Steinen und Wasser kommunizieren. Meetings mit Investoren und Behörden sehen bei der Landschaftsgestaltung so aus: wir schlendern durch die Wälder oder schwimmen im See – eine sehr friedvolle Art der Verhandlung. Im Anschluss heben wir die Dinge hervor, die eine Qualität haben, welche wir später mit den NutzerInnen teilen möchten."

Diese enge Verbundenheit mit und die sinnliche Erfahrung in der Natur ist wiederkehrender Bestandteil der Architektur von Henkai Architekti. "Der Glockenturm von Pustevny Gateway steht beispielsweise für die menschliche Präsenz in der Welt und ist Teil eines Besuchs mit allen Sinnen. Er soll den Menschen in der Landschaft und seine Spiritualität symbolisieren", erklärt Marcel Šípka. Was sie daran als spirituell erachten, führt Daniel Baroš weiter aus: "Ich stelle mir vor, wie ich durch die Landschaft wandere. Es ist Winter, es schneit, ein Schneesturm kommt auf und du weißt nicht, wo du bist. Plötzlich hörst du den Glockenturm. Er sagt dir, dass du zumindest irgendwo bist. Du hörst den Klang der Glocke, der dich ruft und deine Gewissheit wächst: Du wirst den Glockenturm finden und den Weg nach Hause. Für uns ist das etwas Spirituelles."