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El Sindicato, Parasitic House, Quito, Ecuador, 2019

MICROLIVING
Kleine Häuser, großes Buch

Unser Autor Florian Heilmeyer hat "Small Houses. Homes for our Times" von Philip Jodidio unter die Lupe genommen und berichtet von überflüssigem Nachhaltigkeits-Dressing, hohlen buzzwords und einer inspirierenden Sammlung zum Thema Wohnen auf kleinstem Raum.
von Florian Heilmeyer | 01.06.2023

Wohl selten hat ein Buch alleine durch sein Format das eigene Thema so grandios konterkariert wie dieses. Denn es geht dem Taschen-Verlag und seinem Herausgeber Philip Jodidio in "Small Houses" ja explizit um kleine Häuser als Zeichen eines bescheideneren Lebenswandels und also eines ökologischeren Fußabdrucks für das eigene Sein auf unserem begrenzten Planeten. Dem Buch scheint das jedoch herzlich egal. Es kommt als wahrer Koloss daher, mit Überformat von 25,2 auf 37,8 Zentimetern, mit einer Dicke von 4,5 Zentimetern, einem Umfang von 424 Seiten und satten 3,5 Kilo Gewicht. Wie groß ist wohl der ökologische Fußabdruck des Buchs bezüglich Produktion und Transport? Um es aufzuschlagen braucht es einen ziemlich stabilen coffee table. Anders gesagt: Lebte man tatsächlich in einem der hier vorgestellten "Small Houses", hätte man wohl erhebliche Probleme, dieses Buch überhaupt hineinzubringen.

Die ausgesuchten Häuser im Buch sind dann von der erwartbaren optischen Qualität. Satte 57 Beispiele aus aller Welt sind versammelt und entführen uns, alphabetisch sortiert nach dem Namen der Architekturbüros, auf eine sprunghafte und dadurch abwechslungsreiche Weltreise. Vom brasilianischen Regenwald hüpft man umstandslos in die Schweizer Berge, in einen portugiesischen Olivenhain oder an die chilenische Steilküste. "Small" sind die Häuser alle. Keines bietet mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche, die meisten bleiben deutlich darunter. Die "Bolder Sky Lodges" sind eine Gruppe von zweigeschossigen Holztürmchen, die auf einzelnen Rundsäulen in die Felsen über dem norwegischen Lysefjord gestellt wurden. 11 Quadratmeter hat jede Etage, unten reicht das für ein Wohnzimmer mit Küche und oben für zwei Schlaf- und ein Badezimmer. Die zwei "Olive Houses" auf Mallorca sind kaum mehr als minimale, in die bestehende Steinmauer eines Olivenhains auf Mallorca eingefügte Wohnhöhlen – ziemlich schicke Höhlen allerdings. Und der "Dark Room" ist ein schwarz schimmernder Einraum von gerade 10 Quadratmetern (plus Terrasse), der seinen Gästen auf langen stählernen Stelzenbeinen wie ein seltsames Insekt in den niederländischen Wäldern erscheinen mag – oder wie ein besonders futuristischer Jägerhochstand.

Smaller Architects, Seroro Seoul, South Korea, 2020
Sotamaa, Meteorite, Kontiolahti, Finland, 2020
Studio Puisto, Kivijärvi Resort / Niliaitta Prototype, Kivijärvi, Finland, 2020

Von Nachhaltigkeit sollte hier keine Rede sein…

Atemberaubend sind sie, viele ihrer Architektur wegen, oft auch aufgrund der unberührten Landschaften ringsum. Manche Häuser liegen so einsam, dass man sich fragt, wie man das Ferienhaus überhaupt erreichen kann. Irgendwann aber stutzt man. Bei einem Großteil der vorgestellten Beispiele handelt es sich um reine Ferienwohnungen. Auch waschechte Hotel-Lodges sind dabei, wie etwa die auf Pavillons von 28 bis 58 Quadratmetern verteilten "Paradinha" im nordportugiesischen Alvarenga (diese Landschaft!) oder die Holztürme des Breitenbach Landscape Hotels in Frankreich (diese Aussicht!). Bis hierhin entpuppt sich das Buch als simples Blätterbuch, in dem man sich über die nächste schicke Ferienunterkunft informieren kann, in dem man auf so richtig krass reduzierter Fläche urlauben kann. Fehlt nur der Internetlink unter den Projektbeschreibungen, dann wäre es ein besonders dicker, besonders schick gemachter TUI-Katalog.

Im Zuge der Lektüre verraucht allerdings jeder Nachhaltigkeitsgedanke zu heißer Luft. Denn für ein paar Tage in einer kleinen, schicken Hütte im Wald zu wohnen, das ist weder besonders originell noch innovativ und ganz sicher ist es nicht nachhaltig. Da kann Philip Jodidio in seinem einführenden Essay – der einzige längere Text im Buch – noch so viele Verrenkungen durchführen, um möglichst viele buzzwords aus den aktuell angesagten Debatten unterzubringen. Munter setzt er seine Auswahl an Projekten mit der "tiny house"-Bewegung in Verbindung und sieht im steigenden Bevölkerungswachstum ein gutes Argument, die Quadratmeterzahl des eigenen Wohnhauses doch bitte einmal auf den Prüfstand zu stellen. Ernst Friedrich Schumachers "Small Is Beautiful" und Mies van der Rohes "Less is More" werden als große Geister beschworen, und selbst Le Corbusiers berühmte Cabanon-Hütte an der französischen Riviera muss als Referenz herhalten – unfreiwillig passend, denn auch Le Corbusier hat nie über längere Zeit darin gewohnt. Eine Küche hatte Le Corbusier darin gar nicht erst vorgesehen, denn direkt um die Ecke befand sich das Restaurant "L’Etoile de Mer", in dem der Meister zu essen pflegte. So viel zum Überdenken des eigenen Lebensstils in einem kleinen Haus. Da wirken die Worte aus Jodidios Einleitung, freundlich gesagt, bizarr: "Dieses Buch [handelt] im Grunde von der Zukunft der Architektur und … der Menschheit. Lernen Sie, in einem kleineren Haus zu leben, lernen Sie, weniger Ressourcen zu verbrauchen und mit dem zufrieden zu sein, was vorhanden ist." Angesichts der gezeigten Ferienhäuser und Zweitwohnsitze könnten sich geschätzte 99 Prozent der Menschheit hier durchaus verhöhnt fühlen. Allerdings können die sich das Buch wohl auch nicht leisten. Also: Who cares?

Hiroyuki Unemori, House Tokyo, Tokyo, Japan, 2019

…aber inspirierend ist es am Ende doch

Das Ärgerlichste an diesen scheinheiligen Versuchen, das Buch ernsthaft an irgendeine Nachhaltigkeitsdebatte anhängen zu wollen, ist aber eigentlich, dass "Small Houses" den ganzen Zinnober gar nicht nötig hätte. Müsste man sich nicht erst durch diesen Dschungel an halbgaren Gedanken kämpfen, dann fiele unser Blick ganz vorurteilsfrei auf eine sehr hübsche Sammlung von neuesten Projekten zum Thema Wohnen auf kleinstem Raum. Das könnte sich doch selbst genug sein. Denn diese Sammlung ist tatsächlich inspirierend und gut präsentiert. Da wird jedes Projekt auf den extragroßen Seiten mit ausreichend Fotos und Zeichnungen – Schnitte, Lagepläne, Grundrisse, oft Diagramme oder Details zu den schlau verteilten Funktionen – umfassender dokumentiert als das in vielen anderen Fachbüchern der Fall ist.

Und tatsächlich finden sich in der Sammlung ausgesprochen raffinierte Lösungen für eine Architektur des Kleinerseins. Das trifft sowohl auf die Ferien- wie auf die wenigen, echten Wohnhäuser in der Sammlung zu. Das "Starter Home" für 200.000 Euro in New Orleans etwa oder das "Keret House" in Warschau, das sich als eines der schmalsten Häuser der Welt mit einer unglaublichen Breite von 133 Zentimetern zwischen zwei Bestandshäuser zwängt. Es wäre allerdings gut, auf die Unterschiede hinzuweisen: Das Keret House ist von Anfang an ein künstlerisches Experiment gewesen. Es wurde von einer Kunststiftung errichtet, benannt ist es nach seinem ersten Bewohner, dem israelischen Künstler Etgar Keret, der über seine extremen Wohnerfahrungen in diesem Haus 2012 in der Neuen Zürcher Zeitung berichtete. Das Haus ist eine interessante architektonische Studie – und eine relevante Wohnerfahrung ist es auch. Ein Modell für dauerhaft reduziertes, nachhaltiges Wohnen ist es nicht. Und auch das wirklich wunderschöne "Love2House" in Tokio ist mit seinen 19 Quadratmetern nicht nur beeindruckend klein, sondern mit seinem hoch aufragenden Oberlicht in samtiger Sichtbetonoptik auch besonders schön und hell. Die Schiebetür zum kleinen Vorgarten rundet das Bild perfekt ab – allerdings ist es doch gut zu wissen, dass es sich hier um den Zweitwohnsitz eines ständig nach Tokio pendelnden Architekturprofessors handelt und nicht um ein dauerhaft bewohntes Haus.

Marte.Marte, Mountain Cabin, Laterns, Austria, 2011

So werden im Buch nicht nur die Orte aus aller Welt zu einem einzigen, bunten Taumel verquirlt, sondern auch die unterschiedlichen Aufgaben, die die kleinen Häuser zu erfüllen haben, sind so kategorielos miteinander vermischt, bis alles eine Soße zu werden droht. Dieses unterschiedslose Vermischen und Verwischen ist schade, genau wie das überflüssige Nachhaltigkeits-Dressing, das darüber verspritzt wurde. Befreit man sich von beidem, dann lässt sich das Buch als echte Inspirationsquelle für den Entwurf von unglaublich kompakten Wohnräumen in den unterschiedlichsten Formen und Farben nutzen.

Offen bleibt hingegen die Frage, wie man denn nun dieses Buch in einem der hier vorgestellten Häuser unterbringen soll? Ab und zu ist zwar auf einem der Fotos auch ein coffee table zu sehen, aber nirgends ein Bücherregal. Wer also eine größere Bibliothek in ein Small House einbringen möchte, für den gibt es wohl nur eine Möglichkeit: Hexkunst a la Bibi Blocksberg. Eine E-Book-Variante von "Small Houses" bietet der Verlag jedenfalls nicht an.

Small Houses. Homes for our Times
Herausgeber: Philip Jodidio
Hardcover
24.6 x 37.2 cm
Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
424 Seiten
Taschen Verlag
ISBN 978-3-8365-8701-3
60 Euro