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Richard Rogers

NACHRUF
Zum Tod von Richard Rogers

Richard Rogers zählte zu den großen Baumeistern des 20. Jahrhunderts und zu den Pionieren der Hi-Tech-Architektur. Nun ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.
von Alexander Russ | 20.12.2021

Während der Ausstellung "Inside Out" über den großen Architekten Richard Rogers in der Royal Academy of Arts in London im Jahr 2013 konnten es sich die KuratorInnen nicht verkneifen, ein besonderes Ausstellungsstück zu zeigen: ein vernichtender Schulbericht der Architectural Association School of Architecture aus dem Jahr 1958, der dem zukünftigen Stararchitekten jegliche Eignung für die Ausübung des Berufs absprach. Rogers wurde darin zwar ein echtes Interesse und ein Gefühl für Architektur attestiert, es würde ihm aber das intellektuelle Rüstzeug fehlen, um diese Gefühle in solides Bauen umzusetzen. Das Urteil dürfte wohl eine der größeren Fehleinschätzungen in der Architekturgeschichte sein, denn Rogers verwirklichte in der Folge Bauten wie das Centre Georges Pompidou in Paris und das Lloyd’s Building in London, die schon zu seinen Lebzeiten zu den großen Architekturklassikern des 20. Jahrhunderts zählten.

Beide Bauten stehen exemplarisch für die sogenannte Hi-Tech-Architektur, bei der die technischen Aspekte eines Gebäudes maßgeblich zu seiner Gestaltung beitragen. Besonders gut lässt sich das am 1977 fertiggestellten Centre Georges Pompidou ablesen, das Rogers zusammen mit Renzo Piano und Gianfranco Franchini entwarf. Dort ordneten die Architekten das Tragwerk, die Gebäudetechnik und die Erschließung in poppigen Farben sichtbar an der Fassade an. Die weitgehend stützenfreien Ausstellungsräume konzipierten sie dagegen als neutrale Flächen, die flexibel bespielbar sind. Dabei hat der Museumsbau, der damals entsprechend polarisierte, bis heute nichts von seiner Radikalität eingebüßt. Rogers musste dafür mitunter auch körperliche Angriffe aushalten, zum Beispiel in Form einer älteren Dame, die ihm laut eigener Aussage ihren Regenschirm auf den Kopf schlug, als er sich als Schöpfer des Gebäudes zu erkennen gab.

Weniger handgreiflich, dafür aber mindestens so leidenschaftlich, war seine Auseinandersetzung mit Prince Charles und dessen öffentlich propagierter Abneigung gegenüber moderner Architektur. Dieser machte 2009 seinen Einfluss beim Emir von Katar geltend, um ein Projekt von Rogers im Westen von London erfolgreich zu verhindern und stattdessen eine traditionellere Architektur vorzuschlagen – ein Konflikt, wie er auch in den Debatten um die neue Frankfurter Altstadt oder die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses widerhallt. Ein Jahr zuvor hatte der Architekt den Order of the Companions of Honour von der Queen erhalten, nachdem er 1991 bereits zum Ritter geschlagen worden war. Aber auch an fachlichen Ehrungen mangelte es bei Rogers nicht, der 2007 den Pritzker-Preis und damit die höchste Auszeichnung in der Architektur erhielt.

Rogers wurde 1933 in Florenz geboren. 1939 floh die Familie aufgrund des Kriegs nach London, wo sie zeitweise in einem 1-Zimmer-Appartment im Stadtteil Bayswater lebte. Später studierte Rogers an der Architectural Association School of Architecture in London und in Yale Architektur. Dort lernte er auch Norman Foster kennen und betrieb mit ihm von 1963 bis 1967 das Architekturbüro Team 4, zu dem auch seine damalige Ehefrau Su Brumwell und Fosters Ehefrau Wendy Cheesman gehörten. Mit seinem eigenen Büro, das seit 2007 unter dem Namen Rogers Stirk Harbour + Partner firmiert, prägte er bis zuletzt die Architektur – unter anderem mit dem 2014 fertiggestellten Leadenhall Building, einem gläsernen Bürohochhaus, das sich direkt gegenüber von Rogers Lloyd’s Building befindet. Mittlerweile ist der Bau, der von der Londoner Bevölkerung aufgrund seines Erscheinungsbilds gerne als "Cheesegrater" – "Käsereibe" bezeichnet wird, ein integraler Bestandteil der Londoner Skyline. Sein letztes Projekt konnte der Architekt noch in diesem Jahr fertigstellen: die Richard Rogers Drawing Gallery, eine kleine Kunstgalerie, die spektakulär auskragend über den Weinhügeln des Skulpturenparks Château La Coste in der Provence schwebt. Hier finden sich seine Entwurfsprinzipien in Form orangeroter Fachwerkträger als prägendes gestalterisches Element und einer neutralen Ausstellungsbox im Innern noch mal in verdichteter Form wieder. Nun ist Richard Rogers im Alter von 88 Jahren gestorben.

Richard Rogers in der Ausstellung "London as it could be", 1986