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Leonardos Treppe

pool Architekten haben das Schulhaus "Vinci" im aargauischen Suhr rund um ein atemberaubendes Treppenhaus organisiert.
von Fabian Peters | 18.07.2018

Suhr ist eine Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern im schweizerischen Kanton Aargau. Anders als der benachbarte Kantonshauptort Aarau mit seiner mittelalterlichen Kernstadt ist Suhr erst im letzten Jahrhundert über Dorfgröße hinausgewachsen. Ein ausgeprägtes Zentrum fehlt. Öffentliche und private Großbauten stehen neben Resten dörflicher Bebauung und ergeben ein ausgeprägt heterogenes Ortsbild. 2014 gewannen pool Architekten aus Zürich den Wettbewerb für eine neue Primarschule in Suhr. Das Baugrundstück liegt dabei zwischen einem bestehenden Schulzentrum und der von Aarau kommenden, stark befahrenen Hauptstraße. Die Architekten entwarfen einen vierstöckigen Kubus auf annähernd quadratischer Grundfläche. Indem sie das Raumprogramm in ein kompaktes Volumen zusammengefasst haben, konnten sie den Baukörper auf dem Grundstück deutlich von der Straße abrücken und so die Fläche für eine öffentliche Grünanlage als Pufferzone schaffen. 

Der Grundriss der Schule scheint auf den ersten Blick simpel: Die Räume sind entlang der vier Außenseiten angeordnet und werden durch ein zentrales quadratisches Atrium mit großem Oberlicht erschlossen, dessen Mittelpunkt eine kreisförmige Treppe bildet. Die tragende Struktur des Gebäudes besteht aus vorfabrizierten Betonpfeilern. Sie sind zum einen in die vier Außenfassaden eingefügt, zum anderen umstehen sie das Atrium. Das Prunkstück des Gebäudes ist die zentrale Treppe: sie ist vierläufig, das heißt vier Treppenarme verbinden die Etagen untereinander. Damit zitieren die Architekten die berühmte Treppe des Schlosses Chambord an der Loire, deren Entwurf Leonardo da Vinci zugeschrieben wird. "Vinci" ist dann auch der Name der neuen Schule. In Leonardos Aufzeichnungen finden sich verschiedene Entwürfe für mehrfach gewendelte Treppen, von denen die Architekten sich hier für eine der komplexesten Varianten entschieden haben. Denn in Chambord führen nur zwei Treppenarme von einem Stockwerk zum nächsten, hier sind es vier. In Suhr gestalteten pool Architekten zwei der vier Treppenarme als rundum geschlossene Aufgänge, so dass sich zwei verschlungene Betonbänder vom Erdgeschoss bis unter das Deckenlicht ziehen. Sie treten durch die offenen Treppenläufe ober- und unterhalb besonders plastisch hervor. Die Baukunst ist hier aber kein reiner Selbstzweck. Atrium und Treppenraum schaffen einen aufregenden Aufenthalts- und Erlebnisraum für Schüler und Lehrer.

Die äußere Gestaltung des Baus besitzt durch die kolossale Pfeilerordnung durchaus monumentale Züge. Gemeinsam mit der kubischen Großform und dem akzentuiert auskragenden Dach ruft dies Assoziationen an die alte Züricher Kantonsschule, erbaut 1839-1842 von Gustav Albert Wegmann, wach – einen der bekanntesten Schulbauten der Schweiz. Dieser Verweis auf eine explizit städtische Architektur macht klar, dass sich pool mit ihrem Entwurf jeder pseudo-dörflichen Gemütlichkeit verweigern.