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Norwegian National Opera and Ballet, Oslo

Ein Gefühl des "Wow"

Das Architekturbüro Snøhetta beeindruckt in seinen kraftvollen, aber doch zurückhaltenden Projekten weltweit mit feiner Lichtsetzung – und war nicht zuletzt aus diesem Grund 2023 "Special Guest" auf der Euroluce. Im Interview spricht Innenarchitekt Peter Girgis vom Hauptsitz in Oslo über den Einfluss des nordischen Lichts, das Design von Leuchten und die Herausforderung ein Restaurant auf dem Meeresgrund zu erhellen.
10.05.2023

Barbara Hallmann: Im Jahr 2014 hat Snøhetta das Forschungsprojekt "Nordic Light" initiiert. Wie haben die Ergebnisse die architektonische Arbeit Ihres Büros beeinflusst?

Peter Girgis: Mit diesem Projekt haben wir versucht zu erfassen, welche Erfahrungen verschiedene Menschen mit der An- oder Abwesenheit von Licht machen. Unsere Arbeit in der gebauten Umwelt speist sich immer aus der Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung. Licht ist eine Schlüsselkomponente in dieser Beziehung. Licht ist vieles und kann vieles sein. Lichtquellen in der Architektur gibt es sichtbar als auch unsichtbar. Die Lichtfarbe kann angepasst werden, um warme oder kühle Räume zu schaffen. Je nachdem ergeben sich räumlich als auch emotional andere Stimmungen. Das "Nordic Light"-Projekt hat uns gelehrt, die Natur und das, was wir in ihr sehen, auf individuelle Art und Weise und für jedes Projekt neu zu interpretieren. Wir entscheiden uns jeweils für andere Lichtfarben und Lichtmengen. Und wir denken jedes Mal das Zusammenspiel von sichtbaren Lichtquellen und Umgebungslicht neu.

Wie würden Sie Snøhettas Ansatz im Umgang mit Kunstlicht beschreiben?

Peter Girgis: Künstliches Licht kommt in jedem Projekt in zwei Formen vor: sichtbares und unsichtbares. Und das Ganze in unterschiedlichen Farben. Wir versuchen jeweils, den Kontext zu betrachten und sichtbare Lichtquellen so zu entwerfen, dass sie Idee des jeweiligen Raums verstärken. Die Funktion und das Aussehen dieser Objekte sollte Hand in Hand gehen mit dem Gesamtbild der Räume. Und dann gibt es noch das unsichtbare Licht, das den Raum mit weichen Akzenten füllt und ihm Tiefe verleiht, indem es ganze Flächen beleuchtet – und nicht nur einzelne Gegenstände oder Dinge.

Peter Girgis

Bei welchem Ihrer Projekte war die Lichtplanung ganz besonders herausfordernd?

Peter Girgis: Nehmen wir als Beispiel das Unterwasserrestaurant "Under", das fünf Meter unter dem Meeresspiegel liegt: Hier verändert sich die natürliche Beleuchtung im Laufe eines Tages ganz – und damit müssen wir auch die künstliche Beleuchtung anpassen. Im Norwegischen hat "under" die doppelte Bedeutung von "unter" und "Wunder". Die Fenster des Restaurants bieten einen Blick auf den Meeresboden, wie er sich im Laufe der Jahreszeiten und bei unterschiedlichen Wetterbedingungen anders darstellt. Wenn man von hier aus das Meer und das Licht betrachtet und wie es sich jeweils verändert, versteht man einen ganz neuen Teil unserer Lebenswelt. Denn hier wird das von oben eintretende Tageslicht durch das sich bewegende Wasser dauernd verändert.

Wie haben sich diese Beobachtungen auf die Lichtkonzeption für das Unterwasser-Restaurant ausgewirkt?

Peter Girgis: Das künstliche Licht darf an diesem Ort nur subtil und versteckt auftreten, um nicht vom Hauptfenster abzulenken oder eine Reflexion darin zu verursachen. Die kleinen Punktleuchten mit dem Farbverlauf der Stoffdecke sind nicht aufdringlich, sondern wirken in diesem Kontext zart und rücksichtsvoll.

"Under"
"Under"

Vor einiger Zeit hat Snøhetta auch begonnen, eigene Leuchten zu entwerfen. Wie kam es dazu? Und wann wird es weitere Projekte dieser Art geben?

Peter Girgis: Unser Produktdesignteam hat eine Leuchte für die Shops der Bekleidungsmarke Holzweiler entworfen, die wir gestaltet haben. Damals ging es darum, das Licht perfekt in die Idee eines Raums – und zwar in einen Raum, der eine ganz klare Funktion hat. Wir werden vor allem unser Engagement für Objektleuchten für den Einzelhandel fortsetzen um Beleuchtungslösungen zu schaffen, die perfekt zur jeweiligen Marke und der Idee hinter ihren Räumen passen.

Sie waren für Snøhetta auf der Euroluce; Ihr Büro war Special Guest. Wenn Sie zurückschauen: Wie wird die aktuelle Entwicklung künftig das Zusammenspiel von Licht und Architektur beeinflussen?

Peter Girgis: Wie mein Kollege und Direktor von Snøhetta Product Design, Marius Myking, auf der Bühne der Euroluce sagte: "Für uns wird das wichtigste Projekt immer Snøhetta sein. Wir erfinden uns ständig neu. Was als multidisziplinäres Architektur- und Landschaftsbüro in Oslo begann, hat sich zu einer multidisziplinären und globalen kreativen Kraft entwickelt, die Landschafts-, Architektur-, Innenraum-, Produkt-, Grafik- und Digitaldesign anbietet. Gemeinsam agieren diese Disziplinen an der Spitze nachhaltiger und sozialer Innovation, indem sie Snøhettas globale Erfahrung und multidisziplinäres Fachwissen nutzen. Wir glauben fest daran, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeit eine Voraussetzung für Innovation ist. Licht, sowohl natürliches als auch geplantes, ist ein wesentlicher Aspekt von nachhaltigem Design, der unser Wohlbefinden steigern und unseren CO2-Fußabdruck reduzieren kann." Um an Mykings Ausführungen anzuknüpfen: Wir haben heute bessere Möglichkeiten als je zuvor, das Wissen und die Fähigkeiten von Experten und Innovatoren in der Beleuchtungsproduktion mit den Ideen und Konzepten von DesignerInnen und ArchitektInnen zusammenzubringen. So werden neue Möglichkeiten für die Beleuchtung geschaffen. Dabei bilden die Normen und Erfahrungen der führenden Hersteller eine solide Basis für Neues. Für mich hat die Kombination von Standard- und Nicht-Standard-Lösungen ein besonders großes Potenzial.

Aus Ihrer ganz persönlichen Sicht: Wie kann man beurteilen, ob das Licht in einem Architekturprojekt gut eingesetzt ist?

Peter Girgis: Es gibt viele Möglichkeiten und verschiedene Blickwinkel, um Licht in Architekturprojekten zu beurteilen. Wichtig ist dabei die Sichtweise der BesucherInnen, wenn sie den Raum zum ersten Mal betreten. Wenn ich mich im Raum befinde und ein Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens verspüre, ein Gefühl des "Wow" – dann ist das ein Erfolg. Es ist dieser erste Eindruck. Der Moment, in dem man nicht genau weiß, was hier los ist. Ein Moment, der zwischen Klarheit und Unklarheit schwankt, zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Wenn sozusagen die Magie einer Idee im Raum oder in der Landschaft präsent ist. Dann haben die GestalterInnen meiner Meinung nach das Ziel erreicht, durch Design Bedeutung und Inspiration zu schaffen.