NACHHALTIGKEIT
Den Bestand wertschätzen
Sandra Hofmeister: Du hast dich als Kurator des dänischen Beitrags zur diesjährigen Architekturbiennale dafür entschieden, die Baustelle der Pavillon-Renovierung zum Gegenstand der Ausstellung zu machen. Was hat dich dazu bewogen?
Søren Pilhmann: Normalerweise kuratiere ich keine Ausstellungen, ich entwerfe Gebäude. Dabei gehe ich jedoch immer von dem aus, was bereits vorhanden ist. Für unseren Vorschlag zum dänischen Beitrag der Biennale haben wir uns gefragt: Warum machen wir den Pavillon selbst nicht zum Ausgangspunkt? Bei unseren Recherchen zum Gebäude haben wir einen Bericht gefunden, der vor etwa zehn Jahren verfasst wurde. Darin sind die Baumängel des Pavillons und sein dringender Renovierungsbedarf dokumentiert, doch aus verschiedenen Gründen wurde bisher nie etwas unternommen. Die Finanzierung ist natürlich immer entscheidend für ein solches Vorhaben, außerdem werden im Dänischen Pavillon jedes Jahr Ausstellungen gezeigt, die aufgebaut und wieder abgebaut werden müssen. Deshalb ist das Timing in diesem Fall enorm wichtig. Ich habe beschlossen, den Bericht als Aufruf zur Renovierung ernst zu nehmen. Gleichzeitig gab mir das die Gelegenheit, eine Grundhaltung zu vermitteln, die für mich als Architekt entscheidend ist: den Gebäudebestand wertzuschätzen.
Deine Ausstellung in den Giardini der Biennale hat den Titel "Build of Site" und sie präsentiert die sortierten Materialien der Renovierung als Exponate – ein mutiges Statement für das zirkuläre Renovieren und die Aufwertung des Bestands.
Søren Pilhmann: Wir Architekturschaffende müssen viel besser darin werden, Bestandsgebäude zu pflegen. Die umfassende und fortlaufende Renovierung des Pavillons gab uns die Möglichkeit, dieses Anliegen deutlich zu machen. Der Pavillon selbst ist unser Ausstellungsexponat, wir haben das Gebäude genutzt, um zirkuläre Sanierungsmethoden zu testen und ins Bewusstsein zu rücken. So verwandelt sich der Ausstellungsraum in eine Art Werkstatt für die Wiederverwendung vorhandener Materialien. Die Baustelle selbst wird zum Thema, der Bauschutt wird zum Ausstellungsgegenstand. Alles, was gezeigt wird, befand sich bereits im Pavillon, bevor wir begonnen haben.
Die Besucherinnen und Besucher sehen Sand, Steine und Bodenplatten. Wie ist die Relation zwischen Ausstellung und Sanierung?
Søren Pilhmann: Das Projekt funktioniert auf zwei Ebenen: Die permanente Ebene ist das Gebäude selbst, die temporäre Ebene ist die Ausstellung. Für mich ist am wichtigsten, dass die Gäste einen Raum betreten, der vollständig aus dem besteht, was bereits vorhanden war. Zum Schluss wird ein sanierter Raum mit vertrautem Erscheinungsbild entstehen. Die Renovierung und die Ausstellung sind deshalb eng miteinander verknüpft. Beide bedingen und ermöglichen sich gegenseitig. Zwar endet die Architekturbiennale offiziell im November 2025, doch auch danach wird der renovierte Pavillon bei den nächsten Biennalen genutzt.
Beschreibt das Projekt generell deine Haltung zum Umgang mit dem Bestand?
Søren Pilhmann: Ja genau. Ich glaube, wir müssen das Potenzial von Bestandsgebäuden in jedem Maßstab erkennen. Es geht nicht nur um ganze Gebäude, sondern auch um einzelne Elemente bis hin zu Partikeln, Bindemitteln und Materialeigenschaften. Wenn man all das einbezieht, vervielfachen sich die Möglichkeiten.
Welche Rolle spielt der Bestand für die Zukunft von Städten?
Søren Pilhmann: Traditionell schätzen wir Bestandsgebäude vor allem deshalb, weil es uns verschwenderisch erscheint, sie abzureißen. Dem stimme ich zu, aber ich denke, wir können noch weiter gehen. Wenn wir neue Gebäude entwerfen, sprechen wir ausführlich über den Kontext und darüber, wie sich ein Bauwerk in die Umgebung einfügt. Es geht nur selten darum, was bereits auf dem Grundstück vorhanden ist. Für mich ist der wichtigste Kontext aber immer das bestehende Gebäude selbst. Die weitere Umgebung kommt an zweiter Stelle.
Zirkuläres Bauen ist ein derzeit viel zitiertes Konzept, allerdings wird es selten vollständig umgesetzt. Welche Bedeutung hat die Kreislaufwirtschaft für die Zukunft des Bauens?
Søren Pilhmann: Sie ist unerlässlich für die Zukunft der Architektur. Das Problem ist allerdings, dass unsere Gesetzgebung ausschließlich auf Neubauten ausgerichtet ist. Deshalb müssen Umbauten und Bestandsrenovierungen Standards erfüllen, die für Neubauten festgelegt wurden. Das führt oft zu unbeholfenen Hybridlösungen, die nicht wirklich funktionieren. In einem besseren System würde die Gesetzgebung von Umbauten als Norm ausgehen und zusätzliche Klauseln für Neubauten enthalten. Wir müssen die Hierarchie umkehren.
Jede Epoche hat ihre eigenen Bauweisen und Baumaterialien. Was bedeutet das für die Sanierung von Gebäuden?
Søren Pilhmann: Die beste Methode, um ein Gebäude aus den 1970er-Jahren zu renovieren, ist doch, die Bauvorschriften aus dieser Zeit unter die Lupe zu nehmen. Das machen wir auch bei allem anderen so – wenn man ein Auto aus den 1970ern repariert, verwendet man die Originalanleitung und nicht eine aus der heutigen Zeit. Wir müssen die Logik der Zeit verstehen, in der etwas gebaut wurde. Natürlich können wir manchmal Komponenten aufrüsten, um ihre Leistung zu verbessern. Aber unsere Anforderungen sollten nicht willkürlich sein, sondern von der Kapazität des bestehenden Gebäudes ausgehen.
Wird das Bauen im Bestand also in Zukunft einfacher?
Søren Pilhmann: Ich denke schon, aber es hängt davon ab, wie wir Prioritäten setzen. Nehmen wir zum Beispiel die Barrierefreiheit. Wenn gesetzlich vorgeschrieben wird, dass Schwellen nicht höher als 15 Millimeter sein dürfen, dann ist die Wiederverwendung vieler bestehender Gebäude fast unmöglich. Wir müssen deshalb überdenken, was am wichtigsten ist. Wenn wir das nicht tun, wird uns der Abriss immer als einfachste Lösung vorkommen. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir echte Anreize für die Erhaltung des Bestands schaffen.
Die Renovierung ist oft teurer als Abriss und Neubau…
Søren Pilhmann: Das stimmt – aber nur, wenn wir es auf herkömmliche Weise angehen. Derzeit definieren wir zuerst unsere Anforderungen und erwarten dann, dass das Gebäude diese erfüllt. Natürlich scheitert das, also fügen wir zusätzlichen Raum hinzu oder nehmen etwas weg. Aber was wäre, wenn wir den Prozess umkehren würden? Wir sollten mit der genauen Analyse des Bestands beginnen und uns von ihr dazu inspirieren lassen, was ein Gebäude leisten kann. Auf diese Weise prägt der Bestand selbst die Vorgaben.
In der Moderne und ie Nachkriegsära wurde Architektur meistens auf einem weißen Blatt entworfen. Glaubst du, dass es Zeit für einen Paradigmenwechsel ist?
Søren Pilhmann: Ich hoffe es! Wir müssen besser darin werden, das zu nutzen, was wir bereits haben, und entsprechend sollte sich auch die Ästhetik von Gebäuden verändern. Es geht mir dabei nicht um Einschränkung, sondern um Erkundung. Das Bestehende bietet eine Fülle an Möglichkeiten, wenn wir sie nur sehen wollen.
Du hast für ein aktuelles Projekt mit Hanfbeton experimentiert. Welche Zukunftschancen haben Naturbaustoffe?
Søren Pilhmann: Wir arbeiten gerade für einen Bauherren, der mit biobasierten Materialien bauen wollte. Gemeinsam mit einem dänischen Hanflieferanten haben wir Hanfbetonelemente entwickelt, sie auf ihre Brandsicherheit getestet und sowohl Innen- als auch Außenwände vollständig aus Hanfbeton gebaut, dessen Oberfläche mit Kalkputz veredelt ist. Es ist faszinierend zu sehen, wie organische Materialien die Architektur prägen.
Eine Herausforderung bei biobasierten Baustoffen ist, dass sie bislang nicht so industrialisiert sind wie herkömmliche Materialien.
Søren Pilhmann: Das ist leider wahr. Aber trotzdem sind sie eindeutig ein wachsendes Geschäftsfeld mit immer mehr Lieferanten auf dem Markt. Die Nachfrage ist derzeit noch nicht stark genug, aber das wird sich bestimmt bald ändern.
19. Internationale Architekturausstellung
Bis Sonntag, 23. November 2025