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Wohnen im Raumgitter

Das Londoner Büro Space Popular hat sein erstes Architekturprojekt fertiggestellt: Das prototypische Wohnsystem vereint maximale Flexibilität und lokale Bautradition.
Text von Adeline Seidel, Fotos von Mariela Apollonio | 07.07.2020

Die grüne Stahlstruktur stört. Sie stört den gewohnten Anblick. Und das zum Glück. Denn sonst würde man das Einfamilienhaus zu schnell in eine Schublade stecken: Ein weißer Kubus, ganz der suburbane Wohntraum. Doch das Haus mit dem grünen Raumgitter ist viel mehr, als der erste Blick erahnen lässt. Erstens ist der Bau ein prototypisches Einfamilienhaus. Und zweitens ein System, das unterschiedliche, räumliche Konfigurationen erlaubt. Soweit, so gut. Doch Lara Lesmes und Fredrik Hellberg, gemeinsam führen sie das Architekturbüro "Space Popular", gelingt es, mit wenigen lokalen Elementen ein Raumerlebnis ohne dem – mitunter dogmatischen – Lebensgefühl der Moderne zu schaffen. Und daher lohnt ein genauer Blick. Das Einfamilienhaus ist das erste Gebäude, das die beiden jungen Architekten aus London fertiggestellt haben. Es befindet sich in einem Vorort Valencias: Nueva Santa Barbara, eine Siedlung von Einfamilienhäusern für die Mittelklasse. Vom Bauherr erhielten die beiden eine Carte blanche für ein frei stehendes Wohnhaus im mittleren Preissegment. Für das Wohnhaus setzten die Architekten auf Effizienz und Handwerk. Das grüne Stahlgerüst bildet ein Raster von 3,75 Metern auf 3,75 Meter mit einer Raumhöhe von knapp 3,16 Metern. Es vermittelt zwischen Innen- und Außenraum. Und es bietet die konstruktive Basis für vielfältige Haus- und Raumkonfigurationen.

Auch bautechnisch erweist sich das Raumgitter als äußerst effizient, denn auf ein Gerüst konnte ebenso verzichtet werden wie auf einen Kran. Während die Wandseiten mit industriell hergestellten Sandwichpaneelen gefüllt wurden, setzten Space Popular bei der Ausführung der Decken auf lokale Handwerkstradition: gemauerte Tonnengewölbe. "Nur noch drei Handwerksbetriebe im Großraum Valencia beherrschen diese Jahrhunderte alte Technik", erläutert Lara Lesmes. "Man benötigt bei der Herstellung keine Schalung – das spart Ressourcen." Die gemauerten Ziegeldecken belassen die Architekten in ihrer rauen Schönheit und schaffen damit ein leichtes, luftiges Raumgefühl. Die Organisation des Hauses wird durch seine Hanglage bestimmt: Auf drei Etagen gelingt es den Architekten, den Baukörper mit der Topographie über Treppen zu verbinden und immer wieder Bezüge zum Außenraum herzustellen – durch die Balkone und Terrassen, aber auch durch großzügige Fensterfronten. Man betritt den Bau über das Erdgeschoss. Hier befinden sich Küche, Ess- und Wohnbereich. Im Obergeschoss sind die Schlafbereiche und Bäder untergebracht, im Untergeschoss ein weiterer Wohnbereich, der mit dem Garten verbunden ist. Die Treppe im Zentrum des Hauses verbindet die einzelnen Etagen. Ihr grünes Geländer und die grünen Fensterrahmen verschränken sich optisch mit dem Grün der Stahlstruktur.

"Während wir bei unseren anderen Projekten, wie beispielsweise die Ausstellungsarchitekturen, gefragt werden, ganze Welten zu erschaffen,
war das Interessante bei dieser Bauaufgabe, dass wir nicht wissen, wer das Haus beziehen wird", beschreibt Fredrik Hellberg die Herausforderung des Projektes. Der neue Bewohner solle in der Lage sein, sich das Haus anzueignen, doch zugleich bedürfe es gewisser Merkmale, wie beispielsweise der Gewölbedecken aus Ziegel und das omnipräsente Raumgitter, die dem Haus einen besonderen Charakter verleihen. Mit diesen wenigen, aber einprägsamen und flexiblen Gestaltungselementen gelingt es dem Londoner Architekten-Duo ein modulares Wohnhaus zu schaffen, das kein generisches Wohnprodukt ist. Das wäre auch so gar nicht Space Populars Entwurfs-DNA, denn "idealerweise möchten wir", so erklärt Lara Lesmes ihre Entwurfsprämisse, "im Rahmen der vorhandenen Ressourcen ein zugängliches wie eindrückliches Raumerlebnis schaffen."