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An der RWTH Aachen wurde ein 4D-gedrucktes Exoskelett entwickelt, das die menschliche Greifkraft unterstützt.

STYLEPARK TECHTEXTIL
Stoff voller Energie

Auf der Techtextil, die vom 14. bis zum 17. Mai 2019 in Frankfurt am Main stattfindet, sind wieder wegweisende Entwicklungen auf dem Gebiet der technischen Textilien und Vliesstoffe zu sehen. 4D-Textilien – programmierbare textile Strukturen – werden auf der internationalen Leitmesse ein wichtiges Thema sein.
von Sascha Peters | 25.04.2019

Wie von Zauberhand verändern 3D gedruckte Strukturen unter Einfluss von Wärme, Licht oder Feuchtigkeit ihre Form: Was am Self Assembly Lab des MIT in den USA begann, wird von Trendforschern als einer der aussichtsreichen Zukunftstrends mit einem disruptiven Charakter bewertet: 4D Printing! Forscher versprechen sich von der Technologie Anwendungsszenarien für sich automatisch an die Durchströmmenge anpassende Rohrleitungen, sich selbst montierende Möbel oder formveränderliche Fahrzeugkarrosserien in der Automobilindustrie. An zahlreichen Einrichtungen wird mittlerweile weltweit zum Thema 4D Printing geforscht.

Im Windschatten dieser Forschungsaktivitäten hat sich unter dem Namen "4D Textilien" ein weiteres Technologiefeld entwickelt, dessen Potenziale sich leichter erschließen lassen und vor allem für die Textilindustrie eine hohe Bedeutung haben könnten. Gemeint ist eine Verfahrensinnovation, bei der vorgespannte Textilien mit einem Kunststoff bedruckt werden und im Anschluss selbsttätig eine Geometrieveränderung in die dritte Dimension vollziehen. Da die für den Formveränderungsprozess benötigte Energie im Textil bereits gespeichert wurde, vollzieht sich die Verformung ohne externe Energiezufuhr.

Der "Active Shoe" – ein formveränderlicher Schuh, der im 4D-Druckverfahren hergestellt wurde.

Ihren Ausgangspunkt nahm die Entwicklung Ende 2014 wiederum am Self-Assembly Lab des MIT. Als "Programmable Textiles" wurden verschiedene formveränderliche Strukturen für eine Reihe von Einsatzfeldern untersucht. In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Designer Christophe Guberan entstanden zum Beispiel Objekte für die Life On Foot-Ausstellung der Schuhmarke Camper am London Design Museum. Als "Active Shoe" wurde dort ein 4D gedruckter Schuh vorgestellt. 

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern am Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen konnte ein Simulationstool zur Vorhersage der dreidimensionalen Verformung entwickelt werden. Mit diesem war es dem Forscherteam möglich, an Anwendungen von 4D-Textilien für die Medizintechnik zu arbeiten. Beispielsweise entstand ein Exoskelett durch Bedrucken eines vorgespannten Textils mit einem Polymer, das dem Träger durch die im Textil gespeicherte Energie den Ablauf verschiedener Bewegungen erleichtern kann. Für ihre Arbeiten zur "Additiven Fertigung hybrider Werkstoffe für zeitlich formveränderliche Anwendungen" wurden Wissenschaftler des ITA im Jahr 2017 mit dem Innovation Award der RWTH Aachen ausgezeichnet.

Unter Designern und Architekten erfreuen sich die neuen Möglichkeiten beim Arbeiten mit 4D-Textilien derzeit großer Beliebtheit. An einer ganzen Reihe von Einrichtungen werden die Möglichkeiten für den Einsatz untersucht und die Grenzen des Druckens auf Textilien ausgelotet. Die Designerin Cathryn Mc Anespy aus Berlin hat einige Ergebnisse ihres Forschungsprojekts "Morphables" vorgestellt und Einsatzfelder von programmierbaren Textilien für Mode und Produktdesign beschrieben. Eine Arbeit zur Festlegung präziser Bewegungsmuster in textilen Strukturen von Dorothea Lang von der Kunsthochschule Burg Giebichenstein wurde 2018 bei der purmundus challenge mit einer Anerkennung gewürdigt.

"Morphables" nennt die Berliner Designerin Cathryn Mc Anespy die von ihr entwickelten programmierbaren 4D Textilien für smartes Design.

Konzepte zur Umsetzung akustisch wirksamer 4D-Textilien kommen von Designern aus Köln. Das "sonogrid"-Materialsystem bietet Möglichkeiten zur Minderung akustischer Belastung an stark frequentierten öffentlichen Räumen. Der gedehnte, grobmaschige Stoff verformt sich nach dem Druckprozess in eine dreidimensionale Struktur und bildet dabei Pyramiden aus. Diese lassen sich in Größe und Ausrichtungen optimal an die unterschiedlichen Raumbegebenheiten anpassen, so die Idee der Kreativen. Für den Bereich der Architektur haben Jan Serode und David Schmelzeisen von der RWTH Aachen die Möglichkeiten zur Verwendung von 4D-Textilien als Verschattungssystemen in adaptiven Fassaden in einem Forschungsbericht "4D adaptive building skin" einer Konferenz der TU Delft am 19. Januar 2019 beschrieben. 

Man darf gespannt sein, welche weiteren Anwendungsbereiche für die neue Technologie die Aussteller der Techtextil im Mai nach Frankfurt am Main mitbringen werden. Die Messe, die sich längst zum wichtigen Technologie-Hub der Branche entwickelt hat, wird einen ausschlussreichen Blick in die Zukunft der 4D-Textilien erlauben.

Techtextil - Internationale Leitmesse für Technische Textilien und Vliesstoffe

Messe Frankfurt
Vom 14. bis 17. Mai 2019

Öffnungszeiten: 

9 – 18 Uhr (14. bis 16. Mai)
9 – 17 Uhr (17. Mai)

"Sonogrid" ist ein akustisch wirksames 4D-Textil