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Mehr als nur Lärm

Dr. Thomas Kusitzky ist Forscher und Berater für Stadtklanggestaltung. Warum die Auseinandersetzung mit dem Klang für das städtische Leben und Erleben wichtig ist, sagt er uns im Interview.
05.09.2022

Anna Moldenhauer: Herr Dr. Kusitzky, wie klingt die Stadt der Zukunft?

Thomas Kusitzky: Idealerweise sollte sie so klingen, wie wir uns das für ein gelungenes urbanes Leben vorstellen. Den konkreten Stadtklang müssen die kommenden Generationen allerdings erst aushandeln. Aus unserer heutigen Perspektive ein allgemeingültiges Klangideal für die Stadt der Zukunft zu entwickeln, ist schwierig. Große Visionen, die sich im Nachhinein als problematisch herausgestellt haben, gab es in der Stadtplanung ja bereits häufiger. Es geht daher weniger um einen Masterplan. Eher um Aushandlungsprozesse, die seitens der Menschen stattfinden müssen, die in der Stadt leben und diese mitentwickeln. Was man jedoch bereits heute analysieren kann, sind bestehende Problemfelder, wie der Verkehrslärm, um die wir uns kümmern müssen, aber auch klangliche Aspekte, die aktuell schon als gelungen angesehen werden können.

Wie kann ich mir Ihre Arbeit konkret vorstellen?

Thomas Kusitzky: Anfangs habe ich mich künstlerisch dem Klang der Stadt genähert, bin aber dann bald schon in der Forschung tätig geworden. An der Universität der Künste (UdK) in Berlin habe ich dann vor ungefähr fünfzehn Jahren gemeinsam mit KollegInnen einen Forschungsschwerpunkt gegründet, die Auditory Architecture Research Unit. Mehrere unserer Projekte wurden damals vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung gefördert – da ging es vor allem um ganz grundlegende Fragen, beispielsweise was der Gestaltungsgegenstand ist, wenn man vom Klang der Stadt spricht. Mit was hat man es da konkret zu tun? Wir kamen zu dem Schluss, dass der Klang der Stadt vor allem als Wahrnehmungsphänomen zu betrachten wäre. Darauf aufbauend entwickelten wir Methoden, wie man den Klang der Stadt als Wahrnehmungsphänomen erfassen, darstellen und gestalten kann.

Also eine Kombination aus Forschung und Praxis, ergänzt um die freie künstlerische Ausarbeitung?

Thomas Kusitzky: Mein Ausgangspunkt war zwar Klangkunst im öffentlichen Raum. Später ging es dann aber vor allem darum, wie man den Klang alltäglicher städtischer Räume in Gänze gestalten kann. Die Forschungsprojekte waren dabei stets praxisorientiert. Dabei musste ich allerdings feststellen, dass trotz der Orientierung an der Praxis ein gewisser akademischer Rahmen von uns nicht verlassen werden konnte. Aus diesem Grund wagte ich vor kurzem einen weiteren Schritt in Richtung Praxis: Seit Juli arbeite ich nun für das Unternehmen Müller-BBM in der Niederlassung Berlin. Die Idee besteht darin, die bereits vorhandenen, eher technisch-akustisch geprägten Beratungsleistungen in der Bauleitplanung, um das Thema der Stadtklanggestaltung zu erweitern, um möglichst viele Einflussfaktoren zu berücksichtigen.

Warum ist das Feld des auditiv-städtischen Gestaltens bislang kaum entwickelt?

Thomas Kusitzky: Darüber lässt sich nur spekulieren. Aus dem Bereich der Lärmforschung gibt es ja auch bereits viele Studien und auch daraus resultierende Vorschriften. Dabei geht es aber ausschließlich um Stadtklang als Belästigung. Diese Betrachtungsweise wurzelt vor allem in der Zeit des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als durch die immer umfassendere Industrialisierung und später die Elektrifizierung die Städte als zunehmend lärmend empfunden wurden. Die positiven Aspekte des Stadtklangs erhalten hingegen bis heute wenig Aufmerksamkeit. Meines Erachtens sind diese aber extrem wichtig für das städtische Leben und Erleben.

Da stimme ich Ihnen zu, die technische Seite des Klangs wird zum Beispiel in der Planung von Innenräumen mit großem Engagement diskutiert, auch mit Blick auf das Wohlbefinden der Menschen im Raum. Sprechen wir über Architektur, kommt dem Klang hingegen wenig Bedeutung zu.

Thomas Kusitzky: In der Architektur steht im Zusammenhang mit Klang meist nur das Funktionale im Vordergrund. Dabei geht es dann z.B. um eine optimierte Raumakustik für eine gute Sprachverständlichkeit oder für bestimmte Musikaufführungen. Das Ziel steht von Vornherein fest und soll mit technischen Mitteln erreicht werden. Weitere Betrachtungen hinsichtlich auditiver Qualitäten in den Innenräumen finden in der Regel nicht statt. In Bezug auf die klanglichen Außenwirkung der jeweiligen Gebäude sieht es nicht besser aus: Was klanglich ausgestrahlt wird oder wie Bauteile den Schall reflektieren, spielt höchstens hinsichtlich etwaiger Lärmschutzbestimmungen eine Rolle.

Wie bringt man einen Raum zum Klingen?

Thomas Kusitzky: Innerhalb von Gebäuden kann durch die Raumgröße, durch ihre Form und durch die Art der Oberflächen die Schallausbreitung gesteuert werden. Das ist letztlich klassische Raumakustik. Wenn z.B. die Oberflächen eines Raums den Schall stark reflektieren, wirkt dieser größer – es entsteht aber mitunter auch eine kühlere Atmosphäre. Darüber hinaus ist es wichtig, im Auge zu behalten, was wann von außen an Schall eindringt. Also mit was muss ich in den einzelnen Räumen rechnen und für welche Nutzung eignet sich der jeweilige Raum dann überhaupt. Und die Nutzung der Räume selbst wirkt sich dann natürlich auch auf das Klangerleben aus. Denn hierdurch ergeben sich ja erst die meisten Klangereignisse. Beim Stadtraum ist es nochmal anders, da dort sehr viele unterschiedliche klangrelevante Aktivitäten parallel stattfinden und in die Planung miteinbezogen werden müssen. Entscheidend ist dabei die Organisation von Räumen. Mitunter kann es sogar sinnvoll sein, Attraktionspunkte zu schaffen, um Menschen zum Aufenthalt einzuladen. Deren Aktivitäten sind dann hörbar.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Thomas Kusitzky: Wir hatten an der UdK ein größeres Forschungsprojekt für den unter Denkmalschutz stehenden Ernst-Reuter-Platz in Berlin. Der etwa 180 Meter große Platz besteht aus einem mehrspurigen Kreisverkehr, einer großen Mittelinsel und mehreren großen Seitenflächen, die jedoch weitgehend ungenutzt sind. Umstellt ist der Platz von mehreren Bürogebäuden. Zudem liegt der gemeinsame Campus der UdK und der Technischen Universität in direkter Nachbarschaft. Hierdurch sind wochentags immer recht viele Menschen unterwegs. Interessanterweise sind diese aber fast nicht hörbar. Stattdessen hört man fast ausschließlich Straßenverkehr, auch wenn dieser, zumindest auf den großen Seitenflächen, gar nicht so laut ist. Dass die vielen Menschen kaum zu hören sind, liegt vor allem daran, dass sie den Platz nur queren, sich aber nicht dort aufhalten. Es sind daher kaum Unterhaltungen zu hören und auch andere Aktivitäten, die hörbar sein könnten, finden nicht statt. Die Mittelinsel ist ebenfalls kaum belebt. Auch hier gibt es wenig Anreiz für einen Aufenthalt. Natürlich würde es helfen, den Verkehr etwas zu verlangsamen und hierdurch akustisch zu reduzieren. Hierdurch würden aber noch keine anderen Aktivitäten hörbar, da diese ja nicht stattfinden. Der Platz bliebe unbelebt und öde. Eine Lösung wäre daher, Anreize für den Aufenthalt zu schaffen. Das könnte beispielsweise im Winter eine Schlittschuhbahn oder im Sommer einen Basketballplatz sein. Natürlich wäre auch so etwas wie ein Café oder ähnliches denkbar, etwas das Lebendigkeit auf den Platz bringt und gegen die Eintönigkeit des Verkehrs wirkt.

Sprich es zählt bei der Stadtplanung menschliche Dynamiken mitzudenken und eine Homogenität der Klänge zu vermeiden?

Thomas Kusitzky: Wenn man an diesem Platz andere Aktivitäten etablieren könnte, stünde der Verkehrslärm nicht mehr im Vordergrund. Da jeder Ort allerdings jeweils eigene Voraussetzungen bietet und es auch davon abhängig ist, was man dort etablieren möchte, würde ich nicht sagen, dass eine Heterogenität der Klänge grundsätzlich gut ist.

Das Klangkonzept des einen Ortes ist also nicht auf den anderen übersetzbar. Haben Sie in Ihrer Forschung erfahren können, ob die Qualität eines öffentlichen Raumes als höher wahrgenommen wird, wenn der Mensch sich selbst hört, zum Beispiel seine eigenen Schritte?

Thomas Kusitzky: Das ist in der Tat so. Wir haben zwar keine wissenschaftlichen Studien hierzu durchgeführt, aber es gibt auf jeden Fall ein diesbezügliches Erfahrungswissen. Gerade in Berlin nimmt man sich an den großen, mehrspurigen Straßen häufig kaum selbst wahr. Man hört die eigenen Schritte nicht, hört nicht wie die Kleidung raschelt, wenn man sich bewegt. An manchen Straßen muss man zudem sehr laut reden, um sich überhaupt verstehen zu können. Die Selbstwahrnehmung, dieses Selbstbewusstsein ist glaube ich eine Qualität, die an den meisten Orten anzustreben wäre. Es gibt zwar auch Orte, wo es gerade darum geht, in der Masse aufzugehen, wie auf Märkten. Aber in vielen Situationen ist es unangenehm, wenn man sich nicht selbst wahrnimmt, weil man quasi erdrückt wird von den Umgebungsklängen.

Gibt es Materialien, die Sie mit Blick auf ihren Klang in der Architektur gerne zu vermeiden wüssten?

Thomas Kusitzky: Das kommt sehr auf den Gesamtkontext an. Glas beispielsweise, das ja sehr stark schallreflektierend ist, ist nicht grundsätzlich ein schlechtes Material. Man muss sich allerdings bewusst sein, was es bewirkt. Dann kann man den Effekt gezielt einsetzen. Das große Problem der vielen Glasfassaden in der Stadt besteht darin, dass es zurzeit noch einen ausgeprägten automobilen Straßenverkehr gibt, dessen Geräusche durch Reflexionen an glatten Wänden verstärkt werden. Visuell wird außerdem bei Glasfassaden viel von Transparenz gesprochen. Rein akustisch sind sie aber das Gegenteil, da sie nur wenig Schall durchlassen. Übrigens, wenn man ein Fenster öffnen kann, dann hat das durchaus auch eine klangliche Qualität: man hat die Möglichkeit, sich mit dem Außenraum zu verbinden. Es ist eine Form der Teilhabe.

Gibt es Töne, die Sie in der Stadt gezielt suchen?

Thomas Kusitzky: Das kommt auf die Situation an, in der ich mich befinde und darauf, was ich im jeweiligen Moment möchte. Den einen, idealen Stadtklang gibt es meines Erachtens nicht. Die Stadt sollte vielmehr für die BewohnerInnen eine Vielfältigkeit bieten: Vom Zugang zu ruhigen Orten wie zu jenen, die eine Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen. Mit der Gemeinschaft verbunden sein, aber dennoch eine Privatsphäre haben. In einem Projekt von mir sagte eine befragte Bewohnerin einmal, sie möchte ihre NachbarInnen hören, aber nicht verstehen. Ich glaube, eine Art der Staffelung wäre anzustreben. Wenn man beispielsweise Wohnarealen vor der Stadt keine Vielfältigkeit zuspricht, sind diese tagsüber unbelebt, was für die Menschen, die nicht morgens zur Arbeit fahren eine wahnsinnige akustische Leere bedeuten kann. Man ist dann kein Teil der Gemeinschaft mehr.

Vielfältige Klangsituationen haben somit auch Auswirkungen auf das soziale Verhalten, auf ein Gefühl des Miteinanders. Parallel wird Stille bei der Suche nach Wohnraum oft als hohes Gut angepriesen und entsprechend bezahlt. Was meinen Sie dazu?

Thomas Kusitzky: Das ist ein interessanter Punkt, dieses Ideal der Stille, das in den letzten Jahren immer wieder propagiert wurde, beispielsweise in einigen Leitfäden zum Lärmschutz. Ich würde sagen, das ist die falsche Richtung. Wenn es ein Lärmproblem gibt, ist die Kurzschlussreaktion häufig, möglichst viele Klänge zu entfernen. Wenn man Lärm als unerwünschten Klang definiert, dann ist die Lösung in den meisten Fällen nicht kein Klang, sondern ein erwünschter Klang.

Wie der Stadtklang wahrgenommen wird, ist sehr individuell. Wie kann man eine Stadt gestalten, die für den Querschnitt der BewohnerInnen als angenehm empfunden wird?

Thomas Kusitzky: Der Annahme, dass das Empfinden nur subjektiv ist, würde ich teils widersprechen. Natürlich hört jede Person für sich und jede hat ein individuelles Klangerleben. Das Wichtigste für das auditive Erleben ist aber die eigene Hörbiografie. Und hier gibt es gewaltige Überschneidungen. Wir teilen viele Hörerfahrungen mit unseren Mitmenschen, gerade wenn es um den gleichen Kulturkreis geht. Wir sind an gleichen Orten aufgewachsen, sind zu großen Teilen mit den gleichen Klängen konfrontiert gewesen und hatten auch ähnliche Erlebnisse damit. Das Klangerleben ist daher zwar individuell, da jede Person für sich hört. Aber es ist zugleich eben auch intersubjektiv, da das momentane Erleben auf gemeinsamen Erfahrungen beruht. Auf dieser gemeinsamen Grundlage lässt sich dann auch gestalten. Es lässt sich mit einer gewissen Sicherheit sagen, was anzustreben und was zu vermeiden ist, auch wenn es nicht möglich sein wird, dass der jeweilige Gesamtklang immer allen gefällt – im visuellen Bereich der Architektur ist das ja nicht anders.

Es gibt in der Diskussion um den Klang der Mobilität in der Stadt viele Sichtweisen – die Motoren von Autos werden im Zuge des Elektroantriebes leiser, gleichzeitig braucht es Töne für die Orientierung und Sicherheit im Straßenverkehr. Parallel wird bei den aktuellen Concept Cars viel mit dem Sounddesign experimentiert. Wo würden Sie sich positionieren?

Thomas Kusitzky: Mit der Elektromobilität werden viele Hoffnungen nach weniger Verkehrslärm verbunden, da die Motoren kaum mehr zu hören sind. Dabei sind bei einer Geschwindigkeit von mehr als 35 km/h die Geräusche der Reifen viel relevanter. Als Hoffnungsträger für eine leise Stadt scheiden die Elektroautos außerdem aus, da diese bei Tempi unter 20 km/h zur Vermeidung von Unfällen seit einiger Zeit künstliche Geräusche von sich geben müssen. Ich würde in Hinblick auf die Qualität des Stadtklangs daher eher für eine umfassendere Verkehrswende plädieren, weg vom eigenen PKW. Hierdurch könnte dann bisheriger Straßenraum auch umgewidmet werden, so dass durch die neuen Nutzungen das jeweilige Umfeld klanglich bereichert würde.

Teils werden an Haltestellen des Nahverkehrs Töne produziert, die eine angenehme Atmosphäre erzeugen sollen. Wie weit würden Sie sagen, ist es vertretbar die Stimmung von Menschen in Städten durch Klang beeinflussen zu wollen?

Thomas Kusitzky: Sobald das manipulativ geschieht, ist es aus meiner Sicht abzulehnen. Es gibt zum Beispiel ein Gerät, das nennt sich "The Mosquito". Das erzeugt ein sehr hohes, lautes Piepsen, über 17.000 Hertz. Das wird bereits eingesetzt, um Jugendliche von ausgesuchten Plätzen zu vertreiben. Im Alter lässt das Hörvermögen im oberen Frequenzbereich nach. Daher stört das Geräusch nur eine bestimmte Altersgruppe. Bei Musik im öffentlichen Raum bin ich ebenfalls sehr skeptisch. Denn ob mir die dargebotene Musik zusagt, hängt sehr stark vom meinem persönlichen Geschmack und natürlich auch von meiner momentanen Stimmung ab. Da etwas zu finden, das für alle immer funktioniert, dürfte aussichtslos sein.

Buchtipp:
Thomas Kusitzky
Stadtklanggestaltung

Konditionen einer neuen Entwurfs-, Planungs- und Entwicklungspraxis
transcript Verlag
Sprache: Deutsch
296 Seiten
ISBN: 978-3-8376-5949-8

49 Euro

Bauen heißt hören! – Stadt Klang Gestaltung (5)