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Drahtseilakt

Im Dezember 2021 wurden sieben neue U-Bahnhöfe in Karlsruhe fertiggestellt. Das Lichtkonzept dazu stammt von Ingo Maurer, dessen Entwurf eine spannungsvolle Verbindung mit der zurückgenommenen Architektur eingeht.
24.01.2022

2002 machte ein Bürgerentscheid in Karlsruhe den Weg frei für einen Stadtbahntunnel mit sieben neuen U-Bahnhöfen. Ziel war es, die Innenstadt fußgängerfreundlicher zu gestalten, die zentrale Kaiserstraße in einen verkehrsfreien Boulevard zu verwandeln und das Verkehrsnetz zu optimieren. Am 11. Dezember 2021 wurde der Stadtbahntunnel schließlich der Öffentlichkeit präsentiert. Die einzelnen Haltestellen folgen dabei einem einheitlichen Gestaltungsprinzip, mit einer hellen und reduzierten Architektur. Dafür kamen großformatige Betonwerksteine am Boden und bis zur halben Wandhöhe zum Einsatz, während die oberen Wandflächen und Decken als Trockenbaukonstruktion mit akustisch wirksamen Oberflächen ausgeführt wurden. Für das Gestaltungskonzept der U-Bahnhöfe zeichnet Allmann Sattler Wappner Architekten aus München verantwortlich, die 2004 einen dazu ausgelobten Wettbewerb für sich entscheiden konnten. Mit im Team war der 2019 verstorbene Designer Ingo Maurer, der das Lichtkonzept entwarf. Wir sprachen mit Lichtplaner Sebastian Utermöhlen vom Team Ingo Maurer über die Idee dahinter.

Alexander Russ: Herr Utermöhlen, wie kam die Zusammenarbeit mit Allmann Sattler Wappner Architekten für die U-Bahnhöfe in Karlsruhe zustande?

Sebastian Utermöhlen: Das Ganze geht auf einen Wettbewerb zurück, den Allmann Sattler Wappner Architekten zusammen mit uns als Lichtplaner 2004 gewonnen haben. Der Bau hat ja etliche Jahre in Anspruch genommen, weshalb wir damals schon eine Entwurfsidee für die Lichtgestaltung präsentiert haben, die möglichst viel Spielraum für die verwendete Technik lässt.

Warum das?

Sebastian Utermöhlen: Man konnte damals noch gar nicht sagen, wie sich die LED-Technik entwickelt. Es gab also eine Absichtserklärung, die erst konkret werden sollte, wenn das Innere der sieben U-Bahnhöfe gestaltet wird. Dafür haben wir eine Stahlseilkonstruktion entworfen, die dann später mit Leuchten bestückt werden sollte.

Sie haben also eine Struktur geschaffen und dabei offengelassen, wie diese dann später konkret bespielt wird.

Sebastian Utermöhlen: Genau. In unserer Produktionsstätte in Aubing haben wir 1:1-Modelle gebaut, um den Entwurf zu testen – zum Beispiel wie die Leuchten auf den Seilen befestigt werden oder die Geometrie der Kabelschlaufen, bevor sie sich mit den Leuchten verbinden.

Welche Verbindung gehen Architektur und Lichtplanung in Karlsruhe ein?

Sebastian Utermöhlen: Die Architektur ist ja immer zuerst da und deshalb sehen wir die Lichtplanung in diesem Zusammenhang als dienendes Medium. Das heißt, wir schauen, was die Architektur vorgibt und welches Konzept die ArchitektInnen verfolgen, um darauf dann einzugehen. Das Konzept von Allmann Sattler Wappner Architekten sah vor, die U-Bahnhöfe gestalterisch miteinander zu verbinden und meditative Räume zu schaffen, die als Gegenpol zur oberirdischen Architektur dienen. Die Fußböden, Wände und Decken sollten deshalb möglichst homogen sein und eine helle, freundliche Ausstrahlung haben. In diesem Umfeld haben wir dann unsere sogenannten "Seilgespinste" platziert, auf denen die Leuchten angeordnet wurden. Dabei handelt es sich um eine Stahlseilkonstruktion, bei der Seile, Klemmen, Isolatoren und Abspannungen als eine Art Oberleitungssystem geführt werden. Die eigentliche Architektur bleibt davon aber unberührt, da die Seile frei im Raum schweben und nicht in die Wände oder Decken integriert sind.

Woher kam die Inspiration für die "Seilgespinste"?

Sebastian Utermöhlen: Aus der Oberleittechnik der Zuginfrastruktur. Je näher man einem Bahnhof kommt, umso mehr verdichtet sich diese, da die Gleise dort zusammenlaufen. Es ist ein bisschen wie bei Ingo Maurers Leuchte "bulb", für die er die Glühbirne als Symbiose aus Technik und Poesie interpretiert hat. Das Arbeiten mit Seilsystemen gab es bei ihm auch schon bei früheren Entwürfen – zum Beispiel bei seiner Leuchte "YaYaHo". Man kann das Ganze aber auch mit einer Komposition vergleichen, bei der die Leuchten wie Noten auf den Seilen platziert werden.

Was waren die funktionalen Herausforderungen bei der räumlichen Implementierung des Lichtkonzepts?

Sebastian Utermöhlen: Die Gesamtstruktur der Bauten steht ja im Vorfeld meistens schon fest, da sie den oberirdischen Bedingungen geschuldet ist. Das betrifft Parameter wie die Raumhöhe, die Lage der Ausgänge oder das Bahnsteigniveau – und alle sieben U-Bahnhöfe haben unterschiedliche Räumlichkeiten. Das Seilkonzept hat sich diesbezüglich als sehr flexibel erwiesen, besonders bei unterschiedlichen Raumhöhen oder verwinkelten Geometrien. Wenn ich mit einem Raster arbeite, geht es sich in den Ecken ja meistens nicht aus. Unser Konzept hingegen ist anpassungsfähig – das gilt auch für die geforderte gleichmäßige Beleuchtung der U-Bahnhöfe, da die Leuchten flexibel auf den Seilen positioniert werden können und es zudem zwei Seil-Ebenen gibt, auf denen die Leuchten jeweils angeordnet sind.

Ein weiteres Element der Lichtgestaltung sind die farbigen Schatten, die durch die Leuchten am Boden erzeugt werden. Was hat es damit auf sich?

Sebastian Utermöhlen: Die farbigen Schatten waren von Anfang an Bestandteil des Entwurfskonzepts. Dabei ging es Ingo Maurer vor allem darum, etwas Farbe in Form von Licht in die Räume zu bringen.

Wie funktioniert das genau?

Sebastian Utermöhlen: Wenn man rotes, grünes und blaues Licht mischt, entsteht weißes Licht. Dazu haben wir drei unterschiedliche und unregelmäßig angeordnete Spots auf dem Seilsystem platziert, die weiße Lichtpunkte auf dem Boden erzeugen. Sobald die Fahrgäste diese Lichtpunkte durchschreiten, nehmen sie Teile der jeweiligen Farben weg und die komplementären Farben tauchen dann als Schatten auf dem Fußboden auf. Es entsteht also ein Farbspiel, das über die Fahrgäste inszeniert wird.

Sie haben auch die jeweiligen Zwischengeschosse der U-Bahnhöfe gestaltet. Wie sieht hier das Lichtkonzept aus?

Sebastian Utermöhlen: Die Oberflächen in den Zwischengeschossen bestehen aus gestocktem Beton und sind rauer gehalten als beim Bahnsteigbereich. Die Beleuchtung reagiert darauf mit einer freien und gleichzeitig gerichteten Lichtverteilung. Dabei handelt es ich um in die Decke eingelassene Konen, die an unsere Leuchte "Light Cone L" angelehnt sind. Die Leuchten sind zurückgesetzt und die Konen schräg nach innen verzogen, so dass das Licht gezielt ausgerichtet werden kann. Zudem ergeben sich dadurch Lichtkegel an den Wänden. Hinzu kommt eine Handlauf-Beleuchtung für die Treppen, die eine Art Lichtsockel erzeugt.

Früher war die Lichtplanung ein untergeordneter Teil der Elektroplanung. Kann man anhand der Karlsruher U-Bahnhöfe und der Zusammenarbeit mit einem berühmten Designer wie Ingo Maurer ablesen, dass der Lichtplanung mittlerweile mehr Bedeutung beigemessen wird?

Sebastian Utermöhlen: Ja, das würde ich schon sagen. Bei den alten Verkehrsbauten ging es oft um das Thema Effizienz und den Einsatz von möglichst wenig Leuchtmitteln. Das hat in den 1970er-Jahren zu Bahnhöfen geführt, bei denen es eine durchgängige Leuchtstofflinie mit einer dementsprechend eintönigen Beleuchtung gab. Und das war eines der großen Themen von Ingo Maurer: Räume zu schaffen, deren Licht unterhaltsam ist und eine gelungene Atmosphäre schafft.