top
Rendering

NACHHALTIGKEIT
Fortsetzung folgt

Das junge Berliner Start-Up Urban Beta will integrative, innovative und transformative Räume schaffen. Mit BetaPort haben sie ein zirkuläres, modulares Holz-Hybrid-Bausystem on demand mit partizipativem Ansatz entwickelt. Das Konzept erklärt uns Marvin Bratke, Managing Partner des Studios, im Interview.
30.03.2023

Simone Kraft: Ihr plant integrative, innovative und transformative Raumsysteme durch soziale Inklusion und partizipative Gestaltung, so lautet euer Versprechen. Was heißt das?

Marvin Bratke: Unsere Raumgestaltung ist von verschiedenen Innovationsfaktoren aus den Bereichen Technologie, Ökonomie und Sozialem geprägt. Wir entwerfen Räume als offenes System, als erweiterbare Konstrukte, die mit uns wachsen können, und fangen dabei auf Software- und Digitalebene an: Wir entwickeln Automatisierung und digitale Werkzeuge, die eine holistische und vorrausschauende Planung ermöglichen. Dabei entstehen größere Effizienzen durch weniger Schnittstellen und planbare Kostensicherheit für alle Projektbeteiligten. Dies sieht man allen unseren Projekten an, vor allem natürlich unserem Bausystem BetaPort – Gebäudetechnologie für zirkuläre und wandelbare Gebäude, die mit geringem Energie- und CO2-Aufwand um- oder zurückgebaut werden können.

Ehe wir auf das Bausystem BetaPort eingehen, verrätst du uns, wie der Entwurf als vorausschauende Planung bei euch abläuft? Wie entstehen Ideen?

Marvin Bratke: Ideen entstehen auf verschiedenste Weisen. Wir entwerfen im Kollektiv und stellen früh die Weichen, so dass wir nicht später nachjustieren müssen. Wir bauen uns auch immer wieder kleine Helfer, sei es aus generativen Planungstools, KI-Werkzeugen oder parametrischen Entwurfsbaukästen. Ideen entstehen im Gespräch. Es ist uns sehr wichtig, den Dialog fördern – unsere Designs sind ja auch bewusst im Beta-Modus und niemals fertig. Unsere Entwürfe, Planungen, Entwicklungen fließen durch digitale und analoge Feedback-Runden mit AkteurInnen aus verschiedenen Disziplinen. So entsteht ein gewisser Sicherheitsmechanismus, bei dem Entwürfe und Planungen von allen Seiten beleuchtet und auf Herz und Nieren getestet werden. Der ständige Beta-Test.

Das Beta ist bei euch Programm, buchstäblich – es steckt nicht nur im Namen eures Büros, es verbindet auch all eure Projekte in eurem Urban Beta-Kosmos. Was bedeutet es?

Marvin Bratke: Das Wort "Beta" ist der Videospiel-Industrie entnommen: Wir sind im ständigen Beta-Modus, wir sind nie fertig, unsere Gebäude und Entwürfe haben den Wandel in ihrer DNA inbegriffen. Sehr deutlich sieht man das in unserem BetaPort System, das rückbaubare und veränderbare Gebäude ermöglicht, die sicherer sind für eine Zukunft, die sich konstant ändert. Inspiriert von offenen Systemen, die Plug-ins, Erweiterungen, pluralistisches Handeln und Schwarmintelligenz aktivieren, gehen wir einen anderen Weg als bisher üblich. Unser Namensbestandteil "urban" wiederum leitet sich aus einem architektonisch-städtebaulichen Teil ab. Hier gehen wir auf unsere Wurzeln ein, transformative Gebäude zu schaffen mit echtem sozialem Impact. Räumliche Innovation auf allen Ebenen steckt uns im Blut und wir sehen diese als Treiber unseres Handelns.

Was lässt das BetaPort System revolutionär werden?

Marvin Bratke: Unser BetaPort System ist das erste zirkuläre und modulare Bausystem für nachhaltige Gewerbebauten on demand. Wir bieten adaptive Raumsysteme, die flexibel nutzbar sind und einer Open Source-Mentalität folgen. Damit erschließen wir neue Service-basierte Modelle für Gebäude. Ermöglicht wird dies durch unseren legoartigen Baukasten, mit dem Strukturen nicht nur schnell, präzise, nachhaltig, sondern auch kostensicher geplant und errichtet werden können. Über digitale Planungstools wie Beta Builder, unseren Konfigurator, garantieren wir vereinfachte und automatisierte Planungsketten mit direkter Anbindung an die digitale Fertigung. Die digitalen Zwillinge unserer Gebäude lassen sich im Beta Builder über ein Web-Interface mit leichtem Zugang optimieren.

Wie wird der BetaPort Konfigurator funktionieren?

Marvin Bratke: Unser digitaler Designprozess baut auf Automatisierung auf, um Fehler bei Planung, Ausführung und Konstruktion in der Fabrik und vor Ort zu minimieren. Der Konfigurator dient als interaktive Plattform, um die Projektbeteiligten, die EntscheidungsträgerInnen, PlanerInnen und NutzerInnen aktiv und demokratisch in die Projektplanung einzubinden. Dadurch wird der Gestaltungsprozess interaktiv und partizipativ. Wie sind eigentlich keine Baufirma, sondern ein Technologieunternehmen, das diese Hard- und Softwarekomponenten entwickelt und vertreibt, ähnlich wie beim iPhone das Gerät und der App Store. In Zukunft wird die Software dem Hardware-Teil überlegen sein. Unser Produkt ist die holistische Prozesskette von automatisierter Projektentwicklung hin zur softwaregestützten Rücknahme, Aufbereitung und Wiederverwendung unserer Bauteile in einer Vielzahl von Gebäuden! Unsere LizenzpartnerInnen profitieren hierbei von unseren Tools, Setups und Technologie. Durch offene Prozesse fördert BetaPort die Demokratisierung der Baubranche. Wir bieten begleitend digital erzeugte Handbücher für alle Gebäudemaßstäbe und -größen, einschließlich kundenspezifischer und individualisierter Elemente.

BetaPort wurde bewusst auch nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft entwickelt.

Marvin Bratke: Richtig. BetaPort ist für die Demontage konzipiert. Jedes Element hat einen Materialpass. Es gibt reversible Verbindungen, um den Ab- und Umbau sowie die Rezyklierung aller Baumaterialien zu ermöglichen. Unser System ist sehr leicht adaptierbar, wir können es sowohl im Bestand als auch für Neubauten einsetzen. Es ist sehr wichtig, Bestand nachzunutzen, umzubauen – dies ist in der heutigen bebauten Umwelt eine Grundvoraussetzung –, dennoch denken wir weiter: Bestandsaufbereitung ist ein Kosten-, Zeit- und Ressourcen-intensiver Prozess, da wir Gebäude aufbereiten, die meist für einen anderen Zweck bestimmt waren und mit veralteter Technik ausgestattet sind. Unser System bietet Lösungen in Zukunft solche Probleme zu vermeiden, da wir als offenes System agieren, dass Updates zulässt und Um-, An- und Abbaubar im Design inne hat. Hierdurch trennen wir Bauteil und Materialzyklen von denen des Abschreibungszyklus eines Gebäudes. Unsere Rohbauelemente halten mehr als 150 Jahre, ein durchschnittliches Gebäude in Europa steht weniger als 50. Durch diese Entkopplung schaffen wir zukünftigen Generationen Freiheit und Flexibilität ohne die Komplexität und Ressourcenintensivität heutiger Renovierungen. Wir planen mit wiederholbaren Lebenszyklen. Die Bauwirtschaft heute ist mit 38 Prozent der Hauptemittent von CO2. Gleichzeitig gibt es in der Baubranche nur wenig Forschung und Investment in Neuerungen. Bauen ist ein komplexer Prozess, sehr teuer, denn jedes Gebäude ist ja letztendlich ein Prototyp – und da sehr viele Akteure mitwirken und die Prozesskette meist nicht digitalisiert ist, ist die Fehlerquote am Bau recht hoch. Genau genommen bauen wir Gebäude, die so unflexibel sind, dass sie schon veraltet sind, wenn sie fertiggestellt sind. Das sind einige der Punkte, die wir von Urban Beta angehen wollen.

Wie genau funktioniert die Rezyklierung der Bauteile von BetaPort?

Marvin Bratke: Wir bieten an, alle Bauteile zurückzunehmen, aufzubereiten und wieder einzusetzen. So können einzelne Bauteile in vielen Gebäuden leben. Das verringert in Zukunft auch die Baukosten. Der Zyklus funktioniert automatisiert über die digitale Plattform. Da jedes Bauteil im Baukastensystem aus erneuerbaren oder recycelten Materialien entwickelt und mit einem Materialpass ausgestattet ist, kann es kann schnell digital designt und gebaut werden – da wir TÜV-zertifiziert sind, können wir schnell und ohne Baugenehmigung als "fliegenden Bau" bauen. Dafür entwickeln wir Mikrofabriken mit modularen robotische Plattformen, die lokal bauen können und mit der Plattform verbunden sind. Ein Lizenzmodell, von dem unsere Partner von unserer Bautechnologie ebenso wie wir profitieren können ist derzeit in Entwicklung.

Marvin Bratke

Ein Problem bei Modulsystemen ist oft die Ästhetik, dafür gibt es einige Beispiele aus den vergangenen Jahrzehnten. Wie verhindert ihr, dass alles austauschbar aussieht?

Marvin Bratke: Die Ästhetik in diesem Fall wird oft mit der Fassade verbunden. Wir arbeiten mit verschiedenen FassadenherstellerInnen als LizenznehmerInnen zusammen und haben einen Produktkatalog, der sehr viel Varianz bietet. Wir haben Holzfassaden, Membran und Metallfassaden, auch solche mit unterschiedlichen Öffnungen für unterschiedliche Anwendungen. Wir arbeiten partnerschaftlich, da unser USP die Rohkonstruktion ist. Unsere Bauteil-Bibliothek, die Teil unseres Lizenzmodells ist, wird ebenfalls parallel und mit jeder Gebäudeerfahrung weiterentwickelt und wird in Zukunft auf unserer Plattform zur Verfügung stehen.

Das macht neugierig auf die Köpfe, die hinter dem innovativen Konzept stecken. Wer ist Urban Beta?

Marvin Bratke: Wir vier GründerInnen – Anke Parson, Florian Michaelis, Paul Clemens Bart und ich – sind ArchitektInnen und UnternehmerInnen mit unterschiedlichen Hintergründen in Projektentwicklung, Gestaltung und Forschung sowie der Realisierung von Gebäuden, wir decken damit also den gesamten Bauprozess ab. Wir haben uns lange vor der Gründung von Urban Beta über verschiedene Projekte kennengelernt, bei denen wir in unterschiedlichen Konstellationen zusammengearbeitet haben. Zu viert zusammengekommen sind wir dann letztendlich über die Idee zur temporären und mobilen Bespielung der Berliner Brachflächen mit Obdachlosenunterkünften, das Projekt, das sich später zu BetaHood entwickelte. Mittlerweile sind wir zu sechst und im Wachstum. Wir arbeiten mit einem engen Kreis von Mitarbeitern und unseren starken Partnerunternehmen aus der Bauwirtschaft zusammen, wie Schütt Holzbau, Trilux, Schüco, JUNG oder Wago. 2023 wird für uns ein Jahr mit Skalierungspotenzial und verbindet die Planung wie Fertigstellung unserer ersten kommerziellen BetaPort-Gebäude.

Gerade habt ihr die Beta Realities UG ins Leben gerufen. Wohin geht die Reise des BetaPorts?

Marvin Bratke: Seit Anfang 2023 gibt es die BetaPort Systems GmbH, die sich mit der Entwicklung und Vertrieb unserer Bautechnologie und unseres Bausystems befasst. Die Dienstleistungen im Gestaltungs- und Architekturbereich befinden sich in der Beta Realities – gesprochen "Better Realities". Wir zielen auf eine klare Trennung von Planen und Bauen, dies ist Teil unserer Skalierungsstrategie. In nächster Zeit wird es weitere spannende Neuerungen geben, auf die wir uns freuen!